Diese Pläne für die Bundeswehr haben in den nächsten Jahren Konsequenzen für Millionen junger Männer und Frauen: Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den Gesetzentwurf für einen „Neuen Wehrdienst“ auf den Weg gebracht – der gilt zunächst auf freiwilliger Basis, aber später könnte daraus eine Wehrpflicht werden. Für die Entscheidung tagte die Ministerrunde unter Leitung von Kanzler Friedrich Merz ausnahmsweise nicht im Kanzleramt, sondern im Bundesverteidigungsministerium, mit dabei der Nato-Oberbefehlshaber, Generalleutnant Alexus Grynkewich. In der Koalition gibt es allerdings noch Streit über einen zentralen Punkt, der für die betroffenen Jugendlichen besonders wichtig ist. Was man jetzt wissen muss:

Neuer Wehrdienst: Was ändert sich für junge Erwachsene?

Ab 2026 gibt es zwei Neuerungen: die Erfassung und später auch die Musterung. Beginnend mit dem Jahrgang 2008 werden jeweils alle 18-Jährigen von der Bundeswehr angeschrieben mit der Bitte, einen Fragebogen auszufüllen: Gefragt sind etwa Angaben zum Gesundheitszustand, Bildungsabschlüssen und ob Interesse am Dienst in der Bundeswehr besteht. Männer müssen den Fragebogen ausfüllen, Frauen können es freiwillig tun. Künftig sind damit alle Männer ab Jahrgang 2008 bei der Bundeswehr erfasst, ebenso interessierte Frauen – die Männer könnten theoretisch zu Wehr- oder Zivildienst einberufen werden, sollte in einigen Jahren die Wehrpflicht zurückkehren. Ab 2028 sollen die erfassten Männer eines Jahrgangs auch wieder zur Musterung eingeladen werden.

Was bietet der neue Wehrdienst?

Der neue freiwillige Wehrdienst ab 2026 soll nach den Plänen von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) eine Verpflichtung bei der Bundeswehr attraktiver machen. Die Freiwilligen sind von Anfang an Soldaten auf Zeit, bisher galt das erst ab einer Verpflichtung von mindestens zwei Jahren. Sie bekommen damit höheren Sold (Pistorius spricht von 2300 Euro netto) und andere Vergünstigungen, Beamte im Verteidigungsministerium versprechen eine „sinnstiftende Verwendung“ in einem „wertschätzenden Dienst“.

Die Dauer des Wehrdienstes wird mindestens sechs Monate betragen, sie kann aber deutlich verlängert werden. Die Rekruten sollen im Kern zunächst zu Sicherungs- und Wachsoldaten qualifiziert werden, womit sie für den erweiterten Heimatschutz einsetzbar sind. Sie bekommen aber auch schon Gelegenheit, Teilstreitkräfte kennenzulernen, und erhalten Qualifikations- und Karriereangebote, wenn sie sich für längere Zeit verpflichten. Zu den Angeboten zählen Verpflichtungsprämien, die Ausbildung im Umgang mit Drohnen und anderen modernen Technologien, Sprachkurse, Berufsförderung oder Zuschüsse zum zivilen Autoführerschein.

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Warum gibt es die Änderungen?

Die Bedrohungslage hat sich signifikant verschärft, begründet das Verteidigungsministerium das Gesetz. Gemeint ist die Befürchtung, dass Russland die Nato an der Ostflanke angreifen oder provozieren könnte und dann auch die Bundeswehr den Angriff abwehren müsste. Darauf bereitet sich die Nato jetzt mit einer massiv verstärkten Abschreckung vor. Auf Basis neuer Nato-Pläne soll die Bundeswehr ihren Truppenumfang auf 260.000 aktive Soldatinnen und Soldaten erhöhen – aktuell sind es nur rund 183.000, geplant war bislang ein Aufwuchs auf 203.000 in den nächsten sechs Jahren. Nun werden es mehr: Zu den künftig 260.000 aktiven Soldaten sollen rund 200.000 Reservisten kommen, sodass die Gesamtstärke der Bundeswehr 460.000 Soldatinnen und Soldaten beträgt.

Kommt so die Wehrpflicht wieder?

Nein, vorerst nicht. Ziel ist es, dass mit dem neuen Modell bis 2030 insgesamt über 100.000 freiwillig Wehrdienstleistende ihren Einsatz absolviert haben und dann der aktiven Reserve zur Verfügung stehen. Dadurch, dass sich künftig jeder 18-Jährige mit der Bundeswehr auseinandersetzen müsse, und durch die gesteigerte Attraktivität werde es mehr Bewerber geben, sagt Generalinspekteur Carsten Breuer. Im bisherigen freiwilligen Wehrdienst sollen im laufenden Jahr 15.000 Soldatinnen und Soldaten aufgenommen werden, 5000 mehr als voriges Jahr. Diese Zahl soll jährlich um 3000 bis 5000 steigen – mehr kann die Bundeswehr mit ihren begrenzten Kapazitäten vorerst gar nicht verkraften, es fehlt an Kasernen, Ausbildern und Ausrüstung. Ab 2031 sollen dann jährlich bis zu 40.000 Frauen und Männer über das neue Wehrdienstmodell rekrutiert werden, viele stünden später in der Reserve zur Verfügung.

