In der Lausitz beginnt der Countdown. In wenigen Jahren werden die letzten drei Tagebaue des Braunkohlereviers geschlossen. Das hat paradoxerweise auch schwere Folgen für Berlin. Denn der Hauptstadt droht ohne die Braunkohle auch akute Wassernot. Wie das?

Trocken und nass zugleich: Mit 145 Liter Regen pro Quadratmeter erlebte Berlin einen ungewöhnlich nassen Juli. Die ersten sechs Monate des Jahres hingegen waren die trockensten seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1893. Im Juli fiel exakt so viel Regen wie von Januar bis Juni zusammen: 146,8 Liter. Der langjährige Durchschnitt liegt bei 300 Liter.

„Streusandbüchse“ wurde die Region zwischen Elbe, Lausitzer Neiße und Oder früher im Volksmund genannt, wegen ihrer sandigen und unfruchtbaren Böden. Doch selbst für die trockenste Gegend Deutschlands ist diese Dürre außergewöhnlich. Eine Dürre, die sich gerade in der Hauptstadt Berlin in den kommenden Jahren noch weit dramatischer ausfallen könnte – und das ausgerechnet wegen des deutschen Ausstiegs aus der Energieversorgung mit Braunkohle. Was für Umwelt und Klima ein Segen ist, kann sich für Berlin als handfestes Problem erweisen. 

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Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird in der Niederlausitz und der Oberlausitz südöstlich von Berlin die Braunkohle gefördert. In den 1920er Jahren stieg Deutschland zum weltweit größten Produzenten und zugleich zum größten Verbraucher von Braunkohle auf. Für die später folgende DDR war die Braunkohle der wichtigste Energieträger und zugleich der wichtigste Wirtschaftsfaktor. 30 Prozent des Weltmarktes für Braunkohle stammte aus der DDR. 

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Von 1900 bis 2020 wurden 8,4 Milliarden Tonnen Rohbraunkohle gefördert, um den großen Energiehunger der Industriegesellschaften an Wärme und Strom zu stillen. Mit einer Tonne Rohbraunkohle lässt sich eine Megawattstunde Strom erzeugen. 

Mehr Wasser als im Bodensee

Für den Kohle-Abbau waren umfangreiche Eingriffe nötig, in Stadtbilder wie in die Natur. Insgesamt 136 Orte wurden in den vergangenen hundert Jahren im Lausitzer Revier weggebaggert, zwischen 16.000 und 30.000 Menschen wurden umgesiedelt. Viele der Orte sind im kollektiven Gedächtnis längst vergessen, doch der Eingriff in die Natur wird die gesamte Region bis hinauf nach Berlin noch jahrzehntelang beschäftigen.

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Denn zwischen 1900 bis 2020 wurde nicht nur Kohle abgebaggert, es wurden auch 58 Milliarden Kubikmeter Grundwasser abgepumpt, wie aus einer Studie des Umweltbundesamts (UBA) vom Juni 2023 hervorgeht. Das ist mehr Wasser als im gesamten Bodensee. Der Eingriff in den Wasserhaushalt habe in den naheliegenden Flüssen Spree und Schwarze Elster „deutliche Spuren“ hinterlassen, heißt es in der Studie.

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Zurück zum trockenen Ursprung

Das Kernproblem: Bei der Kohleförderung wird Grundwasser für die Trockenlegung der Flöze abgepumpt, die in 35 bis 120 Meter Tiefe liegen. Dieses Grundwasser fließt seit 120 Jahren in die Spree und in die Schwarze Elster, die somit künstlich gepäppelt wurden.

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Nach dem Kohleausstieg 2038 ist damit aber Schluss, das Aufpäppeln hat ein Ende. Die Flüsse kommen wieder zurück in ihren Ursprungszustand, was für Berlin bedeutet: Der Spree werden in den trockenen Sommermonaten bis zu 60 Prozent Wasser fehlen. Und das in einer Region, deren Wasserbedarf sich im vergangenen Jahrhundert deutlich erhöht hat. In Berlin und im umliegenden „Speckgürtel“ leben nicht mehr knapp zwei Millionen Menschen wie noch im Jahr 1900, sondern fast fünf Millionen. 

