Dresden. Es gibt Floskeln, ohne die kein Gespräch − oder Text − über Helge Schneider auszukommen scheint. Ein schlauer Mann sei das, ein talentierter Musiker noch dazu, ein Ausnahmemusiker. Bonuspunkte auf der nach oben offenen Floskel-Skala gibt es, wenn das (nach zwei Semestern abgebrochene) Musikstudium erwähnt wird − und natürlich: Jazz. Als ob Jazzmusik ein Synonym für kulturellen Feinsinn sei. Irgendwo zwischen Katzeklo und Klamauk müsse der doch zu finden sein. Aber wer am Sonnabendabend in die Junge Garde zum Konzert von Helge Schneider gefahren ist, um Sinn zu suchen, brach auf eine fruchtlose Reise auf. Dort gab es − zum Glück − nur Klamauk, Chaos und Kalauer.
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Kreischen, Quietschen und Grunzen statt Gesang
Schneider wird in wenigen Tagen siebzig Jahre alt, hat gerade den Dokumentarfilm „The Klimperclown“ veröffentlicht und ist mit der Tour „Ein Mann und seine Musik“ in Deutschland unterwegs. Abend für Abend steht „die singende Herrentorte“ mit seiner Band, bestehend aus Sandro Giampietro (Gitarre), Luis Vargas (Trommeln) und Leo Richartz (Bass), auf der Bühne. Schneider selbst spielt im Laufe des Konzerts Klarinette, Piano, Gitarre, Xylophon, Mundharmonika und Trompete, dazu singt er. Obwohl singen zu viel gesagt ist für das, was Schneider auf die Bühne bringt. Häufig ist es schief, nicht im Rhythmus und die Stimme zu einem Kreischen, Quietschen oder Grunzen verzerrt.
Helge Schneider (r.) und Band kommen mit ihrem Mix aus Witz, Jazzinterpretation und Blödsinn beim Publikum in der Jungen Garde Dresden gut an.
Quelle: Michael Lukaszewski
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Doch das tut der guten Stimmung in der fast ausverkauften Jungen Garde keinen Abbruch. Im Gegenteil, es gehört zum Repertoire des Klimperclowns. Das Konzert läuft fast vollständig nach demselben Schema ab: Schneider nennt den Namen des Songs, gibt so etwas wie Interpretationshilfe und dann musizieren die Vier drauf los und lassen dabei viel Raum für Improvisation − eben Jazz à la Schneider.
Die Interpretationshilfe für das Lied „She is gone“ lautet beispielsweise: „Jetzt kommt ein trauriges Liebeslied“. Im Song beklagt das lyrische Ich den Abgang einer Frau, die Butterbrote müssen fortan selbst geschmiert und der Kasten Bier eigenständig in die Wohnung geschleppt werden. Schnell wird klar: Hier geht es nicht etwa um eine Verflossene, sondern um die Mutter des Protagonisten. Das Dresdner Publikum quittiert den Witz natürlich mit Applaus und Gelächter.
„So, das hätten wir auch hinter uns”
Ohnehin muss Schneider nicht viel machen, um die Fans zum Lachen zu bringen. Beim Song „Mr. Gravity“ spielt er kurz Trompete − natürlich schrecklich schief, was wieder zu schallendem Lachen führt. Schneider schaut die Trompete böse an und spielt weiter, auf einmal sind die Töne passend(er). Diese Nummer quittiert das Publikum mit Szenenapplaus.
Helge Schneider fühlte sich auf der Bühne der Jungen Garde sichtlich wohl.
Quelle: Michael Lukaszewski
Direkt nach der Pause steigen Schneider und Band mit ihrem Hit „Katzeklo” ein, gefolgt von „Fitze Fitze Fatze”, ebenfalls einer der bekannteren Songs. Nachdem der letzte Ton verklingt, sagt Schneider trocken: „So, das hätten wir auch hinter uns“.
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„Freie Liebe im Herbst des Lebens“
Eines der musikalischen Highlights des Abends war der Song „100.000 Rosen schick ich dir“. Das Lied sei allen Frauen dieser Erde gewidmet, so Schneider, auch für „doofe, fiese, alte Schabracken“. Langgezogen schmalzig singt Schneider dann über die „freie Liebe im Herbst des Lebens“. Böse Zungen könnten jetzt behaupten, Roland Kaiser verkauft mit ähnlich anspruchsvollen Liedern jedes Jahr mehrfach die Filmnächte aus. Doch anders als die Performance von Schlagersängern ist Schneiders Auftritt nicht glattgebügelt und massentauglich. Stattdessen hustet er ungeniert ins Mikrofon, muss selbst über seine Witzchen lachen und kommt dadurch aus dem Takt oder singt statt des Textes „Ich hab den Text vergessen / Ich hab den Text vergessen / Jaja vergessen“.
In all den Jahrzehnten im Rampenlicht hat sich Schneider einen Ruf erarbeitet, der ihm längst vorauseilt. Teil seiner Kunst ist es zweifellos, seine Art kompromisslos so lange auf die Bühne zu bringen, bis am Ende nur noch die übrigbleiben, die seine Performance wirklich genießen – und bereit sind, dafür zu zahlen.
Die Zuhörer, die als Begleitung mitgekommen sind, ohne genau zu wissen, worauf sie sich einlassen, können einem dabei fast leidtun. Fast – denn wer dem Blödsinn, dem Absurden, dem Quatsch eine Chance gibt, den Schneider und seine Band auf die Bühne bringen, wird mit zwei Stunden voller Schmunzeln bis hin zu lautem Lachen belohnt.
DNN