Ältere Menschen sind immer für eine Überraschung gut. Offenbar trifft das auch auf Institutionen zu. Die ARD feiert in diesem Jahr ihren 75. Und macht einen auf jung. Also ganz jung. Sie wissen schon: Haare im Nacken und an der Seite rasiert, lässiges schwarzes T-Shirt, die Jeans erinnert an ein Zelt und hängt so tief, dass man die Marke der Unterhose lesen kann – dazu Turnschuhe von der Eleganz eines Ziegelsteins.

Die ARD macht jetzt in Gaming. Dabei wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Wenn Sie also schon immer einmal wissen wollten, wofür Ihre „freiwillige monatliche Demokratieabgabe“ (Zwinkersmiley) in Höhe von 18,36 Euro verwendet wird, dies aber nicht zu fragen wagten – Kai Gniffke, der Intendant des SWR, erklärt es Ihnen gern: „Digitale Spiele sind ein fester Bestandteil unserer Kultur, verbinden Millionen Menschen und prägen den gesellschaftlichen Diskurs. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bieten sie die Chance, Vielfalt zu fördern, demokratische Werte und Wissen zu vermitteln – und Zielgruppen zu erreichen, die wir über klassische Angebote kaum noch ansprechen.“ Für solche Sätze wird man übrigens mit einem Gehalt von 403.146 Euro im Jahr belohnt.

Wenn Sie also demnächst wieder einmal im Schlafanzug halb zwölf Uhr abends an der Zimmertür Ihres 16-jährigen Sohnes rütteln, um ihn vom Daddeln abzuhalten und daran zu erinnern, dass morgen früh die Schule beginnt, bedenken Sie: Ihm werden gerade „demokratische Werte und Wissen vermittelt“. Allerdings: Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Sohn „die Vielfalt fördert“, indem er ein vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk entwickeltes Spiel zockt, ist in etwa so wahrscheinlich wie freiwillige Reformen bei ARD und ZDF. Denn die drei bisher entwickelten ÖRR-Spiele bezeichnet die FAZ als „Videospiel-Snacks“, die „für die Szene von geradezu erschütternder Irrelevanz sein dürften“.

Wie viele Gebührengelder das Spiel gekostet hat, ist natürlich geheim

Das soll sich ändern. Also hat die hippe ARD pünktlich zur Spielemesse Gamescom das „ARD Games Netzwerk“ gegründet. Bei Tencent, Sony und Nintendo, den größten Spielefirmen der Welt, haben sie sich wahrscheinlich vor Schreck ob der neuen Konkurrenz am grünen Tee verschluckt. Was sie dort aber garantiert noch nicht wussten: „Keine mediale Community“ ist „so divers“ wie die „der Gamer“. Spiele „prägen den Diskurs, regen an zur öffentlichen Meinungsbildung und inspirieren andere Mediengattungen“, behauptet zumindest die Pressemitteilung der ARD.

Thomas Josef Dauser, Chef Innovationsmanagement und Digitale Transformation beim SWR

Thomas Josef Dauser, Chef Innovationsmanagement und Digitale Transformation beim SWRPatricia Neligan/dpa

Mit dem kreativen Move des „ARD Games Netzwerks“ hat der 64-jährige Kai Gniffke natürlich jemanden beauftragt, der deutlich näher dran ist an der jungen Zielgruppe als der Intendant: Den 50-jährigen Thomas Dauser. Der ist Direktor Innovationsmanagement und Digitale Transformation und wird auf der SWR-Website damit angepriesen, schon einmal den „Medienpreis der Kindernothilfe“ erhalten zu haben.

Die Direktion wurde vor vier Jahren neu gegründet und baute „Teams“ unter anderem für „Analytics, Suchmaschinenoptimierung sowie das X Lab, das Innovationslabor des SWR, auf“. Ein Data Lab unterhält der SWR auch, aber das ist eine andere Geschichte. Dauser, der auch in KI und Personalisierung macht, erhält übrigens ein Jahresgehalt von 245.393 Euro.

Das „ARD Netzwerk Gaming“ ist für Dauser ein „Meilenstein für die strategische Weiterentwicklung des Innovationsfelds Gaming“. Denn fast alle machen mit: WDR, NDR, MDR, HR und BR. Und der SWR ist der Federführer. Aber was machen die da eigentlich genau? Auch das erklärt die Pressestelle der ARD im typischen Sprech einer Medienbehörde: „Mit dem Netzwerk sollen Synergieeffekte besser genutzt, Vorhaben koordiniert und strategische Leitplanken für zukünftige Games-Projekte gesetzt werden.“ Denn: „Die ARD kann Games. Jetzt machen wir mehr daraus.“

Vor einem Jahr stellte der SWR ein solches Spiel unter der Überschrift „Fürs Klima kämpfen in der virtuellen Welt“ vor: „GreenGuardiansVR“ heißt es, ein „Virtual Reality Experiment zum Klimanotstand für die Generation Z“ soll es sein. Mit einer Laserkanone kann man „fliegende Öldrohnen eliminieren“. Allein die verwendeten Begriffe „Klimakrise“ und „Klimanotstand“ lassen aufhorchen, werden sie doch sonst nur von Aktivisten verwendet. Korrekt wäre Klimawandel. Das Spiel ist wie alle Spiele beim ÖRR kostenlos. Wie viele Gebührengelder das Spiel gekostet hat, ist natürlich geheim.

„Bau eine Burg für die Gräfin“ – das erste Roblox-Spiel der ARD.

„Bau eine Burg für die Gräfin“ – das erste Roblox-Spiel der ARD.obs/SWR/dpa

Hakenkreuze in Gaming-Gruppen

Noch skurriler ist das Spiel, welches der SWR in diesem Jahr auf der Gamescom vorstellt. So wurde es angekündigt: „Beim Roblox-Game ‚Bau eine Burg für die Gräfin‘ gilt es, innerhalb von 20 Minuten Ressourcen wie Stein, Holz und Mörtel zu sammeln, Gebäude zu errichten und damit möglichst viele Bewohnerinnen und Bewohner in die Burg zu locken. Extra-Punkte gibt es für Nebenaufgaben der Gräfin und ihrer Gefolgsleute … Mit der Roblox-Version kann nun jede und jeder selbst zur Burgherrin oder zum Burgherrn werden.“

Roblox ist eine private Plattform für Spiele in den USA. Gerade werden laut „Tagesschau“ Hunderte Klagen gegen den Betreiber vorbereitet, da dieser die Nutzer, in der großen Mehrzahl Kinder und Heranwachsende, zu wenig vor sexuellen Übergriffen schützt. Lizz Murrill, die Generalstaatsanwältin von Louisiana, sagt dazu: „Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie dieses Unternehmen durch die Ausbeutung von Kindern wächst und profitgetrieben sexuellen Kindesmissbrauch ermöglicht.“

In einem zweiten aktuellen „Tagesschau“-Artikel heißt es: „Rassistische Nachrichten im Voice-Chat, Hakenkreuze in Gaming-Gruppen oder nachspielbare Attentate: Im Gaming gibt es eine lebendige rechtsextreme Szene.“ Gleich zu Beginn wird darin prominent Roblox erwähnt. Das ist also die Plattform, für die nun die ARD indirekt wirbt, da sie Voraussetzung für ihr aktuelles Spiel ist.

Und es gibt ohnehin ein Problem: Die ARD darf keine Spiele ohne Sendebezug entwickeln. Zur Erklärung: Was der öffentlich-rechtliche Rundfunk senden soll, gibt die Politik vor. Und zwar in Gestalt der 16 Ministerpräsidenten, die dies im Medienstaatsvertrag festgelegt haben. Alles wird vorgegeben: Wie viele TV-Programme und Hörfunkwellen, sogar der Auftrag: Kultur, Unterhaltung, Information, Bildung und Sport.

Diese „strategischen Leitplanken“ wie sie bei der ARD formulieren würden, werden nun interpretiert und gedehnt. Denn: Welche Websites und Social-Media-Kanäle betrieben werden sollen, findet sich nicht im Medienstaatsvertrag. Folge: Wie viele es mittlerweile gibt und was sie beinhalten, weiß niemand. Der Experte Lutz Olaf hat auf X allein die Zahl der öffentlich-rechtlichen Social-Media-Kanäle auf 2000 geschätzt.

Der SWR greift zu einem Trick

Doch: Wo kein Kläger, da kein Richter. Die Aufsichtsgremien, also die Rundfunkräte der Sender, legen ARD und ZDF keine Fesseln an. Den Rundfunkräten, fast alle Ü50, erklären die ARD-Direktoren, dass man mit der Zeit gehen müsse und nur so an die junge Zielgruppe herankomme. Ein Argument, welches sicher nicht völlig von der Hand zu weisen ist.

Sitzung des Rundfunkrats des ARD-Senders Radio Bremen

Sitzung des Rundfunkrats des ARD-Senders Radio BremenSina Schuldt/dpa

Nun also Spiele. Hierzu gibt es im Medienstaatsvertrag eine Negativliste. Demnach sind „Spieleangebote ohne Bezug zu einer Sendung“ explizit unzulässig. Die taz bezeichnete das Vorgehen deswegen bereits als „Gratwanderung“. Das Branchenmagazin Medieninsider wies darauf hin, dass die Sender „bisher nur eingeschränkt im Gaming-Segment agieren“ dürfen.

Der SWR griff deswegen zu einem Trick. Das Spiel sei ein „sendungsbegleitendes Spiel“ und entspreche den formalen Anforderungen an die Verwendung der Rundfunkgebühren. Es gehöre zur Einzelsendung „KlimaZeit – Klimawirksame Lügen“ auf Tagesschau24. Einem Nischenkanal, der fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit sendet.

Doch SWR-Direktor Dauser verteidigt sich und teilt auf LinkedIn mit: „Ein Onlinespiel ist dann sendungsbezogen, wenn damit die konkrete Sendung thematisch und inhaltlich vertieft und begleitet wird. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn auf die für die Sendung genutzten Materialien und Quellen zurückgegriffen beziehungsweise das Spiel aus dem gedanklichen Inhalt der Sendung entwickelt wurde.“

Das verwundert. Denn in einer Projektpräsentation des Spiels am 7. Juni 2023 in Berlin hieß es: „Dieses Erlebnis macht die Auswirkungen des Klimanotstandes und unsere eigene Handlungsfähigkeit erlebbar. Dabei zeigt der SWR journalistisch aufbereitet und wissenschaftlich akkurat in 360 Grad, wie sich die Welt verändern könnte und wie unser Handeln verschiedene Szenarien beeinflusst.“

Bezug zum Computerspiel wirkt konstruiert

Über ein Jahr später, am 9. August 2024, lief dann die „KlimaZeit“. Wie kann aus „dem gedanklichen Inhalt einer Sendung“ etwas entwickelt werden, was bereits über ein Jahr zuvor präsentiert wurde? Und wer sich die Sendung „KlimaZeit“ ansieht, wird von einem Beitrag über Stechmücken überrascht. Nach elf Minuten gibt es einen Beitrag über „Klima-Lügen“ von Exxon Mobile, bevor über Hitzetote berichtet wird. Der Bezug zum Computerspiel wirkt also konstruiert. Und man darf auch auf die Begründung zum neuen Spiel „Bau eine Burg für die Gräfin“ gespannt sein.

Noch einmal Kai Gniffke, der sich vor einem Jahr selbst an den Stand der ARD auf der Spielemesse in Köln setzte: „Wir wollen im Rahmen unseres Auftrags und unserer medienrechtlichen Möglichkeiten relevante und neue Perspektiven jenseits kommerzieller Zwänge eröffnen. Der Start des ARD Games Netzwerks ist auf diesem Weg ein wichtiger Schritt.“

Daraufhin hat Thomas Lückerath, Gründer und Chefredakteur des Branchendienstes DWDL, in einem Artikel ironisch vorgeschlagen, eine öffentlich-rechtliche Fitness-Studio-Kette zu eröffnen, denn das sei ja auch gerade ein riesengroßer Trend und man könne dem Auftrag gemäß etwas zu Ernährung und Gesundheit vermitteln. Sein Fazit: „In der aktuellen medienpolitischen Debatte ist es bemerkenswert, mit welchem Stolz man einfach frech weiter expandiert.“ Gemeint ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk.