Dresden. Philipp Lux ist Schauspieler, Regisseur und Studioleiter am Staatsschauspiel Dresden – einen typischen Arbeitstag mit ihm zu begleiten ist, zumindest wenn man ihn in all diesen Wirkungsfeldern erleben möchte, aber quasi unmöglich. Gibt es ihn überhaupt, diesen typischen Tag? „Nein, Gott sei Dank nicht!“, sagt der 52-Jährige prompt und lacht, „meine Tage und Aufgaben sind immer unterschiedlich“.
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Heute erleben wir Philipp Lux als Regisseur. Mit der Schauspielerin Josephine Tancke trifft er sich am Mittwochvormittag auf der Bühne des Schauspielhauses zur Manöverkritik der letzten Probe, bevor später die anderen Schauspieler hinzustoßen. Lux’ Assistentin Sophie Albrecht schreibt Lob und Kritikpunkte des Regisseurs immer mit und zaubert die Anmerkungen auf Nachfrage aus den Tiefen ihres Handys: ein „+“ zeigt an, dass etwas super war, ein trauriger Smiley signalisiert Nachbesserungsbedarf.
Durch Zufall zur Regiearbeit
Gemeinsam mit Tancke geht Lux die Liste durch, die Schauspielerin setzt direkt um, spielt Szenen an, bietet Variationen. Beide haben sichtlich Spaß, trotz spürbarer Konzentration ist die Stimmung locker, der Ton wertschätzend: „Großartig, was dein Körper da veranstaltet als Reaktion auf das Mansplaining!“, gibt Lux begeistert Feedback.
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Als Regisseur des Stücks „Bandscheibenvorfall“ trifft sich Philipp Lux mit der Schauspielerin Josephine Tancke (links) zur Manöverkritik der vergangenen Probe.
Quelle: Anja Schneider
Zur Regiearbeit kam er 2016 eher zufällig: „Das war die Studioinszenierung von Kleists Michael Kohlhaas, der Regisseur ist vier Wochen vor Probenbeginn krank geworden und ich war Studioleiter, kannte also alle Studierenden und hatte mit denen schon Monologe und Szenen gemacht. Da hat der ehemalige Intendant gesagt: Wir trauen dir das zu, traust du dir das auch zu? Ich hatte dann eine Nacht Bedenkzeit und habe gesagt, na klar! Das war mein erstes Studio, damals mit Henriette Hölzel und Jannik Hinsch, und meine erste Produktion als Regisseur, das hat mir unglaublich Spaß gemacht“.
Herausforderung und Erleichterung
Die Inszenierung, die einige Preise abräumte, war sowas wie eine Initialzündung für den Schauspieler im Regiefach, der bald darauf auch Kafkas „Verwandlung“ für die Bürgerbühne und weitere Stücke in Szene setzte. „Ich hatte das große Glück“, resümiert der gebürtige Frankfurter, der in Schleswig-Holstein aufwuchs, „dass mir die Regiearbeiten immer angeboten wurden. Es ist nicht selbstverständlich in dem Beruf, dass ich nie Klinken putzen musste. Dafür bin ich sehr dankbar, weil das meinem Wesen auch gar nicht entspricht. Und: Ich habe ja meinen eigentlichen Beruf, das Spielen. Alles andere kommt quasi als Bonus dazu, der mich sehr beglückt und erfüllt“.
Gern widmet sich Lux dabei auch wenig gespielten, eher unbekannten Stücken wie Ingrid Lausunds absurd-komischem „Bandscheibenvorfall“, zu dessen Probe jetzt auch Torsten Ranft, Friederike Ott und Thomas Eisen eintrudeln. Dass er nicht nur Regisseur, sondern auch Schauspiel-Kollege ist, sei „einerseits eine Herausforderung, kann andererseits aber auch eine Erleichterung sein, sich hineinzuversetzen und Befindlichkeiten zu verstehen und zu berücksichtigen“.
