Die momentanen Friedensverhandlungen gehen an den Wurzeln des Konflikts vorbei. Doch wenn Europa nicht zu einer Stimme findet, droht eine Scheinlösung.

Die Ukraine trotzt den Widrigkeiten, leidet aber zusehends unter den russischen Angriffen. Einwohner Kiews nach einem Luftschlag, der am 31. Juli 2025 Wohnblöcke traf. Die Ukraine trotzt den Widrigkeiten, leidet aber zusehends unter den russischen Angriffen. Einwohner Kiews nach einem Luftschlag, der am 31. Juli 2025 Wohnblöcke traf.

Thomas Peter / Reuters

Die Ukraine steht vor paradoxen Entscheidungen. Keine der vorhandenen Möglichkeiten für einen Waffenstillstand ist gerecht, ehrenhaft oder würde einen langfristigen Frieden sichern. Aber um einen Friedensvertrag ging es gar nicht beim Treffen von Donald Trump mit Wladimir Putin in Alaska. Gegenstand war das Schweigen der Waffen, weil die Ukraine langsam, aber stetig Territorien verliert. Doch der amerikanische Präsident ist eingeknickt und hat die Narrative des Kremls übernommen.

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Putin forderte in Alaska den Rückzug der Ukraine aus den Regionen Donezk und Luhansk. Die Ukraine soll ein Gebiet von der Grösse Südtirols abgeben, das die Russen bisher nicht erobern konnten. In den beiden anderen bereits annektierten Gebieten, Saporischja und Cherson, scheint der russische Präsident einem Grenzverlauf entlang der Frontlinie zugestimmt zu haben.

Warum aber ist es für Moskau zentral, dass Kiew den ganzen Donbass aufgibt? Der Grund dürfte sein, dass sich hier der Angelpunkt für die Verteidigung der Ukraine gegen etwaige zukünftige Angriffe befindet. Im Gegenzug für den neuen Grenzverlauf soll Russland zugesagt haben, die Souveränität der Ukraine anzuerkennen und auf Aggressionen gegen andere europäische Länder zu verzichten.

Keine echten Garantien

Als Beobachter könnte man nun meinen, das sei hart, aber damit könne man leben. Sofort stellt sich aber die Frage, wozu Putin die Befestigungsanlagen in der Region Donezk in die Hand bekommen will, wenn er keine weiteren Angriffe plant. In diesen beanspruchten Gebieten hat die Ukraine tatsächlich die längsten, besten, grössten Verteidigungslinien ihrer Front.

Zudem fragt es sich, warum die jetzige Zusage einen höheren Wert haben soll als die bisherigen Erklärungen und Verträge – die Russland Mal um Mal gebrochen hat. Dem Vernehmen nach steht Putin amerikanischen Sicherheitsgarantien gegenüber der Ukraine nicht im Wege – unter Ausschluss einer Nato-Mitgliedschaft, aber in ähnlicher Gestalt wie Artikel 5. Welche Garantien aber gibt es, dass es Putin diesmal ernst meint? Keine.

Das Hauptziel: eine Rumpf-Ukraine

Russland hat nicht die Kraft, die Ukraine ganz zu erobern. Stattdessen hat sich der Kreml als Zwischenziel eine Rumpf-Ukraine gesetzt. Langfristig geht man in Moskau weiter davon aus, Kiew eher früher als später doch noch zu einem Vasallen machen zu können. Deshalb sollen keine oder nur schwache Garantien den Frieden mit der Ukraine sichern. Und man wird auch einkalkulieren, wie viel der Schutz eines amerikanischen Präsidenten wert ist, der fast täglich seine Meinung ändert.

Blinde Flecken im Weissen Haus

Es ist bewundernswert, wie lange und mit welchem Erfolg Kiew dem russischen Angriff entgegentrat. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der kleinere, jüngere Staat seinem neoimperialen Nachbarn personell und materiell unterlegen ist.

Den einzigen Ausweg hätte die Unterstützung aus dem Ausland bieten können. Diese gab es bekanntlich früh; sie erfolgte jedoch nie in der nötigen Qualität und Quantität. Westliche Länder erkannten zwar, dass gegenüber diesem Russland nur eine Politik der Stärke hilft – aber aus Angst, selbst in den Krieg hineingezogen zu werden, handelte man nie entschlossen nach dieser Maxime.

Dann kam Donald Trump zurück ins Weisse Haus. Bei ihm dreht sich alles um «America first» (und das heisst natürlich auch «Trump first»). Langfristige strategische Überlegungen scheinen dem neuen Präsidenten fremd zu sein. So fehlt allem Anschein nach ein Gespür dafür, dass das Beispiel eines Territorialkrieges Schule machen könnte. Oder dass bei einem Diktatfrieden mit revanchistischen Kräften in Kiew zu rechnen ist – und unvorhersehbaren Sekundärfolgen für das ganze politische Gefüge Osteuropas. Überhaupt könnte sich ein alleingelassenes Europa aus der amerikanischen Umarmung befreien wollen und wieder ein geopolitischer Akteur werden.

So weit scheint der US-Präsident nicht zu denken. Seine Administration mutiert immer mehr zu einem Hofstaat, an dem man Bedenken besser für sich behält – auch wenn man es besser wüsste. Die Folgen sind klar. Es geht dem Weissen Haus hauptsächlich um schnelle Resultate, um wirtschaftliche Vorteile – und am Ende dürfte eine Scheinlösung stehen.

