Vom 29. bis 31. August werden über 80 schreibende, publizierende und überhaupt ziemlich kluge Menschen in Erlangen zu Gast sein. Im Programmheft stehen allein sechs Namen, die auch auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis zu finden sind: Kaleb Erdmann, Annett Gröschner, Dmitrij Kapitelman, Jehona Kicaj, Nava Ebrahimi und Jonas Lüscher. Ebenfalls im Schlossgarten lesen wird Natascha Gangl, die mit ihrer Sprachperformance die Klagenfurter Jury beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis einfach umgehauen hat. Erlangen wäre aber nicht Erlangen, ginge es hier nur um die Stars des Literarturbetriebs oder das Promoten neuer Bücher. Ein Überblick über drei Tage Literatur pur.
Keine SparausgabePicknick-Atmosphäre: Am Samstag- und Sonntagnachmittag gibt es wieder die Lesenpodien im Schlossgarten, Eintritt frei. Bei Regen zieht man um nach drinnen, in die Orangerie und andere Veranstaltungsorte. (Foto: Erich Malter)
Mehr als zehntausend Bücherfreunde kommen alljährlich nach Erlangen, um im Schlossgarten, in der Orangerie, im barocken Markgrafentheater oder im E-Werk das geschriebene Wort zu feiern. Was in diesen schwierigen Zeiten umso wichtiger ist. Schwieriger geworden sind die Zeiten auch für die Festivalmacher, seit es auch das wohlhabende Erlangen, gerne auch die „heimliche Hauptstadt der Siemens-Welt“ genannt, böse erwischte. Unerwartete Rückzahlungen an einen Gewerbesteuerzahler rissen ein riesiges Millionenloch in den Haushalt. Man kennt das ja aus Berlin oder München: Legt ein Etat die Vollbremsung hin, dann gerät auch die Kultur unter Druck und vieles steht zur Disposition. Was also hat der Sparzwang für die 45. Ausgabe des Erlanger Literaturfestes bedeutet?
„Die auffälligste Auswirkung ist sicherlich, dass das Erlanger Poet*innenfest in diesem Jahr einen Tag kürzer ist als sonst“, so Bodo Birk. Man habe sich dazu entschieden, um so das Wochenende in gewohnter Qualität und Dichte durchführen zu können. Das Festival wird also nicht wie bisher am Donnerstagabend, sondern am Freitagabend beginnen. Dem Spardruck zum Opfer gefallen sind heuer die Übersetzerwerkstatt und der seit 2005 jedes zweite Jahr vergebene „Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung“. Deutlich reduziert werden mussten auch Sonderformate, experimentellere Veranstaltungen, eigene Ausstellungen oder zusätzliche Termine zu einzelnen Neuerscheinungen im Sachbuchbereich.
Man konzentriert sich also eher auf das klassische Festivalprogramm. Bodo Birk: „Wir empfinden es als eine angemessene Reaktion auf die schwierige Haushaltslage.“ Doch bei über 60 Veranstaltungen an drei Tagen könne man letztlich nicht von einer Sparausgabe sprechen.
Porträt-Abende im MarkgrafentheaterDie Journalistin und Autorin Eva Menasse kommt am Samstag zum Porträtabend ins Erlanger Markgrafentheater. (Foto: Imago/Manfred Segerer)
Unangetastet geblieben ist die Tradition der Porträts, die Autorinnen und Autoren mit speziellen Abendveranstaltungen im Markgrafentheater gewidmet sind: Saša Stanišić liest dort am Freitag, 29. August, (20.30 Uhr) aus seinem aktuellen Erzählband mit dem wohl längsten Titel im Festivalprogramm: „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“. Im Gespräch mit Kulturjournalistin Meike Albath geht es aber auch um die Zufälligkeit von „Herkunft“, so der Titel seines Buches, mit dem er 2019 den Deutschen Buchpreis gewann. Stanišić wurde 1978 in Jugoslawien geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Pass, Studium, Spiegel-Bestseller? Ab wann labled man dich im Literaturbetrieb hierzulande als „deutscher Autor“? Fragen, die sich Saša Stanišić stellt. Seinen Namen hatte damals nach dem Buchpreisgewinn selbst die „Tagesschau“ nicht korrekt wiedergegeben.
