Priska Lachmann hat wieder ein Buch geschrieben und dieses berührt Menschen, die sich noch berühren lassen können. Gerade auch in Zeiten, in denen der Fokus der „westlichen Wertegemeinschaft“ und der ihr inliegenden Medien nur punktuell die ganze Welt beleuchtet, tut es Not, den Blick zu weiten. Und es tut Not, Mitgefühl als menschlichen Wert ohne Wenn und Aber wieder zuzulassen. Priska ist eine starke Stimme, die Menschen zum Zuhören bringt. Ahoi-Redakteur Volly Tanner traf sie:
Ahoi: Guten Tag, liebe Priska Lachmann. Beim Seitenwechsel-Literaturfest am Bismarckturm Weißenfels durfte ich Deine Lesung aus „Steh auf, mein Kind, und geh!“ erleben, welches Du gemeinsam mit Marie Kresbach geschrieben hast. Das Publikum war mucksmäuschenstill und absolut gebannt, obwohl die Veranstaltung ja sehr offen war. Wer ist denn diese Marie Kresbach?
Priska Lachmann: Das war wirklich ein bewegender Moment, weil das Buch eigentlich sehr tragisch ist, eigentlich eine kaum aushaltbare Geschichte, und sie dann doch mitreißt und bewegt und man sich die ganze Zeit fragt: Wie man so etwas erleben und mit dem Erlebten weiterleben kann. Marie Kresbach ist Krankenschwester und lebt, seit sie neun Jahre alt ist, bei Stuttgart.
Ahoi: Und um was geht es in dem Buch?
Priska Lachmann: 1994 fand in Ruanda der Genozid an den Tutsi statt. Innerhalb von 100 Tagen töteten radikale Hutu rund eine Million Tutsi und oppositionelle Hutu. Das sind die beiden Hauptethnien in Ruanda. Marie lebte damals als Jüngste von zehn Geschwistern mit ihren Eltern in einem kleinen ruandischen Dorf. Wir haben damals in Deutschland davon in den Nachrichten erfahren. Marie verlor fast ihre ganze Familie und musste als Neunjährige fliehen und kam dann nach Deutschland. Wie sie das erlebt hat und wie sie damit leben konnte, so viele Menschen um sich herum sterben zu sehen, davon erzählt sie.
Ahoi: Ich stelle mir das gemeinsame Schreiben mit einer Betroffenen von solch einem Leid extrem schwierig vor. Wie hast du Dich darauf eingelassen? Rein emotional …
Priska Lachmann: Ich habe wirklich viel geweint und auch für sie war es schwierig, alles noch einmal zu durchleben in der eigenen Erinnerung. In einem solchen Prozess frage ich als Autorin dann auch manchmal nach Details, wie: „Weißt Du noch, was Du getragen hast an dem Tag?“ und dann ist es gerade bei traumatischen Erlebnissen sehr schwierig, sich noch einmal hindurch zu wühlen und das zu heilen. Ich habe einen Master in Familien- und Paarberatung, in solchen Momenten kommt mir zugute, dass ich eine psychologische Ausbildung gemacht habe.
Am Ende hat sie zu mir gesagt, dass der Schreibprozess sie vollends geheilt hat und auch ich war sehr stolz auf mich, denn ich musste mich ja in ein neunjähriges Mädchen, das in Ruanda lebt, hineinversetzen und das, obwohl ich noch nie vor Ort gewesen bin.
Ahoi: Und wie seid ihr zusammengekommen, die Marie Kresbach und Du?
Priska Lachmann: Der Verlag hat uns zusammengebracht. Viele Bücher werden von Ghostwritern geschrieben, also von Autorinnen und Autoren, weil es gute Geschichten gibt und wir diesen eine Stimme geben.
Ahoi: Im Buch geht es auch um Gottes Beistand, Du selbst bist Christin, engagierst Dich auch beim Magazin WIR. Kannst Du uns etwas über WIR erzählen, bitte? Wer macht mit, was machst Du dort und wie kam es zum WIR?
Priska Lachmann: Ich habe sogar mal Theologie studiert. Das WIR Magazin war eine mitternächtliche Schnapsidee auf Langeoog. Hier treffen sich Frauen als Netzwerkveranstaltung einmal im Jahr. Uns verbindet, dass wir alle gläubige Christinnen sind und schreiben oder Musik machen. Wir ermutigen uns, lernen voneinander und unterstützen uns. Wir sind verschieden, auch unterschiedlich geprägt in theologischen Antworten, aber fühlen uns verbunden. Diese Verbundenheit trotz Verschiedenheit ist ein großer Wert für uns in einer Zeit, in der oft polarisiert wird. Wir wollten gern ein Onlinemagazin schaffen für all die Frauen, die sich nach einer Community sehnen, in der sie einfach Sein können und in der Austausch möglich ist, ohne dass sich jemand über den anderen erhebt.
Ahoi: Nach dem Buch ist vor dem Buch. An was schreibst Du denn gerade?
Priska Lachmann: Aktuell nochmal an einem Leipzig–Buch. Ich habe diese 111 Orte-Bücher für Leipzig geschrieben, als Nächstes erscheint ein Buch über 22 Touren, die man gegangen sein muss. Ich klettere in Bunkern herum, besuche Lost Places, Friedhöfe und entdecke noch einmal neue Ecken. Leipzig wirkt ja manchmal wie ein Dorf, ist aber trotzdem so groß, dass man immer wieder etwas findet, was einem vorher noch nie aufgefallen ist. Das erscheint mir vorher immer wieder eine Herausforderung zu sein, aber im Laufe des Schreibprozesses, freue ich mich an der spannenden Recherche.
Ahoi: Danke, liebe Priska, dass Du Dir Zeit für uns genommen hast.