Berlin – Ihr Auftritt beim BILD-Interview im SPD-knalligen Jackett ist ein Statement. Ein rotes Tuch ist Cansel Kiziltepe (49, SPD) oft auch für den Koalitionspartner CDU. Wegen der betont linken Positionen der Sozial- und Arbeitssenatorin. Ausnahmsweise lässt sie im Gespräch auch einmal in Privates blicken: Internet-Regeln für ihren zehnjährigen Sohn, den Türkisch-Kurs ihres Mannes.
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Die Gastarbeiter-Tochter gab im April 2023 ihren viel besser bezahlten Job als Parlamentarische Staatssekretärin beim Bund auf – es heißt, angelockt mit der Aussicht auf die nächste SPD-Spitzenkandidatur 2026. Am Mittwoch wurde ein Auswärtiger gekürt – Steffen Krach aus Hannover.
BILD: Jetzt sehen wir Sie doch nicht als SPD-Spitzenkandidatin auf Großplakaten. Enttäuscht?
Cansel Kiziltepe: Ich bin nicht enttäuscht. Wir treffen die Entscheidung gemeinsam mit der Parteiführung. Wir möchten natürlich, dass die SPD mit voller Kraft aus der Wahl herausgeht.
Sie sind als Gastarbeiterkind ein Paradebeispiel für gelungene Integration. Warum scheitert sie bei so vielen?
Wie kommen Sie darauf, dass sie bei so vielen scheitert? In Berlin leben 1,4 Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte, mehr als 30 Prozent der Bevölkerung. Das sind unsere Freundinnen, Nachbarn, Kollegen. Ein Großteil ist sehr gut integriert, möchte mit anpacken, auch teilhaben. Natürlich haben wir Herausforderungen, die packen wir an. Ich wünschte mir, dass erfolgreiche Aufstiegsgeschichten viel stärker erzählt würden – es gibt viele wie mich.
Darum fühlt sich Kiziltepe in der Sonnenallee sehr wohl
Haben Sie das Gefühl gelungener Integration, wenn Sie die Sonnenallee entlanggehen?
Meine Eltern mussten als sogenannte Gastarbeiter in einem bestimmten Bezirk wohnen. Sie wurden nach Kreuzberg zugewiesen, damals haben da auch nur Gastarbeiter gewohnt. Das hat sich so entwickelt, auch in Neukölln. Die Zugehörigkeit, die Unterstützung, aber auch die Läden. Man fühlt sich dort gut aufgehoben. Das ist eine Entwicklung über Jahrzehnte, die kann man nicht komplett aufbrechen. Also, wenn ich über die Sonnenallee gehen kann, fühle ich mich sehr wohl.
Zweifelhafter Ruf: Die Sonnenallee in Berlin-Neukölln, auch „arabische Straße“ genannt, gilt als sozialer Brennpunkt
Foto: Ufuk Ucta
Ihr Mann ist Deutscher, sprechen Ihre Kinder Türkisch?
Bei uns zu Hause sprechen wir wie in vielen Familien Deutsch und Türkisch. Mein Mann interessiert sich sehr dafür und besucht an der Volkshochschule einen Türkisch-Kurs.
Freuen Sie sich über steigende Abschiebezahlen aus Berlin?
Wir haben ein Grundrecht auf Asyl in unserer Verfassung. Es ist klar, dass für Abschiebungen auch die rechtlichen Vorgaben eingehalten werden müssen. So funktioniert auch unser Sozialstaat.
Aber wie sehen Sie den Anstieg?
Es kann sein, dass Personen diesen Schutzstatus nicht genießen und es dann zu Abschiebungen kommt. Durchgeführt nach den rechtlichen Vorgaben.
In Berlin kommt erst im Januar die Bezahlkarte für Asylbewerber – und auch nur bei Neuzugängen für die ersten sechs Monate. Nur ein Bezahlkärtchen statt erhoffter Abschreckung?
