Leipzig. „Beratungsklau” nennen Händlerinnen und Händler das, was sich schon mal bei ihnen abspielt: Kundschaft lässt sich im Fachgeschäft ausführlich beraten, geht aber ohne Kauf, fahndet im Netz nach einem günstigeren Preis und bestellt es dort.

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Im stationären Handel ist das naturgemäß ein Ärgernis. Belastbare Zahlen zum schon länger existierenden Phänomen gibt es nicht, doch wenn Ladenbesucher Fotos der Ware machen, kann das ein Hinweis auf Beratungsklau sein.

Händler untersagt Fotografieren

Aus einer online durchgeführten Erhebung der Deutschen Presse-Agentur mit der Umfrage-App YouGov geht hervor: Etwa jeder dritte Verbraucher in Deutschland hat sich schon einmal im stationären Handel beraten lassen und anschließend das entsprechende Produkt nach einem Preisvergleich online gekauft.

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Eine schmerzhafte Praxis für Läden, die Einnahmen unter anderem für Miete und Personal benötigen. Um Beratungsklau einzudämmen, hat in Karlsruhe der Leiter eines Laufsportgeschäfts einen Aushang angebracht, auf dem er das Fotografieren untersagt. Wie dramatisch ist die Lage, und ist das der richtige Weg?

Matthias Lappe im Tapir-Laden: „Der Druck für Outdoor-Geschäfte ist in Leipzig ohnehin groß.“

Matthias Lappe vom Leipziger Outdoor-Experten Tapir kennt das Phänomen, „aber mit einer konkreten Zahl ist das ist nicht zu belegen“, sagt er. „Ich gestatte das Fotografieren unserer Ware, doch manchmal bekomme ich schon das Gefühl, dass Kundschaft unsere Beratung nutzt, um woanders zu kaufen.“

Hin und wieder werde er nach einem Preisnachlass gefragt, weil das Produkt im Internet preiswerter sei. „Ich überprüfe das dann am Rechner. Oft liegt die Differenz an verschiedenen Größen oder qualitativen Unterschieden, die der Kunde nicht kennt, dann kläre ich darüber auf.“

Ich erkläre Kunden, dass wir ja nicht aus der Garage heraus verkaufen.

Matthias Lappe

Tapir

Gelegentlich erläutert Lappe Hintergründe zum Geschäft und dessen Bedingungen, „nämlich dass wir ja nicht aus der Garage heraus verkaufen“. Die große Herausforderung für Tapir ist die enorme Konkurrenz. „Leipzig hat deutschlandweit die größte Dichte an Outdoor-Läden, noch vor Berlin“, erklärt Lappe, „da ist der Druck ohnehin sehr groß.“

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Jörg Matthé sieht das Thema für seinen Leipziger Laufladen entspannt. „Unsere Kunden haben ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Qualität, die wir ihnen bieten“, sagt der Inhaber. Dass ein hoher Anteil nach der Beratung auch im Fachgeschäft am Brühl kauft, liegt an mehreren Faktoren.

Eine Menge Erfahrung: Jörg Matthé im Leipziger Laufladen.

„Für unsere aufwendige und hochwertige Diagnostik aus Vermessung und Laufstil-Analyse berechnen wir 39 Euro“, sagt der 56-Jährige, der selbst weit über 100 Marathons absolviert hat. „Kauft man daraufhin die Ausstattung bei uns, werden sie per Gutschein vom Preis abgezogen“.

Bekommt Matthé den Eindruck, dass jemand den Besuch eher als Absprung für den Kauf im Internet nutzen will, setzt er auf ein Gespräch. „Ich erkläre dann, dass wir über zehn Mitarbeitern den Lohn sowie Miete bezahlen und viel in die Technik investiert haben“, sagt er. „Das öffnet manchen die Augen. Vielen ist nicht klar, was da alles dranhängt.“

Laufladen lässt Schuhe herstellen

Ein weiterer Vorteil: Rund 25 Prozent der Laufschuhe lässt der Laufladen selbst herstellen. „Auch manche Markenprodukte können falsch konzipiert sein“, so Matthé. „Als Mitglied des Verbunds ‚Running Experts‘ sind wir ein guter Partner für die großen Hersteller geworden und treiben mit unserer Arbeit die Entwicklung voran.“

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Eine Ausnahmestellung, die man im Einzelhandel selten findet. Im Musikhaus Syhre kommt es auf das Instrument an, das gesucht wird. „Ein Keyboard oder Digital-Klavier kann man ohne weiteres bei uns ausprobieren“, sagt Dietmar Steindorf, einer der beiden Inhaber. „Wer dann statt bei uns im Netz kauft, kann ich nur vermuten.“

Dietmar Steindorf im Musikhaus Syhre: „Wenn man eine bei uns getestete Gitarre online findet, klingt sie trotzdem nicht gleich.“

Bei Gitarren wiederum sieht es anders aus. „Da hat jede einen individuellen Charakter“, erklärt Steindorf. „Wenn man ein bei uns getestetes Modell online findet, klingt es trotzdem nicht gleich. Das ist ein Vorteil.“

Auch wenn bei Syhre manchmal Bilder von Instrumenten oder Equipment gemacht würden, hält Steindorf nichts von Aushängen wie in dem Karlsruher Laden. „Das finde ich alles andere als einladend. Es ist viel besser, wenn die Leute reingehen und merken, dass ihnen fachlich sehr gut geholfen wird.“

HHL-Professor: „Das ist ein alter Hut“

Spricht man mit Erik Maier, ergibt der Vergleich zwischen Online- und stationärem Handel ein differenzierteres Bild. „Beratungsklau kommt sicher vor, aber wenn ich beim Preis nicht wettbewerbsfähig bin, verkaufe ich eh nichts“, sagt der Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und Handel der Handelshochschule Leipzig (HHL).

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Die Debatte sei „eigentlich ein alter Hut aus der Frühphase des Onlinehandels“. Maier betont: „Es passiert deutlich häufiger, dass Verbraucher sich erst im Internet informieren und dann im Laden kaufen.“

Der HHL-Experte verweist auf das Zauberwort „Omnichannel-Marketing“: ein kanalübergreifendes Einkaufserlebnis, das Online-Angebote, Apps, soziale Medien und stationären Handel verzahnt. „Längst steht fest, dass sich Online-Shops auch für kleinere Geschäfte bewähren.“ Es gelte, aus beiden Welten die Vorzüge zu kombinieren.

Noch einmal zur YouGov-Umfrage: Fast die Hälfte der Befragten lehnt Beratungsklau voll und ganz (21 Prozent) oder eher ab (25 Prozent). Hingegen befürworten neun Prozent es eher, im stationären Handel eine Beratung in Anspruch zu nehmen und das entsprechende Produkt dann online zu kaufen. Voll und ganz befürworten es fünf Prozent. 34 entschieden sich für die Antwort „teils/teils“.

LVZ