Am Sonntag feiert die Ukraine ihren Unabhängigkeitstag – auch in Stuttgart gehen die Menschen auf die Straße. Ist ein Frieden wirklich näher gerückt nach dem Treffen des US-Präsident Donald Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem darauffolgenden Besuch europäischer Staatschefs in Washington? Wie sehen das Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Stuttgart leben? Wie sehen sie in ihre Zukunft und die ihres Heimatlandes? Begegnungen mit Menschen, die nicht aufgeben wollen und an eine unabhängige Ukraine glauben.
Natalia (40): In welcher Welt wollen wir aufwachen? Natalia Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
„Viele aus der Friedensbewegung fragen, warum stimmt die Ukraine jetzt nicht zu, warum gibt sie nicht Gebiete ab? Es sei doch egal, wie das Land heißt, in dem die Menschen leben. Russland oder Ukraine. Meine Familie kommen aus Butscha. Sie haben den Leichengeruch dort nach dem Massaker gerochen. Es ist wichtig zu verstehen, was ein so genannter Frieden unter russischer Besatzung bedeutet. Diese Menschen würden geopfert, vergewaltigt, abgeschlachtet, wenn diese Gebiete für einen Frieden abgetreten werden. Das ist kein Frieden, das ist legalisierte Besatzung. Wir können ja jetzt schon sehen, wie Russland mit seinen Bürgern umgeht, wenn sie ihre Meinung sagen. In welcher Welt werden wir in 50 Jahren aufwachen? In einer demokratischen oder einer autokratischen Welt? Es geht nicht nur um die Ukraine. Putin wird weitermachen. Wir glauben hier, in Freiheit zu leben, sei selbstverständlich. Aber das ist es nicht. Europa muss jetzt endlich handeln und zusammenhalten.“
Iryna (35): Sie teilen die Ukraine unter sich auf
„Ich habe meine Heimatstadt Charkiw, die direkt an der Grenze zu Russland liegt, am 28. Februar 2022 verlassen. Wir hatten dort zwei Häuser eines ist zerstört worden. Ich war dort Lehrerin. Ich glaube Trump und Putin nicht, wenn sie jetzt von Frieden reden. Sie sind Lügner. Sie sind politische Terroristen. Als Trump sein Amt angetreten hat, hat er gesagt, er werden den Krieg in 24 Stunden beenden. Das ist nicht passiert. Die Lösung wird sein, dass Putin Teile unseres Landes bekommt und Trump Vorkommen von Seltenen Erden. Sie teilen ein Land unter sich auf, das ihnen nicht gehört. Aber unter diesen Bedingungen können die Ukrainer nicht leben. Dazu sind zu viele Söhne, Ehemänner und Väter gestorben. Sie wären umsonst gestorben. Das geht nicht. Ich arbeite hier nicht als Lehrerin, sondern als Behördenlotsin bei der Stadt. Ich würde irgendwann gerne in meine Heimatstadt zurückkehren, auch wenn Deutschland mir viel gegeben hat.“
Andrij (50): Viele Freunde in der Armee sind gestorben Andrij zeigt das Handybild mit seinem zerstörten Elternhaus. Foto: Lorenz
„Ich hatte in Kiew eine eigenen Werbeagentur. Das Haus meiner Familie in der Nähe von Dnipro ist letzte Nacht durch eine Drohne zerstört worden. Was Trump und Putin da veranstalten ist reines Theater. Auch jetzt gehen die Angriffe weiter. Meine Schwester und ihr Mann sind gleich zu Beginn des Krieges im Juni 2022 getötet worden. Viele Freunde in der Armee sind gestorben. Das ganze Land leidet unter dem Krieg – auch nach den Verhandlungen. Wenn man Frieden will, geht das nicht.Die Europäer und die USA müssen die Ukraine jetzt schnell mit Waffen unterstützen. Sehr schnell. Jeden Tag und jede Nacht werden wir beschossen. Die wirtschaftlichen Sanktionen müssen noch härter werden. Wann dieser Frieden kommt – ich weiß es nicht. Wir brauchen echte Sicherheitsgarantien. Und Hoffnung.“
Diana (35): Es gibt keinen Seelenfrieden mehr Diana Foto: Lorenz
„Die Vorstellung, dass das Friedensverhandlungen sind, ist absurd. Mit Menschen, die bisher keinerlei Reue oder Bereitschaft zu einem Kompromiss gezeigt haben, kann man nicht verhandeln. Mit Diktatoren kann man nicht verhandeln. Mit einem Land, das keine demokratischen Werte vertritt, kann man nicht verhandeln. Ich komme aus Kramatorsk aus dem Donezk. Meine Mutter lebt dort noch. Wir reden jeden Tag. Jedes Mal, wenn wir reden, ist jemand, den wir kennen, verwundet worden oder gestorben. Wir reden darüber, wie es ihr damit geht und wie schwer es für sie als Binnenflüchtling nach dem Weggang aus Kramatorsk geht. Ich kann nicht abschalten. Immer wenn ich mein Handy in die Hand nehme, gibt es Neuigkeiten. Es gibt keinen Seelenfrieden mehr für uns seit 2014, seit der Annexion der Krim und vom Donezk-Gebiet. Das ist meine Heimat. Es gibt niemanden, der nicht durch die eine oder andere Weise betroffen ist. Manchmal habe ich Hoffnung, manchmal nicht. Ich halte das aus, weil ich keine andere Wahl habe.“