Berlin plant, die Bezahlkarte im ersten Quartal nächsten Jahres einzuführen. 14 Bundesländer machen bei der bundesweiten Ausgestaltung mit, keines dieser Bundesländer hat sie bislang flächendeckend eingeführt. Wir sind also im Zeitplan. Es gibt technische und organisatorische Voraussetzungen, wir müssen auch die Mitarbeitenden schulen – all das braucht Zeit.
Kiziltepe und BILD-Redakteurin Hildburg Bruns beim Gespräch im Nachbarschaftsheim
Foto: Christian Lohse/Bild
Sie wollen das Rentenniveau durch eine Erwerbstätigen-Versicherung, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen, absichern. Wie hoch sollte die im Monat sein?
Wir haben schon länger eine Rentendiskussion in Deutschland. Ich bin dagegen, das Rentenalter auf 70 anzuheben. Viele, die hart ackern, würden das gar nicht schaffen, es wäre eine faktische Rentenkürzung. Aber auch die Zahl der Menschen in Altersarmut steigt. Wir müssen etwas machen bei der gesetzlichen Rentenversicherung, auch um die Legitimität bei den jungen Menschen zu erhöhen. Deshalb bin ich dafür, dass alle einzahlen – auch PolitikerInnen.
Eine Hausnummer, wie hoch?
Es gibt kein fertiges Konzept. Aber von verschiedenen Seiten wurde durchgerechnet, dass sowohl der Rentenversicherungsbeitrag abgesenkt werden könnte, als auch Ansprüche so gestaltet werden, dass Menschen, die lange für geringes Geld gearbeitet haben, besser wegkommen.
Kiziltepe ist in Kreuzberg geboren, aufgewachsen – und aufgestiegen
Foto: Christian Lohse/Bild
Die Ausbildungsquote in Senatsverwaltungen sinkt. Private Unternehmen wollen Sie mit einer Ausbildungs-Platzabgabe zu mehr Engagement zwingen. Wo bleibt das Vorbild öffentlicher Dienst?
Ich habe andere Zahlen. Die Hauptverwaltung bildet vor allem in den Bereichen Polizei, Feuerwehr und Justiz aus, in den Bezirken sind es vor allem klassische Berufe wie Verwaltung oder Gärtner. Die Zahlen sind kontinuierlich angestiegen. Die Quote liegt bei 7,2 Prozent, das ist deutlich über dem Bundesschnitt von knapp 6 Prozent.
Die BVG plant im kommenden Jahr eine Vier-Tage-Woche mit 35 Stunden. Erweckt das nicht Neid bei anderen Landes- und Privatunternehmen?
Ich bin Fan einer Vier-Tage-Woche. Studien zeigen, dass Beschäftigte zufriedener und motivierter sind. Auch die Produktivität steigt und sie schaffen genauso viel wie zuvor in fünf Tagen. Allerdings ist es in der Verwaltung nicht ganz einfach und eigentlich auch originäre Aufgabe der Tarifparteien, Arbeitszeiten zu verhandeln. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse bei der BVG.
Mit Ihrem Tweet über Tesla („Nazi-Auto“) haben Sie sich keine Freunde gemacht. Wie gefährlich ist Social Media für Politiker?
Politik ohne Social Media geht gar nicht. Die junge Generation informiert sich dort. Die rechten politischen Äußerungen von Elon Musk halte ich nach wie vor für sehr gefährlich für unsere Demokratie. Mit meinem Tweet wollte ich in keinster Weise die Beschäftigten dafür verantwortlich machen.
Fänden Sie ein Handyverbot in Schulen gut?
Meines Wissens darf man im Unterricht kein Handy benutzen. Mein zehnjähriger Sohn hat noch kein Handy und wir sind zu Hause auch sehr achtsam. Er darf am Tag nur eine Stunde im Internet unterwegs sein.