Fast hat es den Anschein, als haben sich die Bahnchaos-erprobten Stuttgarter inzwischen angesichts der immer wiederkehrenden Sperrungen und Verzögerungen im öffentlichen Nahverkehr ihrem Schicksal ergeben. „Entweder man wird zum Choleriker oder zum Stoiker“, bringt es Thomas Neumann auf den Punkt. Und gesteht lachend: „Das hängt von der Tagesform ab.“
Die Anschlüsse vom Zug auf den Bus passen nicht
Täglich ist der Esslinger in Richtung Vaihingen unterwegs. Aufgrund der Sperrung des S-Bahn-Tunnels zwischen Hauptbahnhof und Vaihingen, der sogenannten Stammstrecke, heißt das seit dem 26. Juli Umsteigen auf den Busersatzverkehr SEV1 der Deutschen Bahn (DB) am Arnulf-Klett-Platz. Im 10-Minuten-Takt fährt dieser in Richtung Vaihingen mit den Haltestellen Stadtmitte (Wilhelmsbau/Büchsenstraße), Feuersee, Schwabstraße, Universität, Österfeld und Vaihingen ab – „Wartezeiten inklusive“, betont Neumann. Denn häufig „passen die Anschlüsse vom Zug auf die Busse nicht“. Fünf bis zehn Minuten seien normal. Viel schlimmer sei aber, dass diese vor allem zu den Hauptverkehrszeiten zwischen 8 und 9.30 Uhr völlig überfüllt sind. „Da kann man froh sein, einen Platz zu bekommen.“
Am Nachmittag steckt der Bus im Berufsverkehr fest
Irina Suhkat achtet daher erst gar nicht auf die angegebenen Abfahrtszeiten. „Die stimmen sowieso nicht“. Jeden Tag muss sie 20 Minuten mehr Fahrtzeit einplanen. „Ansonsten steige ich aus der S-Bahn an der Haltestelle Stadtmitte aus und bin direkt im Büro. Nun muss ich zusätzlich einmal umsteigen.“ Auf dem Heimweg erspart sie sich hingegen in der Regel den Busersatzverkehr. „Da nehme ich die Stadtbahnlinie U1, weil der Weg zur Bushaltestelle recht lang ist.“ Hinzu kommt, dass der Berufsverkehr am Nachmittag zu Verspätungen führt. „Gegen 16.30 Uhr sind die Straßen am vollsten, dann steckt auch der Bus im Stau“, weiß Matthias Schäfers aus Ludwigsburg.
Zusätzliche Belastung durch „Überraschungsei“ Deutsche Bahn
Zusätzlich zum täglichen Busersatzverkehr geselle sich auch noch „das andauernde Bahnchaos“, ärgert sich Binah Gittinger. „Wenn die S-Bahn wieder einmal unplanmäßig wegen Weichen- oder Signalstörungen mitten auf der Strecke anhält, summiert sich das schnell auf rund 45 Minuten – pro einfachem Weg“, sagt die Ludwigsburgerin. Die Bahn sei „wie ein Überraschungsei. Man weiß nie, was drin steckt“. Das hätten auch Leonora und Thomas Schlögel im Vorfeld nicht gewusst, „hätten wir uns nicht im Internet informiert“. So konnte das Ehepaar aus Tamm zumindest den Weg von der oberirdischen Endstation der S-Bahn zur Bushaltestelle am Arnul-Klett-Platz „leicht“ finden. „Ansonsten wäre es schwierig geworden“, sind sie sich einig.
Haltestelle in Richtung Tübingen am Pariser Platz „versteckt“
Hingegen gar nicht so einfach zu finden, ist die zweite Haltestelle des Schienenersatzverkehrs rund um den Hauptbahnhof. Offenbar aus Platzmangel halten und starten die Busse in Richtung Tübingen am Pariser Platz. Der Weg dorthin führt um den gesamten Bahnhof auf die Nordseite des derzeit im Umbau befindlichen Bonatzbaus. Aber erst ab dem DB-Reiszentrum im Innenhof der LBBW ist der Weg mit einer gelben Leitlinie am Boden ausgeschildert. Bis dorthin gibt es an den Baustellengittern nur spärliche, auch missverständliche Wegweiser. An einem Schild wurde per Handschrift sogar nachgebessert.
Da geht’s lang: Handschriftlich wurde ein Wegweiser um das Ziel des Ersatzverkehrs nach Tübingen ergänzt. Foto: Alexander Müller
Wer es dennoch geschafft hat, zeigt sich überraschend zufrieden mit dem Busverkehr. „Das klappt gut“, sagt eine Stammkundin. Wie immer habe es in der ersten Woche noch einige Anlaufschwierigkeiten gegeben, „aber inzwischen ist man ganz früh morgens sogar schneller als mit dem Zug“. Rund 50 Minuten dauert die Anreise, wenn sich auf der B27 noch kein Stau im Berufsverkehr gebildet hat. Abends hingegen müsse man öfters Stehen, da der Bus bei weitem nicht so viele Fahrgäste wie in einem vollgestopften Zug auf der bei Pendlern und Studenten rege genutzten Verbindung aufnehmen könne.
Insofern sind alle „froh, wenn die Sperrung der Stammstrecke zumindest für diese Sommerferien wieder vorbei ist“, betont Thomas Neumann. Das soll laut Deutscher Bahn am 7. September wieder der Fall sein.