Frankreichs Vergangenheit als Kolonialmacht in Afrika überschattet bis heute die gleichzeitig engen Beziehungen. Seit seinem Amtsantritt macht sich Präsident Emmanuel Macron für eine kritische Aufarbeitung der teilweise brutalen französischen Herrschaft stark und hat mehrfach die Schuld seines Landes eingestanden.

Nun auch mit Kamerun, das von 1884 bis 1919 deutsche Kolonie gewesen war, bevor Frankreich es nach dem Ersten Weltkrieg übernahm.

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In einem Brief an seinen Amtskollegen Paul Biya räumte Macron vergangene Woche ein, dass Frankreich von 1955 bis 1971, also lange über die Unabhängigkeit von 1960 hinaus, einen „Krieg“ mit „repressiver Gewalt“ in dem zentralafrikanischen Land geführt habe.

Der Kampf galt insbesondere der Unabhängigkeitspartei UPC, die in Opposition zum ersten Staatschef stand. Damit bezieht sich Macron auf die Untersuchungsergebnisse einer gemeinsamen Historikerkommission beider Länder.

Das Schweigen wird beendet

Zuvor hatte er bereits Frankreichs lange Kolonialgeschichte in Algerien und den brutalen Krieg gegen die Unabhängigkeitsbewegung aufarbeiten lassen. Was damals geschah, untersuchen seit 2022 jeweils fünf französische und algerische Geschichtswissenschaftler.

Französisch-algerische Beziehungen Macron glaubt an die Aufklärung – um jeden Preis

Eine ähnliche Kommission hat Macron im April mit Madagaskar gegründet, um die blutige Niederschlagung des Aufstandes von 1947 in der damaligen Kolonie zu untersuchen.

Diese Aufarbeitung des Unrechts, das Frankreich in Afrika begangen hat, ist Teil seiner „public diplomacy“: Sie soll die politischen Beziehungen entgiften und den Unmut gegenüber Frankreich in der Region eindämmen. Aber das gelingt nur bedingt. Warum?

1 Die Realpolitik funkt dazwischen

Algerien mag ein Sonderfall sein, weil die gemeinsame Geschichte extrem lang und komplex ist – und das Regime besonders gern gegen Frankreich mobil macht, um seine fehlende Legitimation und Unpopularität zu übertünchen.

Allerdings wird hier auch deutlich, dass die Vergangenheitsaufarbeitung höchstens langfristig Wirkung zeigen kann, während handfeste politische Konflikte die Tagesordnung beherrschen.

Der Streit um die ehemals spanische Kolonie Westsahara beherrscht die Beziehungen zwischen Marokko und Algerien – Paris hatte sich hier auf die Seite von König Mohammed IV. geschlagen, der das Territorium für sich beansprucht.

© dpa/Alvaro Barrientos

Seit Frankreich die marokkanische Position in Sachen Westsahara übernommen hat, wo Algerien die Unabhängigkeitsbewegung unterstützt, herrscht Eiszeit. Als Reaktion darauf setzte Algier sofort die Arbeiten der gemischten Historikerkommission aus.

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Frankreich wiederum fordert von Algerien mehr Kooperation bei der Rücknahme seiner aus Frankreich abgeschobenen Staatsbürger und die Freilassung des französisch-algerischen Schriftstellers Boualem Sansal. Aufgrund der Weigerung hatte Innenminister Bruno Retailleau für Härte plädiert, was Macron zunächst unterband. Doch kürzlich schwenkte der Präsident um und die Visaerleichterungen für Regimeangehörige wurden eingeschränkt.

2 Die Übermacht geopolitischer Interessen

Im Sahel wird deutlich, wie schwer es ist, lang etablierte Strukturen und Denkweisen aufzubrechen. Hier trat Macron nicht als Reformer, sondern in Sachen Militärpräsenz lediglich als Sachwalter einer geerbten Politik auf.

Aus der Perspektive vieler Bevölkerungen in Westafrika setzte er die traditionelle französische Interventions­politik in den ehemaligen Kolonien fort, allerdings im Auftrag der oft autoritären Herrscher.

Das passte zum Selbstverständnis Frankreichs und Macrons als „grande nation“. Und es wurde auch international und regional von Frankreich erwartet, das hier seit 2013 militante Islamisten bekämpfte.