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Auch für den Spreewald im Südosten der Stadt würde das fehlende Wasser ein Riesenverlust darstellen. Eine ganze Region hatte sich in den vergangenen 120 Jahren an den erhöhten Abfluss gewöhnt, hatte ihre Versorgung und ihre Wirtschaft danach ausgerichtet. „Ein Trockenfallen der Spree muss, auch im Hinblick auf den Tourismus im Spreewald, unbedingt verhindert werden“, heißt es daher in der UBA-Studie. 

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Tagebau Lausitz Braunkohlebergbau in der Lausitz: Ende 2038 geht eine über 130-jährige Epoche zu Ende. Getty Images „Das Problem ist lange absehbar“ 

Wo nimmt Berlin also bald sein Wasser her? Dreizehn Jahre sind noch Zeit, um Ideen und Konzepte für die Zeit nach der Braunkohle zu entwickeln. „Das ist nicht viel“, sagt die Leiterin der Wasserversorgung der Berliner Wasserbetriebe, Gesche Grützmacher, im Gespräch mit FOCUS online Earth.

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Es ist sogar sehr wenig, denn bei genauerer Betrachtung liegen bislang eher Absichtserklärungen statt schlüssiger Konzepte auf dem Tisch. Die Expertenwelt warnt schon seit Jahren. „Das Problem ist lange absehbar, wurde aber seitens der Verantwortlichen leider nicht ausreichend berücksichtigt“, sagt der Geologe Hagen Koch vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

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Die Spree in Spandau Die Spree mündet bei Spandau in die Havel. Beide Flüsse sind auf Grundwasser aus dem Bergbau angewiesen. Berliner Wasserbetriebe Der neue Riesen-See

Und dann ist da noch der neue See. In den ausgeräumten Mondlandschaften der Braunkohlegruben entsteht derzeit auf 14.000 Hektar Fläche das Lausitzer Seenland: Europas größte künstliche Seenlandschaft mit 20 Seen, zahlreichen Kanälen, kilometerlangen Radwegen, schwimmenden Häusern, Stadthäfen und Industriedenkmälern. Vorzeigeprojekt ist der Cottbusser Ostsee im ehemaligen Braunkohletagebau Cottbus-Nord, der seit 2019 geflutet wurde und jetzt mit 19 Quadratkilometern der größte künstliche See Deutschlands ist.

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Wie kein anderes Projekt symbolisiert der Ostsee den Strukturwandel und die Hoffnung in der Lausitz: Fünf Badestrände sollen entstehen, eine Strandpromenade mit Hafen, ein Hotel sowie ein Sport- und Gesundheitszentrum. Die alten Braunkohlekraftwerke wiederum sollen zu Monumenten der grünen Transformation werden, in denen etwa große Mengen Wasserstoff produziert werden.  

Cottbusser Ostsee Noch in den Anfängen: Der Cottbusser Ostsee soll das Symbol für einen erfolgreichen Strukturwandel in der Lausitz werden. Getty Images Wasserstoff produzieren? „Nicht möglich“ 

Die Krux: Das Wasser für all diese Projekte kommt zu einem Großteil ausgerechnet aus der Spree. Wie soll die das auf Dauer stemmen, wenn ihr das Wasser aus den Tagebauen fehlt? 

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Die Region steht vor einem Dilemma. Der Strukturwandel in der Lausitz muss gelingen, soll das einstige Wirtschaftszentrum des Ostens nicht noch mehr in die Depression abgleiten. Experten erwarten jetzt schon einen Fachkräftemangel von rund 55.000 Personen bis 2038. Vor allem junge Spezialisten wandern ab. Gleichzeitig brauchen die Menschen in Berlin Wasser, das bezahlbar bleibt – und auch das Naturwunder Spreewald muss Wasser-Idylle bleiben. 

