Geografisch gesehen ist Finnland Russland so nah wie kein anderes europäisches Land. Was auf Google Maps wie ein Strich aussieht, ist zugleich eine Erinnerungsnarbe: Sie zeugt von der russischen Besatzung und dem langen Kampf um Unabhängigkeit. Wer eine 1.340 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt, spricht bei Friedensverhandlungen nicht aus reiner Höflichkeit, sondern vor dem Hintergrund seiner Geschichte.

Alexander Stubb: Vom Triathleten zum europäischen Vermittler

Doch geografische Nähe allein schafft noch keine Autorität auf der politischen Weltbühne. Auch nicht jahrhundertealte, komplexe Geschichte mit Russland. Die eigentliche Frage lautet: Warum durfte ausgerechnet Alexander Stubb, seit 2024 finnischer Präsident, als einer von nur sieben europäischen Spitzenpolitikern vor wenigen Wochen mit nach Washington reisen, um Donald Trump von Europas Interessen im Ukraine-Krieg zu überzeugen? Wie hat Stubb es in diesen erlesenen Kreis geschafft? Was ist seine Rolle – und seine Vision für einen Kontinent im Ausnahmezustand?

Die erste Antwort klingt fast folkloristisch, und doch steckt Wahrheit darin. „Was in den USA der Golfplatz ist, ist in Finnland die Sauna“, sagte der ehemalige US-Botschafter Doug Hickey laut finnischen Medien nach dem ersten Bonding-Moment zwischen Stubb und Trump im März. Bei seinem USA-Besuch im Frühjahr spielten die beiden an einem Samstagvormittag Golf – dort, wo Trump sich am wohlsten fühlt – natürlich in Florida.

Stubb wusste, was er an jenem Tag tat – er ist selbst erfahrener Golfer, auch wenn sein eigentlicher Sport der Triathlon ist. In einem Interview erzählte er laut „Deutschlandfunk Europa“ von seinem Vater, der ihm als Kind gesagt hatte: „Selbst wenn du kein professioneller Golfer werden solltest, wird dir Golf eines Tages nützlich sein.“

Fast schon prophetischer Worte. Er sollte Recht behalten.

Wie Finnlands Präsident Vertrauen bei Donald Trump gewinnt

Stubb gelang an diesem Vormittag, worum sich europäische Spitzenpolitiker seit Jahren vergeblich bemühen: echtes Vertrauen zu Trump zu gewinnen. Amerikas wichtigste Deals entstehen offenbar nicht in Konferenzräumen, sondern auf perfekt gemähten Rasen der Golfplätze.

Und immerhin einer scheint begriffen zu haben, was das bedeutet: Stubb gelingt etwas, was fast niemand mehr schafft. Er wird sowohl in Washington als auch in Brüssel respektiert.

Das Ergebnis: Zu den „Heiligen Sieben“, die heute Europas Kern bilden, zählen neben Macron, Starmer, Merz, Meloni, NATO-Chef Rutte und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen seit neustem auch Stubb.

Alaska und der Wendepunkt: Was nach dem Treffen mit Putin geschah

Um diese diplomatische Wendung zu verstehen, führt kein Weg vorbei am 15. August– jenem Tag vor der Ankunft der „Heiligen Sieben“ in Washington. Stichwort: Alaska. Stichwort: Putin, der vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl als Kriegsverbrecher gesucht wird, und seine Ansprüche ungestört untermauern durfte.

Trump gab sich bei dem Treffen zunächst siegessicher: Erst müsse ein Waffenstillstand her. Doch nach drei Stunden mit Putin schwenkte er um. Statt Waffenstillstand wolle man gleich einen Friedensvertrag aushandeln. „Alle“ hielten das für den besten Weg – womit Trump ausschließlich Putin meinte.

Nach Alaska telefonierte Trump mit Selenskyj und anschließend mit weiteren europäischen Staatschefs, Stubb eingeschlossen. Die Europäer drängten darauf, dass Trump nicht nur Putin, sondern auch Selenskyj treffen sollte. Trump willigte ein und schlug vor, dass Selenskyj Verbündete mitbringen solle.

