Die USA sind die stärkste Militärmacht der Welt – aber eine Waffengattung fehlt in Amerikas Arsenal: Hyperschallraketen. Während China oder Russland solche besitzen und Moskau sie mehrfach im Ukrainekrieg eingesetzt haben will, verfügt Washington bislang über keine voll einsatz­bereite Batterie. Das wird sich bald än­dern. Die ersten Hyperschallraketen vom Typ Dark Eagle sollen bis Ende September stationiert werden. Das teilte das Pentagon dem Nachrichtenmagazin „Newsweek“ mit.

„Der Dark Eagle ist wirklich startklar“, sagte Jennifer Lee, Kommandeurin der Einheit Bravo Battery. Mit der Einführung von Hyperschallwaffen erweitern die USA ihre Möglichkeiten zu weitreichenden Angriffen; die hohe Geschwindigkeit und schwer vorhersehbare Flugkurven machen eine Verteidigung schwierig. Washington will damit nicht nur eine militärische Lücke zu geopolitischen Konkurrenten schließen, sondern auch die konventionelle Militärstrategie des Conventional Prompt Strike vorantreiben: Innerhalb einer Stunde soll jedes Ziel auf der Welt getroffen werden können.

Dark Eagle soll eine Reichweite von mehr als 2775 Kilometern haben. Die Waffe wird vom Boden aus abgefeuert; die US-Navy will bis 2027 eine einsatzbereite Variante auf einem Kriegsschiff stationieren. Als Hyperschallwaffen gelten Raketen oder Marschflugkörper, die über längere Zeit mindestens das Fünffache der Schallgeschwindigkeit Mach 5 fliegen und extrem manövrierfähig sind. Dass ballis­tische Raketen solche Geschwindigkeiten erreichen, ist üblich. Sie werden nur in der Startphase angetrieben und fliegen dann in einer hohen Kurve je nach Reichweite für längere Zeit außerhalb der Erdatmosphäre. Sie haben allerdings eine vorhersehbare Flugbahn.

Wodurch sich Hyperschallwaffen auszeichnen

Hyperschallwaffen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich überwiegend innerhalb der Erdatmosphäre bewegen und präzise Ausweichmanöver durchführen. Kurz nach der Startphase des Dark Eagle löst sich der sogenannte Hyperschallgleiter C-HGB, der eigentliche Gefechtskopf, in der optimalen Höhe und Geschwindigkeit von der Rakete ab. Er gleitet dann in einer flachen Flugbahn antriebslos zu seinem Ziel.

„Hyperschallwaffen können ih­ren Kurs signifikant ändern“, sagte Markus Schiller, der an der Universität der Bundeswehr München zu Fernflugkörpern lehrt. Das funktioniere wie bei einem Flugzeug mit aerodynamischen Steuer­flächen. „Sie fliegen unvorhersehbarer als ballistische Raketen: Kurven oder hoch und runter.“ Der Luftverteidigung fällt die Abwehr dementsprechend schwer.

Durch die niedrige Flughöhe werden sie zudem erst spät vom gegnerischen Radar am Boden entdeckt. „Man kann damit ein bisschen unter dem Radarhorizont bleiben“, sagte Schiller. Allerdings erzeugen Hyperschallwaffen aufgrund ihrer Geschwindigkeit große Hitze. Das bedeute, dass Infrarotsensoren sie wahrscheinlich entdecken könnten. „Es ist immer ein Trade-off.“

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Das Pentagon jedenfalls ist überzeugt von der Durchschlagskraft seiner neuen Waffe und begründete den Namen Dark Eagle dementsprechend: Das sei eine Hommage an den Greifvogel, „einen Meisterjäger, der für seine Schnelligkeit, Tarnung und Wendigkeit bekannt ist“. So zeichne sich auch die amerikanische Hy­perschallwaffe durch eine Kombination aus Geschwindigkeit, Genauigkeit, Manö­vrier- und Überlebensfähigkeit aus, hieß es vom Pentagon.

Das Wort „Dark“ symbo­lisiere die Fähigkeit, feindliche Kapazitäten zu zerstören – darunter Verteidigungs- und Kommunikationssysteme, Langstreckenwaffen oder andere kritische Ziele. „Hyperschallwaffen werden die Entscheidungsfindung der Gegner erschweren und die Abschreckung verstärken”, sagte Pa­trick Mason, stellvertretender Sekretär des Heeres für Beschaffung, Logistik und Tech­nologie.

Bislang waren Russland und China führend

Bislang waren Russland und China führend bei Hyperschallwaffen. Deren Systeme können wohl mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattet werden. Wie Peking soll Moskau über mehrere Varianten verfügen – darunter die wiederholt im Ukrainekrieg eingesetzte und von Moskau als „unverwundbar“ gepriesene Kinschal. Der Ukraine gelang es dagegen offenbar, mehrere dieser Raketen mit westlicher Flug­abwehr abzuschießen. Einige Analysten ge­hen davon aus, dass die Kinschal kein Hyperschallsystem im eigentlichen Sinn sei, sondern es sich eher um eine klassische ballistische Rakete handele.

Grundsätzlich gibt es bei der Definition von Hyperschallwaffen Grauzonen; Staaten benutzen diese Bezeichnung offensichtlich auch zu Propagandazwecken. Iran und Nordkorea behaupten gleichfalls, Hyperschallwaffen zu besitzen. Teheran will sie im jüngsten Konflikt gegen Israel eingesetzt haben.