Das Erlanger Markgrafentheater ist das älteste noch bespielte Barocktheater Süddeutschlands. (Foto: Erich Malter)
Eine Stimme, die nicht erst seit ihrem Engagement in der Schriftstellervereinigung Pen Berlin unüberhörbar und unverzichtbar im gesellschaftlichen Diskurs ist, gehört der Schriftstellerin Eva Menasse. Sie ist am Samstag, 20.30 Uhr, im Markgrafentheater beim Talk mit Korbinian Frenzel zu erleben. In ihrem Essay-Band „Alles und nichts sagen. Vom Zustand der Debatte in der Digitalmoderne“ etwa denkt die gebürtige Wienerin, Jahrgang 1970, darüber nach, was die digitale Massenkommunikation in der Gesellschaft und zwischenmenschlich anrichtet. In ihrem literarischen Debüt „Vienna“ 2005 stand ihre eigene jüdisch-mährisch-katholische Familiengeschichte Pate. Und auch im Epos „Dunkelblum“ (2021) stochert sie in Österreichs brauner Geschichte. Ausgangspunkt ist ein Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern 1945.
Lange Lesenachmittage im SchlossgartenHat die Klagenfurter Jury überzeugt: Die österreichische Schriftstellerin Natascha Gangl ist Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin 2025. (Foto: Hans Klaus Techt/APA/dpa)
An die Erschießung jüdischer Menschen im Grenzgebiet zwischen Österreich, Ungarn und Slowenien erinnert auch „Da Sta“, Natascha Gangls hochpoetischer, widerspenstiger Text, mit dem sie durch ihren Vortrag im steirischen Dialekt in Klagenfurt der Jury und dem Publikum Klangräume öffnete. Gangl liest am Samstag um 14.30 Uhr bei der Revue der Neuerscheinungen im Schlossgarten.
Ulrike Draesner erzählt die „Odyssee“ aus weiblicher Sicht in ihrem neuen Buch „Penelopes Sch()iff“. (Foto: Berliner Akademie der Künste/Imago)
Am Samstag und Sonntag können sich die Besucherinnen und Besucher im Schlossgarten zwischen Literaturbühnen treiben und auf diversen Sitzmöbeln niederlassen, oder die Liegewiese unter den hohen Bäumen auch zur Lesewiese machen (bei Regen geht’s in die Orangerie und andere Veranstaltungshäuser). Am Samstag ist dort neben Gangl beispielsweise auch der Münchner Autor Steven Uhly, der seine Road Novel „Death Valley“ vorstellen wird (14 Uhr). Hörbar aus München stammt auch Ulrike Draesner (15 Uhr), die aber mittlerweile in Berlin lebt. Nach ihrem großen Generationen-Roman über deutsch-polnische Frauen-Schicksale im 20. Jahrhundert in „Die Verwandelten“ und dem autobiografischen Buch „zu lieben“ über die Adoption ihrer Tochter hat sich Draesner in „Penelopes Sch()iff“ mythologischen Stoff vorgenommen. Wofür steht die Klammer? Für ein L? Und hat Königin Penelope wirklich 20 Jahre webend und weinend auf Odysseus gewartet? Sollte man sie fragen.
Mit seinem Buch „Verzauberte Vorbestimmung“ steht der Münchner Autor Jonas Lüscher auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. (Foto: Alessandra Schellnegger)
Am Sonntag dann weitere Longlist-Platzierte: Jonas Lüscher (13.30 Uhr) mit seinem Buch „Verzauberte Vorbestimmung“, das so viel mehr ist als ein „Corona-Roman“, hochkomplex, eine Leseherausforderung, die man unbedingt annehmen sollte. Dann geht es Schlag auf Schlag, und es dürfte voll werden vor den Lesebühnen. Dmitrij Kapitelmans großartiges Buch „Russische Spezialitäten“ erzählt davon, wie Putins Angriffskrieg auf die Ukraine eine Familie entzweit. Und auch ihm sollte man unbedingt eine Frage stellen: „Dreischweinchenwurst“ – was ist das? (15 Uhr).
