Am Wochenende wüteten Proteste vor Hotels, in denen Asylbewerber untergebracht sind. Zudem bringt ein Urteil die Regierung unter Druck.

London. Hinter einer dichten Reihe von Polizisten wehen die weiß-roten England-Flaggen und die Union Jacks, es sind grimmige Gesichter zu sehen, hin und wieder ertönt der Ausruf: „Get them out!“ – „Schmeißt sie raus!“ Es ist Freitagabend, etwa 100 Leute stehen vor dem Pavilion Hotel, in einer normalerweise verschlafenen Ecke des Londoner Suburbs Orpington. Die Kundgebung ist eine von Dutzenden, die in den vergangenen Wochen in ganz Großbritannien abgehalten worden sind, auch an diesem Wochenende. Der Zorn der Protestierenden richtet sich gegen Hotels, in denen Asylbewerber untergebracht sind, so wie im Pavilion.

„Schützt unsere Kinder“

In der Menge sind einige Frauen zu sehen, manche haben sich Großbritannien-Flaggen wie einen Mantel umgehängt. Aber der Großteil der Beteiligten sind Männer – einige mit Bierflaschen in der Hand –, die im Lauf des Abends zunehmend ausfällig werden. Richtig wütend werden sie, als auf der anderen Seite der Eisenbahnbrücke der Gegenprotest von etwa fünfzig Antirassisten auftaucht. „Kommt herüber, wenn ihr euch traut!“, rufen die Männer vor dem Hotel. Aber die Polizei hält die zwei Gruppen in sicherer Distanz.

Solche Proteste gegen die „Asyl-Hotels“ bereiten der Regierung von Keir Starmer zunehmend Kopfschmerzen. Rechtspolitiker wie Nigel Farage von der Partei Reform UK wie auch Tory-Chefin Kemi Badenoch heizen die Stimmung zusätzlich an, auch weite Teile der Presse geben den Protestierenden Rückendeckung. Es handle sich um „besorgte Bürger“, heißt es – was teilweise sicher nicht falsch ist. Die Demos begannen Anfang Juli nach einem sexuellen Übergriff an einer Minderjährigen in der Kleinstadt Epping, der Tatverdächtige ist ein Asylbewerber. „Schützt unsere Kinder!“ ist denn auch ein Slogan, den man an den Protesten oft hört. Aber antirassistische Kampagnen warnen, dass viele Proteste von hartgesottenen Rechtsextremen, die solche Vorfälle ausnutzen, organisiert werden.

Stärkung der extremen Rechten

Experten sagen zudem, dass es nicht genug Politiker gebe, die sich der Stimmung gegen Migranten entgegensetzen. „Es gibt viele Bedenken, dass die extreme Rechte gestärkt werden könnte und dass es zu wenige Stimmen im politischen Mainstream gibt, die bei der Migration ein anderes Narrativ fordern“, sagte Paul Jackson von der University of Northampton, ein Experte für Rechtsextremismus, gegenüber dem „Guardian“. Auch Sunder Katwala vom Thinktank British Future sagte, dass sich insbesondere die Labour-Führung zu wenig robust gegen Rassismus ausspreche. Es gebe im Land eine stille Mehrheit, die gegenüber Flüchtlingen tolerant sei. Allerdings helfe es nicht, dass das Asylsystem so dysfunktional sei. „Chaos ist nicht gut für die Fürsprecher der Flüchtlingshilfe“, sagte Katwala.

Derzeit werden landesweit rund 32.000 Asylbewerber in Hotels untergebracht. Das sind acht Prozent mehr, als es noch vor einem Jahr waren. Dass Hotels als Asylunterkünfte genutzt werden, ist der Tatsache geschuldet, dass der Rückstau an unbearbeiteten Asylanträgen so groß ist. Die Labour-Regierung hat angekündigt, ein effizienteres Asylverfahren einzuführen, um Abhilfe zu schaffen. Innenministerin Yvette Cooper hat versprochen, die Nutzung von Hotels bis 2029 zu beenden. Allerdings könnte ihr ein Gerichtsentscheid einen Strich durch die Rechnung machen: Der High Court erließ am Dienstag eine einstweilige Verfügung, laut der die 138 Asylbewerber, die im Hotel in Epping wohnen, innerhalb von 24 Tagen anderswo untergebracht werden müssen. Damit urteilte das Gericht zugunsten des Gemeinderats Epping Forest District Council, der einen entsprechenden Antrag gestellt hatte.

„Wir kriegen euch“

Der Entscheid ist schwere Niederlage für die Regierung, und ihre Gegner feierten ihn triumphierend. Nigel Farage sprach von einem „Sieg für die besorgten Anwohner“. Er hoffe, dass der Fall als Inspiration dienen werde. Die Regierung will gegen den Entscheid Berufung einlegen – aber wenn das Beispiel Schule macht und auch andere Gemeinderäte die Schließung der Asyl-Hotels beantragen, könnte dies zu einem handfesten Problem werden: Das Innenministerium müsste innerhalb von Monaten eine neue Behausung für Zehntausende Asylbewerber finden.

In Orpington wird die Stimmung immer aufgeheizter. Einmal werden die Antirassisten von der Eisenbahnbrücke aus mit Eiern beworfen – sie verfehlen jedoch ihr Ziel, ab­gesehen von einem glücklosen Reporter, dem die Hose versaut wird. Als sie sich am späteren Abend zurückziehen und den Weg zum Bahnhof antreten, müssen die Anti­rassisten von mehr als 100 Polizisten beschützt werden. Aggressive Pöbler in England-Flaggen versuchen immer wieder vergeblich, zu ihnen vorzudringen und handgreiflich zu werden. Sie müssen es bei wüsten Flüchen belassen und rufen: „Das nächste Mal, wenn ihr hier seid, kriegen wir euch.“

„Stoppt die Boote“: Anti-Asyl-Protest.

„Stoppt die Boote“: Anti-Asyl-Protest.  AFP

Lesen Sie mehr zu diesen Themen: