Früher war natürlich alles besser. Die schäbigen Absturzkneipen waren noch nicht gänzlich weggentrifiziert, der Müll in den Straßen verlieh dem Stadtbild eine wohlig ranzige Patina, und nachts war der Gang zum Kiosk ein kleines Abenteuer. Willkommen im New York von Rudy Giuliani; genauer gesagt: der Lower East Side, mit der man in den neunziger Jahren von Europa aus noch sehnsuchtsvoll die widerständige Energie des Big Apple assoziierte.

Lange ist das her, aber Darren Aronofsky hat sich ins Zeug gelegt, für seine Krimikomödie „Caught Stealing“ dieses verlorene Paradies noch einmal hinter den herausgeputzten Fassaden der Gegenwart aufzuspüren.

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Freundlichkeit ist nicht unbedingt das, was man mit den eingeborenen New Yorkern verbindet. In dieser Hinsicht ist Hank, gespielt von Austin Butler, eine Anomalie. Er telefoniert regelmäßig mit seiner Mutter (eine Baseball-Verrückte, wie der Sohnmann), steckt dem Obdachlosen vor der Haustür Geld zu und kümmert sich, wenn auch zunächst widerwillig, um die Katze seines Punk-Nachbarn Russ (Matt Smith).

Der entspricht mit seinem Iro und der speckigen Nietenlederjacke schon eher den Vorstellungen von einem East-Village-Gewächs. Hank ist zwar eher der Hundetyp, aber für seine Freundin Yvonne (Zoë Kravitz) lässt er sich erweichen.

Typischer Fall von „falsche Zeit, falscher Ort“

Diese Nettigkeit wird sich bald rächen. Am nächsten Tag stehen zwei bullige Russen im Hausflur, auf der Suche nach Russ. Sie hinterlassen Hank – man kennt das: falsche Zeit, falscher Ort – eine unmissverständliche Botschaft. Ein paar Tage später wacht er ohne Niere im Krankenhaus wieder auf. Und damit fängt der Ärger erst an.

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Nicht nur die Russen sind hinter Russ her – und nun hinter Hank. Auch zwei chassidische Gangster (Liev Schreiber und Vincent D’Onofrio), ein kolumbianischer Drogenboss (der Popstar Bad Bunny) und eine undurchsichtige Polizistin (Regina King) haben ein sehr explizites Interesse an einem Schlüssel, den Hank zufällig in der Katzentoilette seines neuen Mitbewohners entdeckt. Und den er, nach einer durchzechten Nacht, gleich wieder verliert.

Der Film

Caught Stealing USA 2025 Regie: Darren Aronofsky. Buch: Charlie Huston. Mit: Austin Butler, Zoë Kravitz, Vincent D’Onofrio, Liev Schreiber, Matt Smith, Regina King, Bad Bunny, Griffin Dunne. 109 Minuten. Jetzt im Kino

Jeder New-York-Krimi, der etwas auf sich hält, kommt natürlich nicht um den Vergleich mit Martin Scorsese herum. Regisseur Aronofsky, der natürlich sehr viel auf sich hält, stellt sich der Herausforderung, indem er Griffin Dunne, den Hauptdarsteller aus „Die Zeit nach Mitternacht“ (im Original „After Hours“), in der Rolle von Paul besetzt. Dem gehört die Bar, in der Hank nachts hinter dem Tresen steht; der Rapper Action Bronson, noch so ein New Yorker Urgestein, spielt einen der Stammgäste.

Die Besetzung mit Dunne ist mehr als eine Hommage. „Die Zeit nach Mitternacht“, einer von Scorseses eher unterschätzten New-York-Filmen, liefert gewissermaßen die Blaupause für Hanks Odyssee, die ihn einmal quer durch die Stadt führt, von der Lower East Side bis nach Flushing Meadow und Brighton Beach, im Volksmund Little Odessa genannt. Im Schlepptau hat er dabei irgendwann Bud, der genauso unschuldig in dieses bald sehr blutige Schlamassel hineingeraten ist.

 Yvonne (Zoë Kravitz) beweist viel Geduld mit ihrem Loser-Boyfriend Hank (Austin Butler).

© SONY PICTURES

Der Vierbeiner beobachtet Hanks verzweifelte Versuche, sich gegen sein Schicksal, und die nächste Tracht Prügel, zu stemmen, mit komischer Stoik. Er erweist sich damit als ernstzunehmende Konkurrenz für Austin Butler, der in seinen zwei größten Rollen – als Elvis und als sadistischer Harkonnen-Spross in „Dune: Part Two“ – seinen kalifornischen Sunnyboy-Charme bisher kaum zur Geltung bringen konnte.

Pechvogel Hank, dessen vielversprechende Baseballkarriere nach einem selbstverschuldeten Autounfall frühzeitig endete, ist die perfekte Rolle für Butler, um seine Qualitäten als leading man auch ohne Maske und Kostüm unter Beweis zu stellen.

Hank taumelt zunehmend ramponiert durch den Film, aber seine unverwüstlichen Stehaufmännchen-Qualitäten – die Erfahrung mit Baseballschlägern kommt ihm später noch zugute – machen ihn zu einem nahbaren Helden. Da könnte sogar eine Mini-Franchise für Butler herausspringen: Schon die Roman-Trilogie von Charlie Huston, der auch das Drehbuch geschrieben hat, war sehr erfolgreich.

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„Caught Stealing“ ist mit seinem wilden, kurzweiligen Stilmix aus Krimi, Neunziger-Jahre-Zeitkapsel und knackigen Gewaltausbrüchen eher eine Fingerübung für den ambitionierten Aronofsky. Aber dessen abgründiger Pessimismus erweist sich als schöner Kontrast zu Butlers gewinnendem Lächeln.