Die Wahl fiel auf Stubb – wohl eher kein Zufall. Das Ziel: Spannungen mit Trump vermeiden, Brücken bauen, ohne europäische Interessen zu verraten – dafür steht der 57-Jährige.

Greifbare Ergebnisse statt Show: Stubbs Ansatz für Konfliktlösung

Während andere Staatschefs in dieser Aufgabe eher scheitern und versuchen, Trump mit royalem Glanz oder provinziellen Gesten zu ködern – Starmer mit königlichen Einladungen, Merz mit Golfschlägern und deutscher Ahnentafel, als hätte er schnell „Trump Hobbys“ gegoogelt und dabei auch zufällig entdeckt, dass er Verwandtschaft in der Pfalz hat – geht Stubb einen anderen Weg: Er übersetzt Politik in Bilder, die Trump versteht.

Seine Idee war einfach: Karten im Oval Office ausbreiten. Um Trump die Größenordnung russischer Forderungen zu verdeutlichen, verglich er sie mit US-Bundesstaaten – „von Florida bis Virginia“.

Trump wirkte beeindruckt und lobte Stuck für seine „hervorragende Arbeit“. Ein bemerkenswerter Unterschied zu seinen anderen Gästen. Sie würdigte er meist für ihr Äußeres – Meloni für ihr Aussehen, Merz für seine „fantastische Bräune“.

Stubb könnte sich jetzt als Trump-Flüsterer inszenieren. Das tut er nicht – was für einen Finnen nicht untypisch ist. Er bleibt bescheiden. Der Staatsmann eines fünf Millionen Volkes am nördlichsten Rand Europas versteht seine Rolle klar: Vermittler sein, nicht Hauptdarsteller. Stubb bläht sich nicht auf, sondern bringt sich ein, wo es nötig ist.

Der finnische Staatschef scheint kein Illusionist zu sein, er setzt auf greifbare Ergebnisse: „In den letzten Wochen sind wir beim Beenden des Krieges weitergekommen als in den letzten dreieinhalb Jahren“, sagte Stubb im Oval Office. Eine andere Art der Überzeugungsarbeit – mit messbaren Taten statt großen Ankündigungen.

Ein moderner Apostel? Verantwortung und Geduld in der Politik

Der Vergleich mag gewagt wirken – und doch hat Stubb etwas Apostelhaftes an sich. Paulus war ständig unterwegs: reiste nach Korinth, nach Ephesus, überallhin, wo Gemeinden stritten und Vermittlung brauchten. Er schlichtete Konflikte, ermahnte und ermutigte, zog weiter – manchmal im Streit, manchmal versöhnt.

Seine Mission war komplex: Gemeinden aufbauen, Christus verkünden, für die Menschen sorgen. Nicht immer erfolgreich, aber im Dienst einer größeren Sache.

Stubb handelt ähnlich: uneitel, konzentriert, geduldig, mit Gespür für das, was vor Ort zählt. Ein Hauch von Sendungsbewusstsein – auch wenn dieser sich manchmal nur im Vergleich mit Florida erschließt.

Was Finnlands Präsident für die Zukunft Europas bedeutet

Wie Paulus riskiert auch Stubb viel. Scheitern die Friedensbemühungen, trägt er dafür Mitverantwortung. Paulus landete dafür im Gefängnis, Stubb droht allenfalls politisches Scheitern. Doch das Prinzip bleibt dasselbe: „Einer trage des anderen Last“ (Gal 6,2). Vielleicht ist das Stubbs Europa-Verständnis.

Anders als manche Kolleg*innen beherzigt er wohl auch die Warnung aus demselben Galaterbrief „Wer sich einbildet, etwas zu sein, obwohl er nichts ist, der betrügt sich.“

Keine Pose, keine Gesten für die Kameras. Stubb übernimmt Verantwortung – ruhig, bescheiden, zielgerichtet. Genau das macht ihn als Vermittler glaubwürdig.