Milliarden für nichts?

Die EU will digital unabhängiger werden. 5 KI-Rechenzentren für 20 Milliarden Euro sollen entstehen, auch Wien hat sich für eines beworben. In einem Gastbeitrag für den Economist warnt Christian Klein, Vorstandschef von SAP, vor diesem Weg.

SAP-Chef Christian Klein hält KI-Rechenzentren in Europa für Humbug

SAP-Chef Christian Klein hält KI-Rechenzentren in Europa für HumbugPicturedesk

The EconomistAkt. 26.08.2025 23:34 Uhr

Die Debatte um digitale Souveränität hat Europa erfasst. In einer Zeit geopolitischer Spannungen und technologischer Rivalität ist der Wunsch, sein digitales Schicksal selbst zu bestimmen, verständlich und notwendig. Die Frage ist nicht, ob Europa souverän sein sollte, sondern wie.

Leider ist die aktuelle Antwort des Kontinents Milliarden von Euro in den Bau riesiger Rechenzentren zu stecken und Hardware-Investitionen zu subventionieren. Es ist eine fehlgeleitete Lösung für das falsche Problem.

Die Europäische Union plant, 20 Milliarden Euro in bis zu fünf “ KI- Gigafactories“ zu investieren – riesige Rechenzentren, die Europa helfen sollen, in der künstlichen Intelligenz aufzuholen. Dieser Ansatz basiert auf der Prämisse, dass der Besitz der physischen Infrastruktur der Schlüssel zur Unabhängigkeit ist.

Doch wer glaubt, dass Server und Prozessoren allein die europäische Souveränität sichern, verkennt die Natur der globalen technologischen Interdependenz, die gegenseitige Abhängigkeit, und übersieht Europas wahre digitale Stärken.

"Der Hardware-Zug ist für Europa abgefahren", sagt Christian Klein

„Der Hardware-Zug ist für Europa abgefahren“, sagt Christian Klein

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Der Hardware-Zug ist abgefahren. Selbst wenn ein Rechenzentrum von einem europäischen Anbieter auf europäischem Boden betrieben wird, werden seine wesentlichen Komponenten – von Prozessoren bis hin zur Netzwerktechnologie – mit ziemlicher Sicherheit in den USA entwickelt und in Asien hergestellt.

Um vollständige technologische Unabhängigkeit zu erreichen, müsste jegliche ausländische Hardware und logischerweise auch die in europäischen Unternehmen tief verwurzelte ausländische Software verboten werden.

Ein solcher Schritt wäre unpraktisch und wirtschaftlich ruinös und würde Europa von Innovationen in anderen Ländern abschneiden. Tatsächlich benötigen die meisten Kunden die Leistung und Innovation, die amerikanische Cloud-Anbieter ermöglichen.

Der globale KI- Wettlauf wird von konkurrierenden Ansätzen geprägt, angeführt von den USA und China. Auf der einen Seite steht ein agiles Ökosystem von Technologieunternehmen, das rasant Innovationen hervorbringt. Auf der anderen Seite steht ein staatlich gelenkter Ansatz, bei dem Innovationen an der nationalen Strategie ausgerichtet sind.

Das SAP-Hauptquartier im deutschen Walldorf, Baden-Württemberg: Der Konzernumsatz betrug im Vorjahr 34 Milliarden Euro

Das SAP-Hauptquartier im deutschen Walldorf, Baden-Württemberg: Der Konzernumsatz betrug im Vorjahr 34 Milliarden Euro

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Europa muss seinen eigenen Weg gehen und Offenheit, schnelle Entscheidungsfindung und strategische Investitionen fördern. Gleichzeitig muss es eine intelligente Regulierung anwenden, die Ergebnisse und nicht Ideen bestimmt.

Dies kann erreicht werden, indem man auf den Stärken des Kontinents aufbaut, darunter exzellente Forschung und eine starke industrielle Basis. Dieses Modell muss wirtschaftsorientiert, aber wertorientiert sein und in europäischen Prinzipien wie der Achtung der Privatsphäre, dem Datenschutz und der demokratischen Rechenschaftspflicht verankert sein.

Um dies zu erreichen, müssen wir uns mit einer Form digitaler Souveränität anfreunden, die sowohl auf Selbstbestimmung als auch auf gegenseitiger Abhängigkeit beruht. Wahre Souveränität bedeutet, stets die Kontrolle über die eigenen Daten und Vermögenswerte zu behalten und gleichzeitig die besten verfügbaren Technologien – unabhängig von ihrer Herkunft – nach den eigenen Vorstellungen einzusetzen.

Ein Einheitsansatz reicht nicht aus. Stattdessen muss die Kontrolle an die Sensibilität der Daten angepasst werden. Für die sensibelsten öffentlichen Daten, etwa im Verteidigungs- oder Gesundheitswesen, benötigen wir vollständig isolierte Cloud-Umgebungen, die von sicherheitsüberprüftem Personal betrieben werden.

"Der globale KI- Wettlauf wird von konkurrierenden Ansätzen geprägt, angeführt von den USA und China"

„Der globale KI- Wettlauf wird von konkurrierenden Ansätzen geprägt, angeführt von den USA und China“

BRENDAN SMIALOWSKI / AFP / picturedesk.com

Sensible Unternehmensdaten müssen jedoch nicht vollständig vom Internet abgeschirmt werden; Priorität sollte hier darauf liegen, dass die Daten in Europa bleiben und durch hohe Cybersicherheitsstandards und kundengesteuerte Verschlüsselung geschützt sind.

Für viele andere Anwendungsfälle können Daten auch außerhalb Europas verarbeitet werden, sofern die entsprechenden Standards eingehalten werden. Mein eigenes Unternehmen – gemessen am Marktwert Europas größtes Technologieunternehmen – kann seinen Kunden diese Optionen bereits anbieten, darunter eine vollständig souveräne Cloud für ausgewählte nationale Regierungen.

Digitale Souveränität ist jedoch kein Selbstzweck. Sie ist ein Mittel zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Der Bau von Rechenzentren allein steigert die Produktivität nicht. Wirklicher Fortschritt entsteht durch die Umgestaltung unserer Arbeitsweise: durch den Einsatz von KI zur Steigerung von Effizienz und Nachhaltigkeit, durch die Digitalisierung von Prozessen und durch die Neugestaltung von Geschäftsmodellen.

Diese KI – Anwendung wird die Nachfrage nach enormer Rechenleistung, Rechenzentren und fortschrittlichen Chips steigern. Anstatt Infrastruktur zu subventionieren und auf das Beste zu hoffen, sollten öffentliche Investitionen direkt in angewandte KI und Software fließen, die greifbare Wettbewerbsvorteile schaffen. Genau das leistet moderne Unternehmenssoftware durch die Einbettung von KI in Geschäftsprozesse.

Christian Klein ist seit 2020 Vorstandsvorsitzender von SAP

Christian Klein ist seit 2020 Vorstandsvorsitzender von SAP

Reuters

Auch die Industrie muss sich steigern. Denken Sie an ihre komplexen Lieferketten – und stellen Sie sich vor, mithilfe von KI ein selbstorganisierendes Netzwerk zwischen europäischen Unternehmen aufzubauen, das Störungen vorhersagt, Lieferungen umleitet und die Klimaziele optimiert.

Dieser Sprung in Sachen Resilienz und Effizienz, der Echtzeit-Tracking statt vager Versprechungen bietet, würde Europas Wirtschaft langfristig stärken – nicht mit konkreten Mitteln, sondern mit Code.

Die Politik muss hierfür die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Trotz guter Absichten birgt das EU-Datengesetz die Gefahr einer Überregulierung der Datennutzung und einer übermäßigen Bürokratiebelastung für Unternehmen. Nach Kapitel II müssen selbst kleine Unternehmen Produkte entwickeln, die den Datenaustausch ermöglichen, auch mit Dritten, die direkte Konkurrenten sein könnten.

Auffallend ist, dass das Gesetz den etablierten wettbewerbsrechtlichen Grundsatz ignoriert, dass nur von marktbeherrschenden Akteuren unter bestimmten Bedingungen erwartet werden sollte, Wettbewerber zu unterstützen. Eine Maßnahme, die Innovationen fördern soll, könnte diese letztlich ersticken.

Facebook & Co: Die EU sollte das im vergangenen Jahr in Kraft getretene KI-Gesetz aussetzen, sagt Klein

Facebook & Co: Die EU sollte das im vergangenen Jahr in Kraft getretene KI-Gesetz aussetzen, sagt Klein

Reuters

Ebenso sollte das im vergangenen Jahr in Kraft getretene KI-Gesetz der EU ausgesetzt werden, bis mehr Klarheit über seine genauen Auswirkungen besteht. In jedem Fall sollten wir Innovation statt Bürokratie priorisieren.

Darüber hinaus erfordert die Förderung der KI -Anwendung in der gesamten Wirtschaft deutlich mehr Investitionen in entsprechende Bildungsinitiativen. Nur so können Arbeitskräfte aufgebaut werden, die in der Lage sind, fortschrittliche KI- Tools in der Praxis nutzbar zu machen.

Eines ist klar: Europas digitale Zukunft wird sich nicht im Serverraum entscheiden. Sie wird sich in den Fabriken des Kontinents entscheiden, in seinen großen und kleinen Unternehmen und in seinen öffentlichen Verwaltungen.

Es dreht sich alles um eine Frage: Können wir digitale Souveränität endlich konsequent zu Ende denken und nicht nur in die Speicherung von Daten investieren, sondern in den Einsatz von Technologie, um echten, dauerhaften Wert zu schaffen?

Christian Klein ist seit April 2020 alleiniger CEO der SAP SE. Das Software-Unternehmen mit Hauptsitz in Walldorf, Deutschland, wurde 1972 gegründet und hat heute mehr als 105.000 Beschäftigten weltweit.

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„From The Economist, translated by www.deepl.com, published under licence. The original article, in English, can be found on www.economist.com“

Akt. 26.08.2025 23:34 Uhr