Stand: 28.08.2025 11:15 Uhr
Es gibt unter Regie-Führenden Komödien-Könner, Thriller-Experten, Dramen-Spezialisten – und es gibt François Ozon, der einfach alles kann. Sein Film „Wenn der Herbst naht“ punktet mit starken Schauspielerinnen.
Wenn ein Film mit einem Bibeltext eröffnet wird, geschieht das sicher nicht ohne Grund. Es ist die Geschichte der „Sünderin“ Maria Magdalena, die Michelle, die 80-jährige Hauptfigur, in der Messe hört. Die selbstgerechten Pharisäer sind entsetzt, dass Jesus sich von „einer wie ihr“ die Füße waschen lässt. „Sünderin“ ist also das Stichwort. Auch Michelle ist eine Frau mit Vergangenheit, wie sich herausstellen wird. Aber ihren Ruhestand genießt sie ruhig auf dem Land in Burgund. In ihrer Pariser Wohnung lebt nun Tochter Valérie mit dem Enkelsohn Lucas. Für den Besuch der beiden bereitet Michelle liebevoll die Gästebetten vor und geht mit ihrer Freundin Marie-Claude Pilze sammeln im Wald.
In schockierendem Widerspruch zur Vorfreude der Mutter steht dann der eisig schroffe Tonfall der Tochter bei der Ankunft und bei Tisch…
– Valérie, wärst Du bitte so nett und legst Dein Handy weg, während wir essen?
– Mama, hör auf mich zu nerven! Ich hab‘ schon genug Probleme. Reichst Du mir mal die Pilze?
-Hier.
– Nimmst Du keine?
– Nein, Du hast mir den Appetit verdorben.Filmszene
Hingebungsvolle Oma oder Wolf im Schafspelz?
Mit dieser Mutter-Tochter-Beziehung steht es nicht zum Besten, soviel ist klar. Und das Verhältnis wird noch schlechter, als Valérie nach dem Genuss von Mamas Pilzpfanne bewusstlos im Krankenhaus landet. Auch die Stimmung ist fortan vergiftet. Valérie schnappt sich Lucas, der die Ferien eigentlich bei Oma verbringen sollte, und bricht jeden Kontakt zur Mutter ab.
Ist Michelle wirklich nur die hingebungsvolle Oma? Oder doch zu vielem fähig? Die Thriller-Elemente schleichen sich auf leisen Sohlen in dieses Mutter-Tochter-Drama.
Das muss man sich mal vorstellen, ich schenke ihr die Wohnung in Paris. Nicht mal ein Danke, nichts. Für sie muss ich nur zahlen, zahlen, zahlen. Dafür bin ich gut genug.
Filmszene
Einer ist Michelle gegenüber dankbarer: Der Sohn von Marie-Claude, der jahrelang im Gefängnis saß und dem sie mit Arbeit und Geld wieder auf die Beine hilft. Weshalb ihr seine uneingeschränkte Solidarität gehört. Aber hat sie ihn nach Paris zur Tochter geschickt?
– Es ist widerlich, was Du da mit ihrem Enkel abziehst. Das kannst Du Deiner Mutter nicht antun. Ohne sie gäb’s Dich gar nicht.
– Ihre Scheiß-Vergangenheit kennen wir ja wohl beide. Die deiner Mutter auch! Kriegst Du nicht mit, wie kaputt sie uns gemacht haben? Ich muss kotzen, wenn ich an sie denke.
– Jetzt echt, sprich nicht so über Deine Mutter!Filmszene
Subtile Spannung statt nervenaufreibender Thriller
Unter den französischen Schauspielern ist Pierre Lottin zur Zeit die erste Wahl für die aufbrausenden, unberechenbaren jungen Typen. In den Mittelpunkt seines Films aber stellt Regisseur François Ozon die beiden älteren Damen. „Ich bin entsetzt darüber, wie schnell ältere Menschen in der Gesellschaft und auf den Bildschirmen aus dem Blickfeld verschwinden“, sagt er – und überlässt es in „Wenn der Herbst naht“ Hélène Vincent und Josiane Balasko, 81 und 75 Jahre alt, die Leinwand mit ihrem Charisma zu füllen. Was ihnen mühelos gelingt.
Nichts ist hier eindeutig: Der Charakter der Figuren ist so offen für Interpretation wie die Geschichte. Perfekte Verbrechen oder verkorkste Familienbande – letztlich entscheidet das Publikum selbst, was es sieht. Was durchaus seinen Reiz hat. Nur mangelt es vor lauter Subtilität dem Film an tatsächlichem Suspense. Der Spannungsgrad bleibt im Wesentlichen der eines herbstlichen Waldspaziergangs.
Wenn der Herbst naht
- Genre:
- Drama
- Komödie
- Thriller
- Produktionsjahr:
- 2024
- Produktionsland:
- Frankreich
- Zusatzinfo:
- mit Hélène Vincent, Josiane Balasko, Ludivine Sagnier und anderen
- Regie:
- François Ozon
- Länge:
- 102 Minuten
- Altersempfehlung:
- ab 12 Jahren
- Kinostart:
- 28. August 2025