Die Maske zaubert Haare
Bei unserem nächsten Treffen steht Philipp Lux dann wieder selbst auf der Bühne – in Martin McDonaghs „Der einsame Westen“ spielt er Coleman. Gemeinsam mit seinem Kollegen Holger Hübner, der im Stück dessen Bruder Valene verkörpert, treffen wir Lux, bereits im lottrigen Unterhemd, in der Garderobe im Kleinen Haus. Hier entspinnt sich eine ebenso faszinierende wie amüsante Unterhaltung zwischen den beiden Schauspielern, die so rasant zwischen privatem Geplänkel und Bühnen-Dialog wechselt, dass es für uns mitunter schwer ist, das auseinander zu halten.
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In der Maske wird gezaubert: Maskenbildner Lian Elpelt verpasst dem eigentlich kahlköpfigen Schauspieler eine Perrücke für seine Rolle als Coleman in „Der einsame Westen“.
Quelle: Anja Schneider
Warm gespielt geht es im Anschluss in die Maske, wo Maskenbildner Lian Elpelt dem Schauspieler als erstes Haare verpasst und dann mit diversem Make-Up den Bühnen-Look perfektioniert. Währenddessen bringen sich beide auf den neuesten Stand, Lux erzählt von seinem anstehenden Urlaub, dann verabschiedet er sich: Gleich beginnt die Vorstellung. „Ich habe eine große Affinität zu Humor und zu körperlichen Spielweisen“, sagt Lux, „ich spiele und inszeniere super gern komödiantische Sachen, mochte aber natürlich auch sehr, Nathan der Weise sein zu dürfen, wo es vordergründig erstmal nicht um Humor geht“.
Am Theater gibt es keine Zweitbesetzung
Abwechslung kann es für Lux gar nicht genug geben: „Je unterschiedlicher, desto besser, mir wird schnell langweilig. Deswegen mag ich es sehr, dass wir neben Klassikern wie Shakespeare-Komödien auch zahlreiche musikalische Formate oder neue und moderne Literatur auf dem Spielplan haben, große und kleine Produktionen, das ist toll und das macht eben die Abwechslung aus“. Sind Schauspieler eigentlich ein besonderer Menschenschlag? „Naja, wir sind privat jedenfalls nicht alle Paradiesvögel oder betrinken uns jeden Abend in der Kantine, was vielleicht ein Klischee wäre“, erklärt Lux und lacht, „das ginge eh nicht in dem Job und bei dem Arbeitspensum. Aber ich glaube, wir sind alle kleine Hypochonder. Jeder hat ständig Sorge, krank zu werden und eine Vorstellung absagen zu müssen“.
In der Garderobe geht Philipp Lux mit seinem Kollegen Holger Hübner (links) nochmal einzelne Dialoge durch. Hinein mischen sich immer wieder auch Fetzen privater Gespräche, die von außen kaum auseinander zu halten sind.
Quelle: Anja Schneider
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Eine Zweitbesetzung gibt es am Theater nicht, fällt jemand aus, springt bestenfalls jemand anderes ein – immer eine große Herausforderung, wie der Schauspieler zu berichten weiß: „Da trifft man sich dann mit der Dramaturgie oder der Regieassistenz, lernt in kurzer Zeit so viel Text, wie es geht. Das habe ich schon gehabt in meinem Leben, innerhalb von einem Tag eine Rolle übernehmen zu müssen. In einer Inszenierung, die man im besten Fall gesehen hat. Falls man sie noch nicht gesehen hat, ist noch mehr in Panik“.
Keine Hummeln im Hintern
Ein buchstäblicher Spielraum ist da sehr hilfreich: „Es ist nicht alles so festgezurrt, dass jeder Satz exakt, jede Geste gleich sein muss. Es können auch eigene Vorstellungen mit eingebracht werden“. Ein Vorteil ist auch, wenn sich das Ensemble wie hier in Dresden so gut kennt und auf gemeinsame Kontinuität in der Arbeit aufbauen kann. Auch das ist vielleicht einer von vielen Gründen, warum Philipp Lux dem Staatsschauspiel Dresden seit inzwischen 27 Jahren treu ist: „Ich hatte eigentlich nie Fernweh, fand die Arbeit hier immer abwechslungsreich genug und hab mich wertgeschätzt gefühlt. Ich bin hier natürlich inzwischen auch gut vernetzt, habe viele Freunde in der Stadt. Insofern habe ich keine Hummeln im Hintern“.
