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Stand: 23.08.2025 12:31 Uhr

In Italien wurde am Mittwoch ein Ukrainer festgenommen, der an den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines 2022 beteiligt gewesen sein soll. ARD, SZ und „Zeit“ liegt nun der Haftbefehl gegen den Mann vor.

Von Manuel Bewarder NDR/WDR, Florian Flade WDR, Michael Götschenberg ARD-Hauptstadtstudio, Georg Heil RBB, Holger Schmidt SWR

Als Serhii K. am Freitag zum Haftrichter am Gericht in Bologna gebracht wurde, trug er Handschellen und wurde von drei Polizisten begleitet. Das hielt den Ukrainer allerdings nicht davon ab, den Journalisten vor Ort eine Geste entgegen zu strecken: drei Finger – in der Ukraine oft als Symbol für den „Trysub“ verwendet, jenen Dreizack, der als Nationalsymbol auf Flaggen und Wappen zu sehen ist.

Serhii K. war am späten Mittwochabend in einer Ferienanlage in der italienischen Provinz Rimini festgenommen worden. Dort hielt er sich mit seiner Frau und Kindern auf. Der deutsche Generalbundesanwalt hatte wenige Tage zuvor einen europäischen Haftbefehl gegen den 49-jährigen Ukrainer erwirkt: Serhii K. soll an den Sprengstoffanschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee im September 2022 beteiligt gewesen sein.

Deutsche Ermittler gehen von Führungsaufgabe aus

Einem Rechercheteam von ARD, Süddeutscher Zeitung und „Zeit“ liegt nun der Haftbefehl gegen den Ukrainer vor. Daraus geht hervor, dass die deutschen Ermittler davon ausgehen, dass Serhii K. bei der Operation sogar die wichtige Aufgabe übernommen haben soll, die Gesamtoperation und das Sabotageteam zu leiten. K. soll demnach zur Besatzung der Segeljacht „Andromeda“ gehört haben, die für die Sabotage der Erdgaspipelines verwendet worden sein soll. 

Italienischen Medien zufolge soll der Anwalt von K. die Vorwürfe zurückgewiesen haben. Es gilt die Unschuldsvermutung. Gegen eine mögliche Auslieferung nach Deutschland wolle sich K. wehren, heißt es. Die erste Festnahme in dem Verfahren zu einem der spektakulärsten Sabotage-Akte in Europa gilt für die deutschen Ermittler als großer Erfolg. 

Mindestens vier Sprengsätze mit Zeitzündern

Laut dem Haftbefehl soll sich Serhii K. Anfang September 2022 in Wiek auf Rügen auf das zuvor angemietete Segelboot begeben haben. K. habe die Aufgabe gehabt, die Operation zu koordinieren und das Sabotageteam anzuleiten, das aus einem Skipper, vier Tauchern und einem Fachmann für die Sprengsätze bestanden haben soll. 

Weiter heißt es: Die mutmaßlichen Saboteure hätten mindestens vier Sprengsätze von einem Gewicht von je 14 bis 27 Kilogramm an den Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 in rund 70 bis 80 Metern Meerestiefe angebracht. Bei dem Sprengstoff habe es sich um ein Gemisch aus Hexogen (RDX) und Oktogen (HMX) gehandelt, die Bomben sollen mit Zeitzündern versehen gewesen sein. 

Serhii K. soll nach Erkenntnissen der Ermittler von Bundeskriminalamt und Bundespolizei am 22. September in Wiek von Bord der Segeljacht gegangen und von einem Fahrer abgeholt und in die Ukraine zurückgebracht worden sein. Anschließend sollen weitere Tatverdächtige nach Hohe Düne bei Warnemünde zurückgefahren sein, wo die „Andromeda“ zuvor angemietet worden war.

Hinweise aus dem Ausland führten zur „Andromeda“

Im Haftbefehl wird K. als Mittäter bezeichnet, ihm werden „verfassungsfeindliche Sabotage“, „vorsätzliches Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“ und „Zerstörung von Bauwerken“ vorgeworfen. Dem Ukrainer könnten bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe drohen. 

Seit Oktober 2022 ermitteln BKA und Bundespolizei im Auftrag des Generalbundesanwalts zu den Anschlägen auf die Pipelines. Bereits kurz nach den Explosionen hatten die Ermittler mit Hilfe von Tauchrobotern Untersuchungen am Meeresgrund durchgeführt, Bodenproben genommen und Teile der zerstörten Pipeline geborgen.

Durch Hinweise eines ausländischen Nachrichtendienstes kamen die Ermittler schließlich auf die Spur einer Segeljacht, die in Mecklenburg-Vorpommern mit falschen Personalien und über eine polnische Briefkastenfirma angemietet worden war. Auf dem Schiff konnten die Ermittler sowohl Fingerabdrücke als auch DNA-Spuren sichern, außerdem wurden Spuren von Sprengstoff entdeckt. 

Weiterer Verdächtiger konnte sich absetzen

Mittlerweile gehen die Beamten der Ermittlungsgruppe „Nord Stream“ davon aus, dass sie mehrere Tatverdächtige identifizieren konnten. Es soll sich demnach um mehrere ukrainische Zivilisten und ehemalige und aktive Militärangehörige handeln. 

Im vergangenen Jahr hofften die deutschen Ermittler einen ersten Verdächtigen festnehmen zu können: Sie hatten den Ukrainer Wolodymyr Z., der als Taucher an den Nord-Stream-Anschlägen beteiligt gewesen sein soll, in Polen ausfindig gemacht.

Trotz eines europäischen Haftbefehls aber konnte Z. sich absetzen – möglicherweise mit offizieller Hilfe der Ukraine. Denn nach einem Medienbericht soll er in einem ukrainischen Diplomatenfahrzeug das Land verlassen haben, bevor polnische Polizisten ihn festnehmen konnten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine Beteiligung seiner Regierung an den Anschlägen bislang immer zurückgewiesen

In Italien muss noch ein zuständiges Gericht darüber entscheiden, ob Serhii K. nach Deutschland ausgeliefert wird. Mitte der kommenden Woche soll es laut italienischen Medien eine wichtige Anhörung zur möglichen Auslieferung geben.