„Nein, ich war nicht wirklich schockiert. Überall in der Gastronomie ist es teurer geworden. Wenn man her kommt, gönnt man sich das halt.“ Anna blinzelt in die Mittagssonne, die den Marktplatz in warmes Licht taucht, schaut zu Niko. Der nickt. „Sehe ich genauso. Das Angebot ist ja durchaus gemischt, an anderen Ständen gibt es Günstigeres.“ Die Böblinger, beide Anfang dreißig, er aus der Finanzbranche, sie aus dem kaufmännischen Bereich, kommen seit Jahren zum Stuttgarter Weindorf. Und dort will man dann auch genießen, unterstreicht er, den formschönen Kelch hebend.

Das sehen viele so an den Tischen der über 40 Lauben, Wein- und Essenstände, die sich zunehmend zu füllen beginnen. „Stuttgart am Samstag, eine Stunde nach High Noon, da kaufen manche noch ein“, schmunzelt ein Mann, der einen „Schulkumpel“ aus Schweden zu dem Traditions-Weinfest mitgebracht hat.

In der Tat scheint die Welt zu Gast zu sein: Neben Schwäbisch hört man Italienisch, Spanisch, Griechisch, Französisch, Englisch und mehr. Etwa auch Bayerisch-Allgäuerisch: Conni und Albert aus Memmingen goutieren Speis’ und Trank in einer – schon gut ausgelasteten – Laube, wo das Glaserl ab 4,50 Euro zu haben ist.

An den meisten Ständen fängt das günstigste Viertel ab sieben Euro an „Wir könnten es uns leisten, aber das ist eine Sache des Prinzips“, betont der Rentner. „Schöne Veranstaltung, aber 15 Euro für einen Schoppen oder über acht Euro für eine Wurst, das ist schon eine Ansage, also sitzen wir hier“, ergänzt seine Frau.

„Beim Weißwein meines Mannes mussten wir einmal kurz schlucken: 13 Euro!“

Das mit der Ansage unterstreicht Katja, die mit Mann Kevin und ihrer Zweijährigen aus Magstadt angereist ist, einige Stände weiter. Dass sie für ihren Aperol Spritz über acht Euro berappt, sei ok. „Das erwartet man von Drinks. Beim Weißwein meines Mannes mussten wir einmal kurz schlucken: 13 Euro!“ Der Pinot Gris aus dem Remstal schmecke sehr gut, lacht Kevin. So sei das, das müsse man sich dann auch erlauben.

„Gut finde ich, dass es günstige Mittagstische gibt, das haben wir vorhin in Anspruch genommen.“ Wer sich umschaut, sieht Schilder mit Angeboten, die bis 15 oder 16 Uhr laufen und lauten: „16 Euro, ein Essen und ein Glas Wein nach Wahl“, „Jägerbraten Pfifferlingrahmsoß’, Knöpfle, täglich wechselnd, stets dabei Beilagensalat, Espresso 13,90“ oder „offenfrischer Schweinebraten mit Trollingersoße und Semmelknödel 14,50“.

Auf dem Schillerplatz lassen sich Sabine und Andreas Stefely an einem lauschigen Plätzchen einen Maultaschensalat für 18,80 Euro und einen Schwabenteller „Von Ällem Ebbes“ für 16,80 Euro schmecken. „Krautschupfnudeln, Käsespätzle, Maultaschen“, beschreibt der Ingenieur. Seine Frau schildert, dass sie auf Deutschlandtour seien.

„Wir kommen aus Österreich, von Steinerkirchen an der Traun, haben unsere Tochter besucht, radelten von Mainz nach Heidelberg.“ Bald gehe es mit dem Zug zurück. „Wir wollten das Weindorf mit seinem schönen Ambiente noch mitnehmen.“ Auch in Österreich sei die Gastro-Situation ähnlich, bestätigt das Paar. Und Andreas Stefely betont: „Selbst wenn man es sich leisten kann, gerade in diesen Zeiten bei gestiegenen Preisen ist wichtig, dass es zudem erschwingliche Angebote gibt.“

Extra wegen des Weindorfs hergefahren

Das findet auch die Schautanzgruppe aus Bubsheim, Landkreis Tuttlingen, per se richtig. Bei den Mädels stehen die Gaumenfreuden ganz oben auf der Liste. Extra wegen des Weindorfs seien sie hergefahren, da müsse halt mit Ausgaben gerechnet werden, sind sich die Teenager und Anfang Zwanzigjährigen einig. Nur wenige Meter weiter hat zuvor Romy aus Kapstadt gewissermaßen zusammengefasst, was viele sagen.

„Herzukommen lohnt sich!“ In Südafrika werde Wein geliebt, er sei dort günstiger. „Aber das hier ist ein Event mit toller Stimmung. Die Architektur, die kleinen, liebevoll aufgemachten Buden, das alles ist absolut charmant.“ Ihr Gegenüber, Helen, gibt ihr Recht. Seit sieben Jahren lebe sie nun in Stuttgart. „Wenn es teurer wird, nimmt die Frequenz der Besuche eben ab. Wenn ich früher sechs oder sieben Mal während einer Saison kam, sind es nun noch zwei Mal.“

Um die Kurve, fast direkt an Schillers Denkmal stoßen Marian und Katrin Gaczynski auf ihren 13. Hochzeitstag an – und auf Katrins Geburtstag, den sie vor kurzem beging. Mit dem Stuttgarter Paar freuen sich ihre Töchter, die fünfjährige Lara und die zweijährige Maya, sowie Katrins Schwester. „Tante Stefanie“ resümiert: „Das sind schon stolze Preise – aber wer hier ist, leistet sich auch was und bekommt dafür Besonderes in einer wunderbaren Atmosphäre. Man muss ja nicht das ganze Weindorf kaufen.“