Suche nach der richtigen Position: Die neue FDP Parteispitze präsentiert sich den Medien.
Keystone / Gian Ehrenzeller
Sowohl die Mitte als auch die FDP suchen eine Position zu den neuen Verträgen mit der EU. Für beide geht es um viel – um ihre Macht. Dabei birgt die EU-Debatte gerade für diese Parteien auch grosses Potenzial. Analyse.
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22. August 2025 – 11:38
Balz Rigendinger
Ich arbeite als Journalist, Editor und Bundeshauskorrespondent für SWI swissinfo.ch. Für die Auslandschweizer:innen berichte ich über die Schweizer Politik, zudem leite ich unsere politische Talkshow Let’s Talk.
Meine journalistische Laufbahn begann in den frühen 1990er-Jahren im Lokaljournalismus. Seither habe ich in vielen Bereichen dieser Branche gearbeitet, leitende Positionen übernommen und verschiedene Dossiers betreut. 2017 bin ich zu SWI swissinfo.ch gestossen.
Es ist Mitte Legislatur. Seit Juni liegen die neuen EU-Verträge auf. Das bedeutet „High Noon” im Europadossier, ein entscheidender Moment. Noch bis Ende Oktober läuft die Vernehmlassung. Alle Interessensgruppen und auch die politischen Parteien beziehen nun Position.
Einfach ist das für jene, die in diesem Thema schon lange klar positioniert sind, also kompromisslos dagegen wie die rechtskonservative SVP. Oder lesbar dafür wie die Grünen und die Grünliberalen.
Klar positioniert: Die SVP bei einer Aktion gegen die EU-Verträge. Ein Teilnehmer mit Maske von Aussenminister Ignazio Cassis.
Keystone / Alessandro Della Valle
Speziell ist es für die Sozialdemokrat:innen. Die einflussreichen Gewerkschaften sind nach anfänglicher Skepsis bezüglich des Lohnschutzes nun zwar mit im Boot. Damit ist die Partei fest im Lager der Befürworter. Doch in der Basis dürfte das intensive Trommeln gegen die Gefahren des Lohndumpings noch nachhallen. Intern muss man sich also noch abstimmen.
Herausforderung für FDP und Mitte
Richtig schwierig ist der Positionsbezug jedoch für jene beiden Parteien, die bei den «Bilateralen III» gespalten sind: die wirtschaftsliberale FDP und die wertkonservative Mitte. Das ist für sie auch darum ein Problem, weil klar ist, dass die neuen EU-Verträge wohl die nächsten eidgenössischen Wahlen prägen. Damit wird das Thema auch über Wählerstimmen entscheiden.
Und ebenso klar ist: Die Parteien müssen sich positionieren, lavieren geht nicht. «Für keine Antwort ist die Frage zu wichtig», sagt Politologie-Professor Sean Müller von der Uni Lausanne.
Warum die EU-Verträge für Auslandschweizer wichtig sind
Die Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind für Auslandschweizer:innen wichtig. Sie betreffen die über 460’000 Auslandschweizerinnen und -schweizer, die in einem EU-Land leben. Die bilateralen Verträge sichern zentrale Rechte wie die Personenfreizügigkeit, erleichtern ihren Zugang zu Sozialversicherungen und garantieren die Anerkennung von Diplomen.
Doch wenn die eigene Stammwählerschaft ausgerechnet in dieser zentralen Frage gespalten ist, eröffnet das im Hinblick auf die Wahlen 2027 für die Parteien ein Dilemma. Positionieren sie sich eindeutig, könnten sie jenen Teil ihrer Wählerschaft verlieren, der bei den EU-Verträgen anderer Meinung ist. Lassen sie möglichst vieles offen, riskieren sie, dass ein Teil der Wählerschaft zu anderen Parteien abwandert, die klarere Positionen haben.
Zwischen diesen beiden schlechten Lösungen suchen FDP und Mitte Partei im Moment nach einer guten.
Wie geht die FDP mit der EU-Frage um?
Dabei hält sich die wirtschaftsliberale FDP bisher an die Devise: Erst die Verträge studieren, dann entscheiden. Das letzte PositionspapierExterner Link zum Thema stammt von 2022, aus der Zeit, da Bern und Brüssel noch verhandelten. Doch seit letztem Jahr arbeitet eine parteiinterne Arbeitsgruppe am Thema. Sie ist bewusst aus je sechs Gegner:innen und Befürwortenden der neuen Verträge zusammengesetzt – und prompt wurde das als weiteres Zeichen dafür gelesen, wie stark die Partei in dieser Frage gespalten ist.
«Ich bin noch unentschlossen»
Jetzt kommt die Zeit der Weichenstellung. Im Oktober besetzt die Partei ihr Präsidium neu. Seit dieser Woche steht eine Co-Leitung in den Startlöchern. Die eine Hälfte, Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher, gilt als Unterstützerin der neuen Abkommen mit der EU. Die andere Hälfte, Ständerat Benjamin Mühlemann, sagt: «Ich bin noch unentschlossen.»