Zu wenig Freiwillige – was dann?

Verteidigungsminister Pistorius und die Bundeswehr-Führung gehen vorerst davon aus, dass der Bedarf durch Freiwillige gedeckt wird. Doch räumt Pistorius ein, es sei nicht sicher, ob die Rechnung aufgeht. Wenn nicht, soll durch eine Gesetzesänderung die Wehrpflicht zügig wieder eingeführt werden, falls die sicherheitspolitische Lage das erfordert. Dafür reicht ein einfacher Bundestagsbeschluss, denn die im Grundgesetz verankerte Wehrpflicht wurde 2011 ebenfalls vom Bundestag nur ausgesetzt, nicht abgeschafft.

Wahrscheinlich ist ein solcher Beschluss aber frühestens Ende des Jahrzehnts. Geburtsjahrgänge ab 2012 oder später könnten also von der Wehrpflicht betroffen sein. Mit der Wehrpflicht würde dann auch wieder der Zivildienst eingeführt.

Pistorius hat jedoch ausdrücklich darauf verzichtet, im Gesetz schon jetzt einen Automatismus festzuschreiben, wann unter welchen Bedingungen die Wehrpflicht wieder greift. Eine Wehrpflicht auch für Frauen oder eine allgemeine Dienstpflicht sind nicht vorgesehen; dazu müsste das Grundgesetz mit Zweidrittelmehrheit geändert werden, das ist nicht in Sicht.

Boris Pistorius (SPD),  Bundesminister der Verteidigung besucht Litauen

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will die Entwicklung beim freiwilligen Wehrdienst beobachten – und gegebenenfalls später nachsteuern. Pistorius hat den Gesetzentwurf für den Neuen Wehrdienst vorgelegt, einen Automatismus für die Einführung einer Wehrpflicht lehnt er ab.
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Worüber streitet die Koalition?

Politiker von CDU und CSU drängen darauf, dass im Gesetz doch ein Automatismus für eine Wehrpflicht verankert wird – das wollen sie jetzt während der parlamentarischen Beratungen ändern, bevor das Gesetz zum Jahresende vom Bundestag beschlossen wird, damit es 2026 in Kraft treten kann. Im Koalitionsvertrag war als Kompromiss verankert, dass der Wehrdienst „zunächst“ freiwillig sein solle. Unionspolitiker wie der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Thomas Röwekamp (CDU), warnen seit Wochen immer wieder, er habe „erhebliche Zweifel“, dass es in so kurzer Zeit gelinge, den nötigen Personalbedarf mit dem Ansatz der Freiwilligkeit aufzubauen. Der aktuelle Gesetzentwurf sei „zeitlich unterambitioniert“ und ungeeignet, die Nato-Verteidigungsziele zu erreichen.

Die Forderung der Union: Eine Gesetzesregelung, mit der die Bundesregierung ermächtigt wird, die Wehrpflicht bei Unterschreiten festgelegter Rekrutierungsziele unverzüglich wieder in Kraft zu setzen – ohne erneute Beteiligung des Bundestages. Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte deshalb intern sogar ein Veto gegen den Gesetzentwurf eingelegt, dass die Beschlussfassung im Kabinett verhindert hätte; erst kurz vor der Sitzung zog Wadephul den Einspruch zurück. Denn der Koalitionspartner winkt bisher ab: Die SPD beharrt darauf, dass der geplante neue Wehrdienst als Freiwilligen-Dienst eingeführt wird und Festlegungen zu einer möglichen Wehrpflicht erst später im Bedarfsfall getroffen werden. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Siemtje Möller sagte unserer Redaktion: „Wir haben uns im Koalitionsvertrag eindeutig verständigt: Der neue Wehrdienst startet freiwillig – und das gilt.“

Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Die SPD-Politikerin fügte hinzu: „Sollte sich abzeichnen, dass der Bedarf nicht allein mit Freiwilligen gedeckt werden kann, werden wir über verpflichtende Elemente sprechen müssen.“ Maßgeblich sei, was die Bundeswehr tatsächlich benötige und umsetzen könne. Derzeit fehlten der Bundeswehr aber Ausbilder sowie Unterkünfte, um jährlich zehntausende Wehrdienstleistende auszubilden. „Deshalb beginnen wir mit einer für die Truppe leistbaren Zahl an Freiwilligen und bauen parallel die Ausbildungs- und Unterbringungskapazitäten aus“, sagte Möller. Schritt für Schritt könnten so auch die Zahlen der Wehrdienstleistenden steigen.