Die USA betreiben zwar seit Jahrzehnten militärische Grundlagenforschung auf diesem Gebiet, verschiedene Faktoren haben eine Stationierung von Hyperschallraketen aber bisher verhindert. Zum einen sehen Kritiker keinen zusätzlichen Nutzen für die USA. Das Congressional Budget Office merkte 2023 an, dass Hyperschallwaffen wahrscheinlich nicht überlebensfähiger seien als ballistische Raketen, da auch diese äußerst schwer abzufangen seien. Ballis­tische Raketen können ebenfalls lenkbare Gefechtsköpfe tragen; sie gelten aber als weniger manövrierfähig als Hyperschallwaffen.

Temperaturen von bis zu 1650 Grad

Außerdem gebe es große technische Herausforderungen, hieß es von der überparteilichen Behörde: Hyperschallsysteme müssten die extreme Hitze bewäl­tigen, der sie ausgesetzt sind. Um die empfindliche Elektronik zu schützen oder die Aerodynamik bei Temperaturen von bis zu rund 1650 Grad zu verstehen, seien umfangreiche Flugtests notwendig. Fehlschläge hätten Fortschritte verhindert. Laut dem Congressional Research Service benötigen konventionelle Hyperschallwaffen zudem eine größere Präzision und sind deswegen technisch anspruchsvoller als die chinesischen und russischen Pendants, die mit nu­klearen Sprengköpfen ausgerüstet werden könnten.

So hatte das US-Heer auch mit der Entwicklung von Dark Eagle zu kämpfen. Die Stationierung war ursprünglich für 2023 geplant, doch technische Probleme mit dem Startgerät und der Rakete warfen das Programm zurück. Dazu kommen hohe Kosten. Das Congressional Budget Office geht davon aus, dass die Beschaffung und die Stationierung von Hyperschallraketen um ein Drittel teurer sein könnten als bei ballistischen Raketen derselben Reichweite.

Doch der Vorsprung Russlands und Chinas führte dazu, dass die USA ihre Waffenprogramme schnell vorantreiben. Schon 2018 kritisierte der damalige Unterstaatssekretär für Forschung und Technik im Verteidigungsministerium, Michael Grif­fin, dass die USA über keine Hyperschallwaffen verfügen. Washington besitze keine Systeme, die China und Russland „in entsprechender Weise gefährden“ könnten, und die USA hätten keine Abwehrmöglichkeiten gegen deren Hyperschallwaffen. Es sei von höchster Priorität, dass die USA eigene Systeme entwickelten.

„Wir können nur durch technische Überlegenheit siegen“

Amerika würde niemals einen „Mann-gegen-Mann-Konflikt“ gegen China gewinnen, sagte Griffin. „Wir können nur durch technische Überlegenheit siegen.“ Neben Dark Eagle arbeiten die Streitkräfte an weiteren Hyperschallwaffen, die aus der Luft abgefeuert werden. Das Verteidigungsministerium hat für das Haushaltsjahr 2025 ein Budget von knapp sieben Milliarden Dollar für die Forschung beantragt, 2023 waren es noch knapp fünf Milliarden Dollar.

Nun steht zumindest Dark Eagle kurz vor der Einsatzbereitschaft. Zuletzt verlegte Washington eine Batterie erstmals au­ßerhalb der Vereinigten Staaten, für eine Übung in Australien. Die US-Army sprach von einem „historischen Meilenstein“. Der Kommandeur des Indopazifischen Kommandos, Samuel Paparo, betonte: Das bestätige die Fähigkeit des Heeres, „das System in einem vorderen Einsatzgebiet zu stationieren, zu positionieren und zu befehligen und zu kontrollieren“.

US-Fachportale wie „Army Recognition“ feiern Dark Eagle nicht nur als große technische Errungenschaft, sondern auch als „strategischen Wendepunkt“ für die USA. Es definiere die Rolle der Streitkräfte im Bereich weitreichender Präzisionswaffen neu und verändere das Machtgleichgewicht in einer zunehmend multipolaren Welt. Dark Eagle sorge dafür, dass die USA „in diesem entscheidenden Wettlauf“ mit Russland und China „nicht länger nur Zuschauer sind“.

Auch die Bundesregierung hat Interesse an dem Waffensystem. Noch unter Präsident Joe Biden vereinbarten Washington und Berlin die zeitweilige Stationierung von „in Entwicklung befindlichen hypersonischen Waffen“ in Deutschland. Damit dürfte Dark Eagle gemeint sein. Es ist unklar, ob die Trump-Regierung bei dem Vorhaben bleibt. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gab sich nach seinem Antrittsbesuch in Washington im Juli jedenfalls optimistisch: Er sei zuversichtlich, dass die Amerikaner an ihrer Ankündigung festhielten.

Der Fachmann für Raketentechnologie, Fabian Hinz, sagte der F.A.Z., dass es fraglich sei, ob die Amerikaner jenseits einer reinen Stationierung auch bereit wären, Deutschland „diese absolute Hochtechnologie“ zu überlassen. „Diese Hyperschallsysteme sind die Speer­spitze der konventionellen amerikanischen Raketenrüstung.“