Für Menschen wie Hajjar bedeutet das zum einen große Unsicherheit: Sind die Unterlagen wirklich vollständig? Waren alle Angaben in den Formularen korrekt? Vom Amt kommt im Normalfall nur eine Bestätigung, dass der Antrag eingegangen ist. Darüber hinaus erhalte man eigentlich keine Rückmeldung, sagt die Kamerafrau aus Libanon: „Man fühlt sich einfach alleingelassen.“ Sie würde sich ein System wünschen, bei dem man zumindest den aktuellen Stand seiner Anfrage abrufen kann. Speziell für Freiberufler wie sie sei es auch kompliziert gewesen, überhaupt herauszufinden, welche Dokumente und Nachweise notwendig sind.

Zum anderen bringt die lange Wartezeit berufliche Einschränkungen mit sich. Hajjar würde nach zehn Jahren in Deutschland und einem erfolgreichen Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München gerne international in der Filmproduktion durchstarten. Viele ihrer Aufträge bekommt sie allerdings relativ kurzfristig, meist bleibe dann nicht genügend Zeit, um ein Visum zu beantragen. Deshalb hat Hajjar nach eigenen Angaben schon einige Jobs ablehnen müssen, die sie mit einem deutschen Pass hätte wahrnehmen können.

Rita Hajjar ist freiberufliche Kamerafrau und hat beim KVR München einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Nun wartet die Libanesin auf eine Antwort.Rita Hajjar ist freiberufliche Kamerafrau und hat beim KVR München einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Nun wartet die Libanesin auf eine Antwort. (Foto: privat)

Auch die Einschränkung des Wohnorts für die Zeit der Bearbeitung des Einbürgerungsantrags kann zu Problemen führen. Omar Mourad (Name von der Redaktion geändert) aus Marokko erzählt, dass er seine Stelle bei einem großen Wirtschaftsprüfer verlor, da er nicht aus München wegziehen konnte. Als er im November 2023 seinen Antrag stellte, wurde ihm noch eine voraussichtliche Dauer von acht bis zwölf Monaten angegeben, daraus sollten beinahe zwei Jahre werden. Mittlerweile ist Mourad deutscher Staatsbürger und hat eine neue Arbeit, dennoch hat er das Gefühl, dass seine Karrieremöglichkeiten durch die Verzögerung eingeschränkt wurden. „Mein Leben war einfach on hold.“

Es gibt jedoch auch Gegenbeispiele, die von einem angenehmen und schnelleren Einbürgerungsverfahren berichten. Sladana Petrovic wurde in München geboren und lebt seit ihrem zehnten Lebensjahr dauerhaft hier. Nun hat sie sich mit Ende 40 dazu entschlossen, auch offiziell Deutsche zu werden. Der Grund dafür ist die in der Staatsangehörigkeitsreform vom vergangenen Jahr enthaltene „Hinnahme von Mehrstaatigkeit“. Da sie ihren serbischen Pass nicht zurückgeben wollte, freute sich Petrovic über die Möglichkeit, beide Staatsbürgerschaften zu haben.

Für die Sachbearbeiterin, die mit einem Deutschen verheiratet ist, ging die Einbürgerung dann sogar schneller als gedacht. Statt der ursprünglich veranschlagten 18 dauerte es nur 15  Monate, bis sie ihre Urkunde beim KVR München abholen konnte. Das beschleunigte Verfahren führt Petrovic auf ihre vorherige Niederlassungserlaubnis zurück. Für sie war der Prozess nicht mit besonderem Stress verbunden. Man müsse jedoch „differenzieren zwischen Leuten, die erst fünf, sechs Jahre hier sind und Leuten wie mir“, betont die Mutter eines Kindes. Sie habe keinen Zeitdruck, einen sicheren Job und ihre Familie am Ort gehabt.

Sladana Petrovic wurde vor Kurzem auch offiziell Deutsche. Sie ist in München geboren und berichtet positiv on ihrem Einbürgerungsverfahren. Neben der deutschen besitzt die 48-Jährige auch die serbische Staatsbürgerschaft.Sladana Petrovic wurde vor Kurzem auch offiziell Deutsche. Sie ist in München geboren und berichtet positiv on ihrem Einbürgerungsverfahren. Neben der deutschen besitzt die 48-Jährige auch die serbische Staatsbürgerschaft. (Foto: privat)

Noch schneller als Petrovic bekam Patcharin Ortner die Nachricht, dass ihre Einbürgerungsurkunde ausgestellt wurde. Die gebürtige Thailänderin hatte ihren Antrag erst Anfang dieses Jahres in Bad Tölz gestellt und musste lediglich vier Monate warten. Auch sie hatte bereits eine Niederlassungserlaubnis, ist mit einem deutschen Mann verheiratet und profitierte ebenfalls von der Novellierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Ortner konnte schon nach fünf statt wie bisher acht Jahren eingebürgert werden.

Ein Blick in die Datenbank des Bayerischen Landesamts für Statistik zeigt: Die Anzahl der Einbürgerungen im Freistaat steigt bereits seit zehn Jahren kontinuierlich an, mit einem deutlichen Sprung 2024. Im vergangenen Jahr wurde bayernweit 54 518 Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen. Das bedeutet einen Anstieg von 51 Prozent im Vergleich zum bisherigen Rekordjahr 2023. Und dieses Jahr wird diese Zahl aller Voraussicht nach noch einmal übertroffen, wie aus den Antworten auf eine Anfrage an das KVR München und die Landkreise im Münchner Umland hervorgeht.

Das liegt vor allem an der erwähnten Reform der Ampel-Regierung vom Juni 2024, also der Hinnahme von Doppelstaatsbürgerschaften und der Verkürzung der Mindestaufenthaltsdauer von bisher acht Jahren auf fünf, beziehungsweise bei der sogenannten „Turboeinbürgerung“ sogar auf drei Jahre. Die Antragszahlen stiegen allerdings schon zuvor, der Grund ist denkbar einfach. Das Herkunftsland, aus dem die mit Abstand meisten eingebürgerten Personen in den vergangenen beiden Jahren kamen, ist Syrien. Viele, die 2015 vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat geflohen waren, konnten nun, rund acht Jahren später, schon nach altem Recht die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen. Die Gesetzesänderung verstärkte also einen bereits bestehenden Trend, indem zu einer ohnehin großen Antragswelle noch mehr Einbürgerungsberechtigte hinzukamen.

Zwischen den einzelnen Landkreisen gibt es große Unterschiede

Obwohl alle angefragten Ämter einen, teils erheblichen Rückstau bei der Bearbeitung von Anträgen bestätigten, zeigen deren Angaben zur durchschnittlichen Dauer des Verfahrens deutliche Unterschiede. Am schnellsten geht es in Dachau und Bad Tölz-Wolfratshausen mit drei bis sechs, beziehungsweise sechs Monaten Bearbeitungszeit. Dem gegenüber stehen die Stadt und der Landkreis München, sowie Erding und Fürstenfeldbruck. Hier müssen Antragsstellende sich regelmäßig bis zu 18 Monate gedulden. Die Landkreise Starnberg, Freising und Ebersberg reihen sich dazwischen ein.

Aber was machen Betroffene deren Einbürgerungsverfahren schon deutlich länger dauert, als von den zuständigen Behörden angegeben? Omar Mourad aus Marokko nahm sich einen Anwalt, der für ihn mit dem Amt kommunizierte. Er ist überzeugt davon, dass der Prozess dadurch deutlich beschleunigt wurde. Es sei allerdings auch wichtig, einen Juristen zu engagieren, der sich in der Sache auskennt.