Schließlich wurde seit 2021 der Abzug französischer Truppen aus Mali, Burkina Faso und Niger nach Regimewechseln erzwungen – und selbst enge Partner Frankreichs wie Senegal und Tschad werfen die ausländischen Soldaten nun hinaus.

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Besonders deutlich wurde die Kontinuitätspolitik im Tschad: Dort hatte Macron 2021 den Staatsstreich nach dem Tod von Langzeitherrscher und Langzeitverbündeten Idriss Déby Itno gebilligt und dessen Sohn Mahamat Déby damit mit an die Macht gebracht.

Ähnlich verhält es sich in Kamerun: Der Zeitpunkt von Macrons Eingeständnis gegenüber Kamerun kann als indirekte Unterstützung von dessen Präsidenten wahrgenommen werden: Der 92-jährige Biya, erst der zweite Präsident seit der Unabhängigkeit, will sich im Oktober zum achten Mal wählen lassen und kann dies nun als seine Errungenschaft präsentieren.

3 Die Diskrepanz zwischen Eliten und Volk

Da in vielen afrikanischen Ländern eine Kluft zwischen Eliten und der restlichen Bevölkerung herrscht, ist es nicht leicht, es allen recht zu machen. Viele afrikanische Präsidenten und Herrscher legten bis vor kurzem ihre eigene Sicherheit gerne in die Hände der Franzosen. Lange wurden die Truppen als Versicherung gegen Putsche gesehen, was bei den Bevölkerungen nicht gut ankam.

Emmanuel Macron setzte beim Gipfel 2021 auf die Jugend Afrikas.

© PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS/Daniel Cole

Die Herrschenden hat Macron wiederum vor den Kopf gestoßen, als er zum Afrika-Frankreich-Gipfel 2021 in Montpellier erstmals keine politischen Führer und Regierungsvertreter des Kontinents einlud. Stattdessen kamen ausschließlich zumeist junge Vertreter der Zivilgesellschaft.

3 Die französische Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen mitziehen

Aber auch die französische Gesellschaft muss mitziehen. Französische Geschäftsleute, gerade von Großkonzernen, werden in Afrika oft als postkolonial im Auftreten wahrgenommen. Offensichtlich gehen viele noch immer davon aus, dass Frankreich eine Sonderstellung gebührt, von der die Unternehmen automatisch profitieren.

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Damit konterkarieren sie die Versuche Macrons, die Beziehungen neu auszurichten. So hat der Präsident 2023 der französischen Wirtschaft ins Gewissen geredet: „Andere Länder sind dabei, uns zu überholen – weil sie die afrikanischen Länder ernst nehmen“, sagte er vor einer großen Reise dorthin.

Noch immer produzierten zu viele Unternehmen mindere Qualität, „weil es für Afrika ist“. Wenn es um große Verträge gehe, müssten die Chefs selber anreisen und dann pünktlich und hochwertig liefern, forderte Macron weiter.

5 Macrons Arroganz

Aber auch Macrons eigene Arroganz macht immer wieder viel zunichte. Unvergessen ist der Witz, den er 2017 im Beisein des Präsidenten der Elfenbeinküste machte, als es um die vielen Stromausfälle im Land ging. Als Roch Marc Christian Kaboré kurz den Raum verließ, scherzte Macron, er sei losgegangen, um die Klimaanlage zu reparieren.

Sie haben vergessen, sich bei uns zu bedanken.

Emmanuel Macron über afrikanische Führer nach dem Abzug der französischen Truppen aus dem Sahel

Zuletzt hatte Macron im Januar 2025 eine Welle der Empörung ausgelöst, als er den französischen Truppeneinsatz im Sahel seit 2013 rechtfertigte. In diesem Zusammenhang warf er den afrikanischen Führern vor: „Sie haben vergessen, sich bei uns zu bedanken.“ Keiner von ihnen würde heute ein souveränes Land führen ohne diese Interventionen, sagte er beim Jahrestreffen der französischen Botschafter in Paris.

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Allerdings ist Macron nicht nur gescheitert. Seine Initiative, das Kapitel Raubkunst aufarbeiten zu lassen, war Vorbild für andere europäische Länder, darunter Deutschland, sich ernsthaft dem Thema zu widmen.

Und immerhin bemüht sich der französische Präsident offensiver um die Vergangenheitsbewältigung, die er zur Chefsache gemacht hat, als beispielsweise die Bundesregierung.