Liest im Schlossgarten: Auch Annett Gröschners aktueller Roman „Schwebende Lasten“ könnte den Deutschen Buchpreis gewinnen. (Foto: Susanne Schleyer/picture alliance/dpa)
Annett Gröschner, die große Flaneurin und Menschenforscherin der deutschen Literatur, liest aus „Schwebende Lasten“, ein Buch über eine Frau, die zwei Weltkriege und zwei Diktaturen überlebt. Eine DDR-Kranführerin mit einer ausgeprägten Liebe zu Blumen und Literatur (15.30). Kaleb Erdmann folgt um 16 Uhr mit „Die Ausweichschule“. Und es sind so viele mehr. Auch Tommie Goerz, der großartige Erlanger Autor (17.30 Uhr) ist selbstverständlich dabei.
Gespräche und DiskussionenWelche Bücher er wohl auf seinem Nachttisch im Weißen Haus liegen hat? „Trump reloaded und die Folgen“ lautet das Thema eines der Diskussionsabende in der Orangerie. (Foto: Mark Schiefelbein/AP/dpa)
Die Literaturtage Ende August in Erlangen sind von jeher auch ein Ort des Austauschs über aktuelle politische Diskurse. Spannend könnte es werden, wenn am Freitag im Redoutensaal (18 Uhr) über den Neuen im Kanzleramt diskutiert wird (mit den Journalisten Robin Alexander, Mariam Lau und Sara Sievert). Oder wenn Fikri Anıl Altıntaş, Rebekka Endler, Heike Specht und Martin Speer am selben Abend (20.30 Uhr) in der Orangerie im Schlossgarten über „Männlichkeitswahn(sinn) in Politik und Gesellschaft“ diskutieren.
Apropos: Um ihn geht es natürlich auch, „Trump reloaded und die Folgen“, darüber reden ebendort am Samstag (19 Uhr) mit reichlich USA-Expertise Christoph von Marschall und Rachel Tausendfreund. Über „Sprachmacht – Macht der Sprache“ unterhalten sich am Sonntag (15 Uhr) in der Orangerie Ulrike Draesner, Jeannie Moser, Richard C. Schneider und Ilija Trojanow. Und auf den „langen Weg zum Frieden. Leid und Hoffnung im Nahen Osten“ begeben sich am Sonntag in der Orangerie (18 Uhr) im Gespräch Ali Fathollah-Nejad, Pierre Jarawan, Richard C. Schneider und Daniela Sepehri.
Was es sonst noch gibtBuchdruck wie zu Gutenbergs Zeiten: Die Druckwerkstatt beim Poetenfest ist bei Kindern und Jugendlichen beliebt. (Foto: Erich Malter)
Auch wenn der Rotstift angesetzt werden musste, gibt es noch etliche „Sonderveranstaltungen“ beim Erlanger Poet*innenfest. So kehren beispielsweise die „Komplizinnen“ zurück. Erstmals zusammengefunden haben sie sich, in kreativ illuminierter Stimmung, 2021 in einer Erlanger Kneipe. Und weil in solchen Örtlichkeiten sowieso die besten Ideen geboren werden, stellen Shida Bazyar, Nava Ebrahimi und Mithu Sanyal, drei der Urkomplizinnen, nun wieder neue Stimmen in der deutschsprachigen Literaturszene vor (Freitag, 17 Uhr, Markgrafentheater).
Etwas andere Stimmen, die sind auch beim Open Air Poetry Slam am Sonntag (19 Uhr) im Kulturzentrum E-Werk zu hören. Mit dem Münchner Julius Althoetmar kommt der amtierende Bayerische Meister im Poetry Slam, aus Österreich reisen die Autorin, Rapperin und Slammerin Mieze Medusa und Elias Hirschl an. Bühnenpoetin Pauline Füg hingegen hat’s nicht weit, sie lebt im Fürth. Und Musik gibt es auch: Die liefert Ursprungsoberammergauer Maxi Pongratz.
Kein Poetenfest ohne den Büchergarten im E-Werk, denn schließlich „Zusammen liest man weniger allein“. Und geblieben sind auch das junge Podium und die Druckwerkstatt im Schlossgarten, wo Kinder und Jugendliche am Samstag und Sonntag auf verschiedenen Druckpressen Schriftwerke entstehen lassen – wie zu Gutenbergs Zeiten. So wie alles begann.
„Erlanger Poet*innenfest“, 29. bis 31. August, der Eintritt zu den meisten Veranstaltungen ist frei, bei Regen indoor, Informationen unter www.poetenfest-erlangen.de