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:Lasst die Menschen kommen – Deutschland braucht sieSZ PlusKommentar von Kathrin WernerPortrait undefined Kathrin Werner

Auch Nour Dridi (Name von der Redaktion geändert) aus Tunesien hat darüber nachgedacht. Für sie ist immer noch sehr undurchsichtig, welche Faktoren genau Einfluss auf die letztendliche Dauer der Einbürgerung haben: „Man hat das Gefühl, es ist Glückssache.“ Der Eindruck währenddessen alleingelassen zu sein, habe sie „schon fast paranoid“ werden lassen, erzählt Dridi. Nach 21 Monaten hat es bei der 29-jährigen Ingenieurin dann aber doch geklappt.

Doch eine Garantie für ein beschleunigtes Verfahren ist ein Rechtsbeistand trotzdem nicht. Ahmed Caqli Mohammed stellte Ende 2022 seinen Antrag und arbeitete von Anfang an mit einem Anwalt zusammen, welcher hartnäckig Anfragen an das KVR München schrieb. Dennoch wurde dem ursprünglichen Somalier erst diesen April, zweieinhalb Jahre später, die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen. Zwischendurch wechselte seine Sachbearbeiterin, wodurch das Prozedere vermutlich verlangsamt wurde.

Betroffene suchen auch häufig in sozialen Medien bei Menschen mit ähnlichen Erfahrungen Rat. Einer von ihnen ist Karim Nabil (Name von der Redaktion geändert), der laut eigenen Angaben bereits seit beinahe drei Jahren auf seine Einbürgerung wartet. Er floh 2015 als Minderjähriger aus Syrien nach Deutschland, arbeitet mittlerweile in einem Labor und spricht fließend Deutsch. Die eingereichten Unterlagen seien vollständig gewesen und niemand habe weitere Bescheinigungen oder Zeugnisse gefordert, erzählt der 27-Jährige. Doch seit eineinhalb Jahren antworte das Amt ihm nicht mehr.

Da Nabil anonym bleiben wollte, aus Angst er könne sonst einen Nachteil bei seinem Einbürgerungsverfahren haben, konnte das KVR keine Gründe für die lange Bearbeitungszeit in diesem konkreten Fall nennen. Sie entspreche aber nicht den eigenen Standards. Des Weiteren wurde auf die Überlastung des Personals hingewiesen. Im Februar 2023 musste demnach eine Vollzeitkraft durchschnittlich 637 Anträge bearbeiten, zwei Jahre später seien es im gleichen Monat 969 gewesen. Häufig sei es auch sehr aufwendig und zeitintensiv, die Identität einzelner Personen zu klären. Dadurch müssten Menschen aus bestimmten Herkunftsländern teils länger warten.

Das Münchner KVR verspricht mehr Transparenz

Um die Ämter zu entlasten, wäre vor allem zusätzliches Personal notwendig. Die schlechte Haushaltssituation vieler Kommunen lässt dies jedoch nicht zu. Die derzeitige Situation stellt also alle Beteiligten vor Probleme, auch Betriebe, die auf Einwanderer setzen, um den Fachkräftemangel zu lindern.

Die schwarz-rote Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass die „Turboeinbürgerung“ wieder abgeschafft werden soll. Sie war Teil der Reform 2024 und sollte besonders gut integrierten Menschen die Staatsbürgerschaft bereits nach dreijährigem Aufenthalt in Deutschland ermöglichen. Da die Voraussetzungen dafür allerdings kaum erfüllt werden, erwarten die Landkreise keine großartige Entlastung durch ihr wegfallen.

Immerhin: Die Stadt München plant noch in diesem Jahr ein Ticketsystem auch für den Bereich der Einbürgerungen einzuführen. Dort würde dann „jede Nachricht, jede Rückfrage und jede Antwort“ gespeichert. Und die Antragsstellenden könnten über ein Portal den aktuellen Stand ihrer Anfragen verfolgen. Neben einer besseren Organisation des Prozesses könnte so Rita Hajjar und vielen anderen zumindest ein besserer Überblick über das Verfahren gegeben werden.