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Der Konflikt ist vorprogrammiert, schlussfolgert das Umweltbundesamt. Es werde zu „Mangelsituationen“ kommen, heißt es in der Studie unverblümt. In der Lausitz konkurrierten der „Industriesektor mit dem Unesco-Biosphärenreservat Spreewald um das verfügbare Wasserdargebot“. Lakonisch legt das UBA gar ein Großprojekt der Energiewende im sächsischen Boxberg gedanklich zu den Akten: „Eine Wasserstoffproduktion größeren Umfangs wird im Spreegebiet nicht möglich sein.“  

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Druck aus zwei Fronten

Die Wasserversorgung Berlins und der Region gerate aus zwei Fronten unter Druck, erklärt Koch vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Neben dem Kohleausstieg spiele der Klimawandel eine entscheidende Rolle. „Durch die steigenden Temperaturen haben wir steigende Wasserverluste aufgrund der Verdunstung“, sagt Koch. „Im Spreegebiet insbesondere über die vielen Wasserflächen und Feuchtgebiete wie dem Spreewald.“ Durch die steigenden Temperaturen, und das sei ein Riesenproblem, verlängere sich auch die „Vegetationsperiode“, also die Zeit, in der die Vegetation Wasser benötigt. 

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Ein Teufelskreis: Durch die Verlängerung der Vegetationsperiode verkürze sich wiederum die Zeit, in der sich das Grundwasser durch Regen und Schnee neu sammeln kann. Der Niederschlag versickert in der vegetationslosen Zeit im Boden und dient als Wasserspeicher für die Pflanzen im Frühjahr und Sommer. Dieses Grundwasser bildet auch den sogenannten Basisabfluss, der in längeren Trockenperioden fast den gesamten Abfluss in den Flüssen ausmacht. 

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Doch die Parameter verändern sich: „Wir haben teilweise weniger Niederschlag, vor allem weniger Schnee, und die Pflanzen blühen früher und brauchen daher früher Wasser, die Periode der Grundwasserneubildung wird kürzer“, sagt Koch. „Das gesamte System ändert sich.“ Durch den Klimawandel bräuchte die Spree also eigentlich zusätzliches Wasser, doch der Kohleausstieg nimmt ihr nur welches weg. 

Touristen in Spreekähnen Die Touristen in den Spreekähnen wissen nicht, dass die Versorgung im UNESCO-Biosphärenreservat Spreewald gefährdet ist. Getty Images „Wir werden immer genug Wasser haben“

Eine Mammutaufgabe. Nach dem Braunkohleausstieg werden im Unterlauf der Spree in Brandenburg künftig pro Jahr 126 Millionen Kubikmeter Wasser fehlen, mehr als dreimal so viel, wie der Große Müggelsee fasst, im sächsischen Teil der Spree werden es 95 Millionen Kubikmeter sein. So drohen laut Umweltbundesamt „bei gleichbleibendem oder gar steigendem Wasserbedarf insbesondere in trockenen Jahren immer häufigere und länger andauernde Wasserengpässe in der Region“. 

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„Falsch“ seien jedoch Prognosen, dass „Berlin auf dem Trockenen“ sitzen wird, betont Grützmacher. „Die Wasserstände werden nicht sinken und wir werden immer genug Wasser haben“, so die Leiterin der Wasserversorgung der Berliner Wasserbetriebe. Die Frage ist nur, von welcher Qualität. Hier liege die größte Herausforderung: „Unsere Aufgabe ist es, die Trinkwasserqualität zu sichern.“

Gesche Grützmacher von den Berliner Wasserbetrieben Die Leiterin der Wasserversorgung der Berliner Wasserbetriebe, Gesche Grützmacher, will Berlins Wasserqualität sichern. Berliner Wasserbetriebe Noch fehlt der Masterplan

Lösungen? Nach Recherchen von FOCUS online Earth gibt es noch keinen Masterplan, um das einzigartige Biosphärenreservat Spreewald zu retten, gleichzeitig die Trinkwasserversorgung und die Wasserqualität Berlins aufrecht zu erhalten und die Bergbaufolgeseen zu befüllen. 