Während sich die Garderoben der Schauspieler eher nüchtern präsentieren, geht es im Aufenthaltsraum der Ankleider im Kleinen Haus deutlich bunter zu.
Quelle: Anja Schneider
Dass sein Freundeskreis nicht nur aus Künstlern besteht, empfindet der Mime ebenfalls als Bereicherung. „Es ist wichtig, auch mal den Stecker ziehen zu können, sich mit Menschen auszutauschen, die was ganz anderes machen, selber nicht der Mittelpunkt zu sein“. Gerade nach einer Premiere sagt er, sei es ihm wichtig, den Kopf auszumachen, Abstand zu gewinnen und sich Zeit für Regeneration zu nehmen, „ich bin leidenschaftlicher Koch, das entspannt mich, aber auch alles, was mit Natur zu tun hat, wie Wandern oder Radfahren, hilft mir extrem. Ich bin dann zum Beispiel auch immer ohne Kopfhörer unterwegs, weil ich sonst das Gefühl habe, dass mich das auch wieder beballert. Mein Kopf ist eh immer so voll“.
Sommer ohne Soziale Medien
Über den Sommer fastet Lux deswegen deswegen bewusst Social Media und versucht, weniger am Handy zu sein: „Das ist ja gruselig, wie viel Zeit man da inzwischen mit verbringt, ohne es überhaupt zu merken“. Wäre er nicht Schauspieler geworden, wäre er vielleicht dem Beispiel seines Vaters gefolgt und Lehrer geworden. Oder Schriftsteller, wie er schmunzelnd einwirft. Schon in der sechsten Klasse leitete Lux eine Kindertheater-Gruppe im Stadtviertel, auch später fand er immer wieder Gelegenheiten, seine Begeisterung und Faszination fürs Spielen und Theater weiterzugeben.
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Dass er seit 2015 das Schauspielstudio am Staatsschauspiel leitet, ist insofern nur folgerichtig. In dieser Funktion begleitet und betreut der Wahl-Dresdner die künstlerische und schauspielerische Entwicklung der acht Studierenden am Haus, erarbeitet mit diesen Monologe und Szenen, ist Mentor und auch mal nachts am Telefon, wenn jemand sein Herz ausschütten möchte. An einem Freitagvormittag sind wir dabei, wie er mit Studentin Marlene Burow die Rolle der Amalia in Schillers „Räubern’ erarbeitet.
Nuancen verändern das große Ganze
Auch hier wird bei der Arbeit viel gelacht, als Beobachtende werden wir hineingezogen in eine Welt, die auf eine ganz eigene, besondere Weise zu funktionieren scheint. Eine ganze Weile passiert scheinbar nichts, dann fängt Burow an zu spielen. Lux gibt Feedback und plötzlich philosophieren beide minutenlang über einen einzelnen Satz, den Burow immer wieder anders ausprobiert, so dass sich auch uns allmählich erschließt, wie sehr Nuancen das große Ganze verändern können.
Als Studioleiter ist Philipp Lux für die Ausbildung der acht Studierenden am Haus zuständig. Hier erarbeitet er mir Marlene Burow (rechts) die Rolle der Amalia in Schillers „Die Räuber“.
Quelle: Anja Schneider
Als Burow plötzlich beginnt, einen Apfel zu essen, ist uns erst nicht klar, ob die Mittagszeit ihren Tribut fordert, oder das irgendwie dazu gehört, bis die beiden leidenschaftlich darüber diskutieren, ob nicht ein Hot Dog oder ein Snickers sich inhaltlich sogar noch besser machen würde. Die Studierenden sind während ihrer zwei Jahre am Haus bereits an verschiedenen Produktionen beteiligt, haben parallel dazu Unterricht wie Sprecherziehung, Chanson und Bewegung und arbeiten auf das große Abschlussvorspiel hin.