Denys (35): Das sind keine echten Friedensverhandlungen Denys Foto: Lorenz
„Ich bin aus der Hafenstadt Nikolajew. Aber ich bin in Russland geboren und mit 14 Jahren in die Ukraine gezogen. Vor zwei Jahren habe ich die Ukraine verlassen. Ich habe den Krieg dort erlebt. Das sind jetzt keine echten und erfolgversprechenden Friedensverhandlungen. Europa möchte Frieden, aber die beiden Verhandlungspartner können das nicht erreichen. Russland will diesen Frieden nicht. Der Frieden kommt erst, wenn Russlands Wirtschaft am Boden liegt. Ich sammle hier Geld für Waffen, Drohnen und Technik für die Ukraine.“
Olha (39): Wir brauchen weitere Wirtschaftssanktionen Olha Foto: Lorenz
„Es ist für die Ukraine noch nicht der Zeitpunkt gekommen, über Frieden zu verhandeln. Der Krieg muss mit der Kapitulation Russlands enden. An einem Tag verhandeln Trump und Putin und wenige Tage später zerstört Russland eine amerikanische Fabrik in der Ukraine. Ich bin vor drei Jahren nach Deutschland gekommen. Zuvor habe ich in Luhansk gesehen, wie eine große Industrieanlage demontiert wurde. Niemand darf seine Meinung sagen. Man vertraut sich gegenseitig nicht. Moskau reagiert nur auf Druck – wirtschaftlichen und militärischen. Es braucht weiter auch wirtschaftliche Sanktionen. Europa muss an den nächsten Verhandlungen teilnehmen, wenn es um Sicherheitsgarantien geht. In eine freie Ukraine würde ich sofort zurückgehen. Ich habe nie geplant, mein Land zu verlassen. Ich liebe es. Ich möchte dort wohnen und mein Leben aufbauen. Die Ukraine war immer unabhängig und offen.“
Tetiana (67): Wir hoffen auf die Unterstützung der Welt Tetiana Foto: Lorenz
„Jeder Ukrainer möchte schnell Frieden, weil jeden Tag Menschen sterben. Aber wir möchten einen echten Frieden, damit unsere Kinder und Enkel nicht schon bald wieder Krieg haben. Wenn wir jetzt Gebiete abgeben, wird es weitergehen. Die russische Armee kann von dort weitere Schritte vorbereiten. Wir geben das Thema dann nur an die nächste Generation weiter. Ich war bis Juli 2022 in Cherson, ich kenne also die Situation in zeitweise okkupierten Gebieten. Russland baut keine Kontrollposten ab. Sie kontrollieren weiter. Die Menschen dürfen nicht mit ihren ukrainischen Verwandten telefonieren. Die Welt muss verstehen, dass wir das, was uns gehört, nicht abgeben können. Wir hoffen weiter auf die Unterstützung der Welt, dass wir unsere Gebiete zurückbekommen.“
Alla (52): Wir möchten nicht Teil Russlands werden Alla Foto: Lorenz
„Ich möchte einen Frieden, der die ukrainischen Interessen wahrt. Wir haben ja schon seit 2014 mit der Annexion der Krim Krieg. Wir haben niemanden angegriffen. Wir sind eine Demokratie, in der die Menschenrechte gelten. Wir wollen unsere Unabhängigkeit behalten und nicht Teil der russischen Föderation sein. Wir sind keine Autokratie wie Russland. Wir wollen nicht mit Gebieten für unsere Demokratie bezahlen, wie Donald Trump sagt. Ist das gerecht? Ich bin im März 2022 aus Sumi, das 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt, nach Deutschland gekommen. Es ist gefährlich dort. Die Uni, an der ich als Linguistin gearbeitet habe, ist zerstört worden. Russland möchte uns auslöschen, unsere Geschichte, unsere Literatur und unsere Sprache. Ich forsche über russische Propaganda in Deutschland. Ich möchte natürlich zurück in die Ukraine, wenn es seine staatliche Integrität behält.“
Demonstration für Freiheit
Kundgebung
Am Sonntag, 24. August, ist der Tag der Unabhängigkeit der Ukraine. Anlässlich dessen findet in Stuttgart eine Demo statt (Beginn: 13 Uhr am Rotebühlplatz). Die Abschlusskundgebung findet auf dem Schloßplatz statt.