Der Satz beschreibt perfekt, wo die traditionsreiche FDP im Moment steht: Mitten zwischen Ja und Nein. Politologin Cloe Jans rät: «Die beiden müssen jetzt schnell einen Weg finden, um auch der Basis zu zeigen, in welche Richtung es gehen soll.»
Die Neue Zürcher Zeitung, intimste Kennerin der Partei, schreibt, die FDP suche «eine gemeinsame Position, die scharf genug ist, dass sie verstanden wird – und unscharf genug, dass sie die Partei nicht weiter auseinandertreibt».
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Starke Stimmen in beiden Lagern
Unpassend ist diese Unentschlossenheit nicht: Auch die Schweizer Wirtschaft, für die die FDP steht, ist gegenüber den neuen EU-Verträgen gespalten. Die exportorientierten Sektoren sehen die wirtschaftliche Notwendigkeit eines reibungslos funktionierenden Markts. Finanzbranche und Dienstleistende werfen auch staatspolitische Überlegungen in die Waagschale.
Beide Gruppierungen haben starke Stimmen, die weit über die Partei hinaus hörbar sind, etwa die befürwortende Economiesuisse und das opponierende Netzwerk Kompass-Europa.
Für Politologie-Professor Sean Müller bietet die Europafrage für die FDP aber auch eine grosse Chance. Sie könne sich damit als «wahre, pragmatische Verteidigerin der Wirtschaft profilieren», sagt Müller. Diese Rolle passe zur Partei und sei in der aktuellen Politlandschaft noch zu besetzen. «Wenn sie dazu noch ein soziales Gewissen zeigt, für Gleichberechtigung steht und bei Sicherheitsthemen führt, sehe ich bei der FDP viel Potenzial», sagt Müller. Der neuen Führung traut er zu, dass sie diese Position auch glaubhaft vertreten kann.
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Bisher leidet die FDP unter anhaltendem Wählerschwund. Sie verlor bei den eidgenössischen Wahlen 2023 zwei Sitze im Parlament. Seither gingen auch in den Kantonen 11 FDP-Sitze an andere Parteien.
Wie geht die Mitte mit den EU-Verträgen um?
Die Mitte Partei hat weniger zu verlieren. Mit Glück und Tüchtigkeit kann sie 2027 sogar einen zweiten Sitz im Bundesrat erobern – jenen der FDP. Zwischen den 14,3 % Wähleranteil der FDP und den 14,1 % der Mitte bei den Wahlen 2023 ist das Rennen offen.
Die Mitte hat einen Flügel, der durchaus stark für die neuen Verträge votiert, allen voran Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Sie spricht auch als Vertreterin der Basler Wirtschaft und als Vorstandsmitglied des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse. Auf der anderen Seite stehen aber landwirtschaftsnahe und ländliche Kreise innerhalb der Mitte den neuen Verträgen skeptisch gegenüber, allen voran der mächtige Zirkel um Bauernverbandspräsident Markus Ritter.
In den Wahlkampfmodus geschaltet
Auf die zweite Legislaturhälfte hin hat auch die Mitte ihr Präsidium neu besetzt. Ein verlässliches Zeichen, dass die Partei in den Wahlkampfmodus übertritt.
In Sachen Europa liess sich der neue Präsident Philipp Mathias Bregy bei seiner Antrittsrede nicht auf die Äste hinaus. «Die Zukunft unserer Wirtschaft hängt von stabilen Beziehungen zur Europäischen Union ab», sagte er nur und umriss einige Bedingungen: «Wir erwarten Klarheit in Bezug auf Löhne, Sozialversicherung und institutionelle Fragen.» Es brauche erst eine breite Debatte in der Bevölkerung.
Abwarten: Der neue Mitte-Präsident Philipp Matthias Bregy.
Keystone / Anthony Anex
Gegenüber der NZZ konkretisierte Bregy, die Partei werde eine Parole erst nach einer Debatte über die innenpolitische Umsetzung fassen. Also vielleicht erst dann, wenn die Parteiführug Anhaltspunkte hat, wie die Stimmung in der Schweizer Stimmbevölkerung ist, oder zumindest bei der Parteibasis.
Perfekt für den Kompromiss
Auch für die noch zuwartende Mitte sieht Politologieprofessor Sean Müller ausgerechnet bei den EU-Verträgen Potenzial. Denn die Europafrage sei in Tat und Wahrheit viel weniger polarisiert als man oft denke. «Niemand will keine Beziehung zur EU und niemand will einen Beitritt», sagt Müller. Zwischen Schwarz und Weiss gebe es darum gerade in diesem Vertragswerk noch viele Grautöne und grossen Bedarf an differenzierten Antworten – auch bei den Stimmberechtigten.
«Das Vertragswerk mit der EU ist ein grosser Kompromiss», sagt Müller. «Und wer könnte einen Kompromiss besser verteidigen als die Parteien aus dem politischen Zentrum?»
Editiert von Samuel Jaberg / Marc Leutenegger
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