Das Foto auf dem Plakat zeigt einen weißen Mann um die 30 in Hemd und Anzug, der seinen Kopf in seine Hände stützt. Er heißt Nicolas, steht daneben, und wirkt verzweifelt, denn „er ist es, der bezahlt“. Mit seinen immensen Steuern und Abgaben finanziere er demnach ein aufgeblähtes Sozialsystem, welches „Nichtstuer“, Sozialschmarotzer und unter diesen vor allem Ausländer geschickt ausnutzen.

„Nicolas“ als typischer Vertreter der arbeitenden Mittelschicht ist eine fiktive Figur, mit der rechte und rechtsextreme Kreise in Frankreich Stimmung gegen eine als zu hoch kritisierte Steuerlast, vermeintliche Profiteure des Systems, „ungezügelte Einwanderung“ und manchmal auch Rentner machen.

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Meme „Nicolas bezahlt“ geht seit Wochen im Internet viral

Vor allem seit Premierminister François Bayrou Mitte Juli große Sparanstrengungen im Kampf gegen die Staatsschulden, darunter die Streichung von zwei gesetzlichen Feiertagen, angekündigt hat, versucht die Opposition, die Wut auf die Regierung anzustacheln. Sie will den Frust und die Abstiegsängste der Menschen für sich nutzen.

Deshalb verbreitet sich der Schlachtruf der Protestbewegung, „Nicolas bezahlt“ („C‘est Nicolas qui paie“), seit mehreren Wochen rasant in den sozialen Medien. Kürzlich ließ ihn der rechtsextreme Abgeordnete Gérault Verny als Marke eintragen. Medien berichten, dass das Rechtsaußen-Magazin „Frontières“, dessen Aktionär Verny ist, T-Shirts und Sticker mit dem Slogan drucken lassen wolle.

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Neid wird von Rechten instrumentalisiert

Kritik an der in Frankreich vergleichsweise hohen Steuern und Abgaben kommt seit Jahren immer wieder auf. Schon 2013 warnte der damalige sozialistische Wirtschafts- und Finanzminister Pierre Moscovici vor einem drohenden „Steuer-Überdruss“. Der republikanische Fraktionschef Laurent Wauquiez wetterte, die Abhängigkeit mancher Menschen von staatlichen Beihilfen sei „ein Krebsgeschwür der Gesellschaft“.

Laurent Wauquiez wetterte gegen die Abhängigkeit bestimmter Menschen von staatlichen Beihilfen.
Archivfoto: dpa/EPA/Eddy Lemaistre

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Neu ist aber, dass bürgerlich und extrem rechte Parteien und Medien versuchen, mit einer Sozialneiddebatte eine gemeinsame Agenda voranzutreiben: Sie wollen weniger Staat, weniger Abgaben, weniger Einwanderung. Für die konservativen Republikaner (LR) Partei biete sich die Chance, im Internet mit Humor aufzufallen, sagte deren Sprecher Jonas Haddad. „Ich höre von vielen jungen Franzosen, die sich fragen, ob es sich noch lohnt, in Frankreich zu bleiben.“

Einriss der Brandmauer zu den Extrem-Rechten?

Mit dem Versprechen, die Mittelschicht zu entlasten, versuchen die Republikaner nach der Serie an Wahlniederlagen der vergangenen Jahre, ihr Profil zu schärfen. Als die angeblichen „Schuldigen“ für die Krise ins Visier genommen werden dabei jene, die von sozialen Hilfen profitieren, zuallererst die Einwanderer. Demgegenüber geben Studien beispielsweise der OCDE an, dass das Land wirtschaftlich insgesamt von Migration profitiert.

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Dank Online-Kampagnen wie jener um „Nicolas“ werde ihr Lager „die kulturelle Schlacht gewinnen“, prophezeite Sarah Knafo, EU-Abgeordnete der Rechtsaußen-Partei „Reconquête“. Sie gehört zu jenen, die auf eine „Vereinigung der Rechten“ hinarbeiten, also ein Einreißen der Brandmauer zwischen bürgerlichen und extremen Rechten, die sich inhaltlich stark angenähert haben.

Le Pens politischer Aufstieg dank „einfachem Volk“

Doch vor allem eine Frau gilt noch immer als Hindernis für so eine „Union“: Marine Le Pen. Die Fraktionschefin und Frontfrau des Rassemblement National (RN) verdankt ihren politischen Aufstieg vor allem der Arbeiterklasse, Arbeitslosen, dem „einfachen Volk“, wie sie es ausdrückt. Sie plädiert nicht für den Abbau des Sozialstaats, sondern verspricht soziale Wohltaten, auch wenn die Finanzierung unklar bleibt. Le Pen sei „sozialistisch“, kritisierte Renconquête-Chef Éric Zemmour seine größte Konkurrentin.

Marine Le Pen und ihr Zögling Jordan Bardella positionieren sich gegensätzlich zur Steuerdebatte.
Archivfoto: dpa/Thomas Padilla

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Auch deshalb setzen manche ihre Hoffnungen in Le Pens Zögling, RN-Parteichef Jordan Bardella, der seit Monaten versucht, sich ein wirtschaftsfreundliches Profil zu verpassen, etwa wenn er Frankreich als „Steuerhölle“ bezeichnet. Sollte Le Pen aufgrund ihrer Verurteilung wegen Korruption bei der Wahl 2027 nicht antreten dürfen, würde der 29-jährige Bardella als Präsidentschaftskandidat nachrücken. Entscheiden dürfte das der Berufungsprozess im nächsten Jahr.

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Auch „Nicolas“ profitiert vom Sozialstaat

Der Verantwortliche für juristische Fragen bei der Nichtregierungsorganisation Attac, Vincent Gath-Drezet, beschrieb die aktuelle Polemik um „Nicolas, der bezahlt“ als fehlgeleitet. Denn in der Rechnung werde vergessen, inwiefern Nicolas zeitlebens von Steuergeldern profitiere, von der Geburt in einer staatlichen Klink über das Betreuungs- und das Schulsystem bis zu eventuellen Hilfen, falls er im Laufe seines Lebens Vater, arbeitslos oder schwer krank werde.

„Insgesamt erhält Nicolas immer dann mehr, wenn er es braucht, und trägt mehr bei, wenn er über mehr Mittel verfügt.“ Das nenne sich Solidarität. Doch genau auf diese wollen die Verteidiger von „Nicolas“ nicht mehr setzen.

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