Kein gerechter Frieden möglich

Man kann viel von einem fairen, nachhaltigen Frieden reden; solange die Bedingungen dafür fehlen, ist nur ein ungerechter Frieden ohne Stabilität möglich. Trump hat nach Alaska die russischen Narrative vom Friedensvertrag ohne vorherigen Waffenstillstand übernommen. Russland fordert dabei auch, dass zuerst die Ursachen des Krieges beseitigt werden müssten. Letzteres wäre eigentlich richtig. Nur besteht das eigentliche Problem nicht darin, dass in der Ukraine Nazis an der Macht wären, oder wie ähnliche Pseudoargumente lauten, die der Kreml regelmässig vorbringt.

Historische Ängste bis in die Gegenwart

Die zwei zentralen Gründe für den Konflikt lauten anders. Der eine findet sich in der historischen Kontinuität einer russischen Bedrohungsphobie, die seit Jahrhunderten ein Leitmotiv aller Kremlherrscher darstellt. Man sieht sich ständig bedroht, und seit Jahrzehnten stellt nach Moskauer Interpretation der Westen die grosse Gefahr dar. Wie seit je meint man, das Territorium des Reiches erweitern zu müssen, um genügend Zeit und Raum für die Abwehr nach einem Überfall zu haben. Die Erfahrungen aus den Kriegen gegen das revolutionäre Frankreich und gegen Nazideutschland haben eine lange Halbwertszeit – obwohl Russlands Atomwaffenarsenal solche Szenarien seit langem völlig unmöglich macht.

Angst vor der Demokratie

Der andere Grund ist jüngeren Datums. Es geht um den Gegensatz von Demokratie und Autokratie. Die mehr schlechte als rechte Demokratie der Ukraine war in der postsowjetischen Ära eine direkte Gefahr für die neue Moskauer Autokratie. Kiew gelang der Beweis, dass die Diktatur nicht die einzig mögliche Gesellschaftsform nach dem Zusammenbruch der UdSSR war.

Dieses Vorbild stellt für den Kreml die eigentliche Gefahr dar. Und solange es in Russland eine Autokratie gibt, kann sich daran nichts ändern. Zu militärischen Auseinandersetzungen mag es deswegen nur in Ausnahmefällen kommen. Aber bis zu dieser Schwelle verwendet Russland hemmungslos alle Mittel des hybriden Krieges – und baut die eigenen Fähigkeiten in dem Bereich ständig aus.

Europas falsches Selbstbild

Die Ukraine kann diesen Kampf nicht allein führen – und Europa ist unweigerlich verstrickt in diese Auseinandersetzung. Anderes gilt inzwischen vielleicht für die Vereinigten Staaten; Amerika schwebt mit einem Fuss über dem Abgrund des Autoritarismus.

Europa selbst ist mit der Ausnahme der Atomwaffen und fossiler Rohstoffe in allen Bereichen stärker als Russland. Die Schwäche des Kontinents gründet in einem falschen Selbstbild: Man hält sich für schwach. Hinzu kommt die Zersplitterung seiner Kräfte, die unter dem unzeitigen Slogan nationaler Selbstbestimmung aufrechterhalten wird. Sie führt dazu, dass eine kleine Minderheit die überwältigende Mehrheit paralysieren kann. Die Politik der Souveränität vernebelt nicht nur die gegenseitigen Abhängigkeiten, sondern auch die tatsächliche Stärke Europas.

Falsche Beurteilungen, falsche Schlüsse

Die Ukraine wird unter den heutigen Bedingungen, ob sie will oder nicht, de facto Territorien aufgeben müssen. «Selbstbestimmt» und doch eigentlich unter ausländischem Zwang. Ob ihr das Feigenblatt einer De-iure-Ablehnung der Abtretungen bleiben wird, ist ungewiss – und beinahe gleichgültig.

Ein Waffenstillstand entlang der russischen Eroberungen ist das Höchste, was einigermassen realistisch ist. Doch auch dafür wird es keine verlässlichen und nachhaltigen Garantien geben. Würde die Ukraine zum Vasallen, oder gar Teil der Russischen Föderation, kehrte Friedhofsruhe ein, so wie in ganz Russland.

Wenn man es in Kiew aber schafft, demokratisch zu bleiben – trotz der Schmach eines Diktatfriedens und trotz dem darauf unweigerlich folgenden hybriden Krieg –, bleibt das Land für die Moskauer Autokratie ein gefährlicher Unruheherd. Die Ukraine würde weiterhin vormachen, dass es für ehemalige Sowjetrepubliken eine demokratische Alternative zu Putin und Co. gibt. Hierin findet sich die wahre Ursache für den Krieg, weil es aus Moskauer Sicht die Legitimität der Autokratie kraft seines Beispiels infrage stellt.

Drohende Geldnot an der Moskwa

Nicht nur die Ukraine befindet sich in einem paradoxen Zustand. Dasselbe gilt auch für Russland, obwohl das Gegenteil behauptet wird. Auch die Russen brauchen 2025 einen Waffenstillstand – weil Moskau das Geld für den Krieg ausgeht. Intern ist man sich der tickenden Uhr bewusst, doch nach aussen markiert man den starken Mann.

Russland benötigt einen Waffenstillstand, doch die Ukraine braucht ihn noch dringender. Trump sieht dies nicht, hilft Putin aus der Patsche und stärkt damit einen Hauptfeind der USA. Es stimmt nicht, dass Europa allein zu schwach wäre, Putin zu einem Waffenstillstand zu zwingen. Seine einzigen Schwächen sind sein Selbstbild und seine Uneinigkeit – weswegen es sowohl in Washington als auch in Moskau nicht ernst genommen wird. Doch es könnte sein, dass dem Kreml-Herrscher der Jubel ob dem Treffen in Alaska im Hals steckenblieb – als er die versammelten Europäer im Weissen Haus aufmarschieren sah.

Janos I. Szirtes ist Politikwissenschafter und lebt in Budapest.