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Ein Großprojekt ist die Elbüberleitung: Aus der Elbe sollen pro Jahr 60 Millionen Kubikmeter Wasser für die Spree abgezapft werden, so die Idee. Machbarkeitsstudien stehen noch aus, frühestens ab 2045 könnte Wasser aus der Elbe fließen. Dagegen formiert sich seit Jahren Widerstand von Naturschützern.

Auch Grützmacher ist skeptisch. „Seien wir ehrlich“, sagt die Leiterin der Berliner Wasserbetriebe. „Wenn wir das Wasser in der Spree am meisten brauchen, hat auch die Elbe kein Wasser. Von einem Niedrigwasser kann man nichts abzapfen.“

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Inzwischen müssen sogar Fähren auf der Elbe ihren Betrieb einstellen, weil das Wasser nicht reicht. Es sei allerdings richtig, solche Überlegungen anzustellen, „um einfach eine Hausnummer zu bekommen“, sagt die Geologin: „Was kostet es? Wie hoch sind die Ewigkeitskosten? Ist das vor diesem Hintergrund wirklich eine sinnvolle Maßnahme?“

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Streit um Elbe-Lösung

Koch vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung sieht es anders. Er war schon vor fast 20 Jahren an der ersten Studie zur Elbeüberleitung beteiligt. „Ohne zusätzliches Wasser aus der Elbe wird es ganz schwer, die Wasserversorgung für Berlin und den Spreewald zu halten“, sagt er. 

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Auch das Umweltbundesamt hält eine Elbe-Spree-Überleitung für „unerlässlich, um zusätzliches Wasser für die Flussgebiete der Lausitz bereitzustellen“. Die Studie rät sogar zu zusätzlichen Wasserüberleitungen aus der Lausitzer Neiße und der Oder. „Hierfür müsste eine notwendige Infrastruktur errichtet werden“, heißt es. 

50 Prozent der Wasserspeicher sind kaputt  

Eine Lösung, auf die sich offenbar alle Parteien einigen können, sind Wasserspeicher. Bislang verfügt die Region Berlin über ein Speichervolumen von 99 Millionen Kubikmeter Wasser. Mit einer Erweiterung um 27 Millionen Kubikmeter ließen sich „Defizite in den wasserarmen Monaten teilweise auffangen“, schreibt das Umweltbundesamt, schränkt aber gleich wieder ein: „Sofern die gespeicherte Wassermenge ohne Einschränkungen zur Verfügung steht.“ Und das ist nicht der Fall: 50 Prozent der Speicher sind kaputt und müssen saniert werden. 

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Auch die jetzt neu entstandenen Seen werden als Speicher ins Spiel gebracht. Die Bergbaugesellschaften LMBV und LEAG dürften jedoch kaum zustimmen, den Seen Wasser zu entnehmen. Sie hatte in den vergangenen Jahren aufgrund der geringen Niederschläge und der hohen Verdunstung auch ohne Entnahme erhebliche Probleme, den notwendigen Wasserstand in den Seen aufrecht zu halten. 

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Abraumförderkante Jänschwalde Für die Zeit nach dem Braunkohleausstieg gibt es noch keinen Masterplan: Die Abraumförderkante Jänschwalde. LEAG „Bis dahin muss viel gebaut werden“

Die Zeit drängt. „Bund und Länder wissen, dass die Wasserklemme ab Mitte der 2040er Jahre Realität wird“, sagt Ingolf Arnold vom Verein Wasser Cluster Lausitz. „Bis dahin muss viel gebaut werden, das heißt, spätestens 2027 müssen die Grundsatzentscheidungen getroffen werden.“

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Und wenn man den Kohleausstieg einfach rückgängig machen würde – der Spree zuliebe? Keine Alternative, sagt Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes. „Der Klimawandel ist das größte Problem“, sagt Messner zu FOCUS online Earth. „Ich bin absolut dafür, dass wir den Ausstieg für die Lausitz weiter für 2030 anvisieren, sonst werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen können.“ Denn, erinnert Messner: „Der Kohleabbau war über Jahrzehnte schädlich für die Umwelt.“ Nur für die Spree hatte er paradoxerweise auch einen Vorteil.