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Manchmal ist Vermittlung nötig
Das Studio leitet Lux zusammen mit seiner Kollegin, der Dramaturgin Kerstin Behrens: „Wir versuchen, dass alle in kurzer Zeit so viel wie möglich lernen, viele Regiehandschriften, Spielweisen und Literatur kennenlernen, und das immer in enger Absprache mit der Hochschule Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig, aber auch mit den Studierenden selbst“.
Dass die Studierenden am Haus wie fertige Schauspieler behandelt werden, ist einerseits ein Geschenk, bringt aber auch Herausforderungen mit sich, etwa wenn ein Regisseur die Proben bis in den Nachmittag zieht: „Das ist dann Teil meines Jobs, zu vermitteln und zu sagen, du hast da jetzt zwei Studierende besetzt, die sind aber noch in der Ausbildung. Die haben ein Anrecht auf ihre Unterrichte und die sind eben am Nachmittag“.
Andere Fragen an den Beruf und an die Kunst
Die Studierenden profitieren aus Lux’s Sicht sehr vom Studioprinzip und von der Rollenarbeit mit den Ensemblemitgliedern, „wir kennen die Zweifel von uns selbst, die Krisen, das ewige Suchen, die Studierenden erleben, aber auch wie wir miteinander arbeiten, wie Proben strukturiert sind, wie das Haus aufgebaut ist. Im Erstengagement nach dem Studium fremdeln sie dann deutlich weniger, finden sich schneller am Theater zurecht, das zeigt auch die hohe Vermittlungsquote“.
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Gleichzeitig schätzt er aber auch, welche Fragen die jungen Schauspielenden an den Beruf und an die Kunst stellen, „das ist auch für mich ein echter Gewinn und immer ein Dazulernen. Das gesamte Haus profitiert sehr von diesen acht jungen Künstlerpersönlichkeiten“, fasst er zusammen, wie sehr ihm die Arbeit mit dem Studio am Herzen liegt.
Auch mal anderen den Teppich ausrollen
Wollte man doch versuchen, einen typischen Lux-Tag zu konstruieren, so wäre dieser als Spieler von 10 bis 14 Uhr mit Proben belegt, abends dann entweder mit Vorstellungen oder erneuter Probe bis 22 oder 23 Uhr – „Die Studio-Arbeit liegt im besten Fall dazwischen. Aber nicht an jedem Tag in der Woche“. Für die jungen Menschen und ihre Ausbildung zuständig zu sein, Verantwortung zu übernehmen, Sicherheit zu geben, Ruhe auszustrahlen, zu fordern und zu fördern – „das ist toll“, sagt Lux, der gern auch mal anderen den Teppich ausrollt, wie er es lange in verschiedenen Talkshow-Formaten getan hat, „wo ich einfach Gastgeber war und Kollegen oder Mitarbeitende aus dem Haus vorgestellt habe“.
Im Flur gegenüber des Aufenthaltsraums hängen griffbereit die Kostüme aus den aktuellen Produktionen im Kleinen Haus. Hier möchte man am liebsten sofort stöbern und selbst in andere Rollen schlüpfen.
Quelle: Anja Schneider
Lux ist dankbar, dass er sich im Staatsschauspiel so vielseitig ausleben darf, als Regisseur, als Mentor und Lehrer, vor allem aber auch als Spieler. „Theater hat die Chance, freier und verrückter sein als das Leben“, fasst er zusammen, was seinen Beruf für ihn so reizvoll macht und ihn antreibt. „Wir können auf der Bühne Welten erschaffen, die bunter und größer sind, nicht pessimistischer, sorgenvoller oder aggressiver, sondern verspielter und alberner als die Realität“.
Stücke mit Philipp Lux in der neuen Spielzeit: https://www.staatsschauspiel-dresden.de/ensemble/philipp-lux/
DNN