Menstruationsurlaub für Beschäftigte der Stadt Stuttgart? Das Linksbündnis hat dies beantragt. Wir haben gefragt, wie die anderen Fraktionen im Gemeinderat dazu stehen.
Millionen Frauen kennen es: Einmal im Monat beginnt die Leidenszeit – immer, wenn sie ihre Tage haben. Bei vielen ist die Periode so schmerzhaft, dass sie sich mit Hilfe von Tabletten durch den Arbeitstag quälen, früher nach Hause gehen müssen oder ganz ausfallen. Wären somit freie Tage während der Menstruation sinnvoll? Nach Ansicht der Stuttgarter Fraktion „Die Linke SÖS Plus“ durchaus. Könnte die Stadt als Arbeitgeber sogar Vorreiter für ganz Deutschland werden?
Im Gemeinderat hat die Fraktion nun jedenfalls den Antrag gestellt, dass „alle menstruierenden Beschäftigte der Stadt Stuttgart“ für bis zu drei Arbeitstage Anspruch auf bezahlten Menstruationsurlaub haben. Da es sich um Sonderurlaub handeln soll, wäre auch keine Vorlage einer Krankmeldung oder eines Attests nötig. „Wir schlagen vor, das Projekt ab Januar 2026 für zwei Jahre zu starten“, sagt die Fraktionsvorsitzende Johanna Tiarks auf Anfrage unserer Zeitung. Damit wolle man sensibilisieren und auf das „noch immer mit Tabus behaftete Problem Menstruationsschmerzen“ aufmerksam machen: „Wir möchten mit der Regelung Sichtbarkeit schaffen – und Stigmatisierung abbauen.“
Die Stuttgarter Links-Stadträtin Johanna Tiarks will das Thema Menstruation enttabuisieren. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko Spanien und Freiburg als Vorbild für Menstruationsurlaub
In anderen Ländern gibt es derartige Regelungen bereits, in Japan etwa seit den 70ern. Spanien hat 2023 als erstes Land der Europäischen Union gesetzlich verbrieft, dass Frauen „mens-frei“ bekommen, sofern sie ein Attest vorlegen. Seit 2024 haben darauf auch die städtischen Beschäftigten im schweizerischen Freiburg einen Anspruch, ohne Attest. Daran habe sich ihre Fraktion orientiert, erklärt Tiarks: „Wenn es in Freiburg möglich ist, müsste es doch auch für Stuttgart eine Lösung geben.“ Stuttgart können dadurch „zeitgemäße, gleichstellungsorientierte Personalpolitik umsetzen und eine Vorbildfunktion in Deutschland einnehmen“.
Doch was halten die anderen Fraktionen im Gemeinderat von der Idee? In Deutschland erlauben bisher zwar einige Start-ups einen so genannten „Period Leave“. Brauchen Frauen aber tatsächlich eine Spezialregelung, um daheimbleiben zu dürfen? Geht es nach der CDU im Gemeinderat, lautet die Antwort ganz klar: nein. „Wir halten diesen Vorschlag für unverantwortlich, besonders in der heutigen Zeit, in der die Stadt sparen muss“, sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Beate Bulle‐Schmid auf Anfrage. 36 zusätzliche Tage pro Jahr – das könne man schon finanziell nicht stemmen. „Es ist darüberhinaus für jeden Beschäftigten und jede Beschäftigte der Stadt möglich, sich krank zu melden, wenn er oder sie sich danach fühlt. Dazu bedarf es keines Sonderurlaubs.“
Die Mehrzahl der Fraktionen lehnt Menstruationsurlaub ab
Zu einer ganz ähnlichen Einschätzung kommt auch die Fraktion der Grünen im Stuttgarter Rathaus: Die Regelungen sehen vor, dass „alle Mitarbeiter*innen der Stadt Stuttgart, die sich arbeitsunfähig fühlen, bis zu drei Tage ohne ärztliches Attest zu Hause bleiben können“, teilen die beiden Fraktionsvorsitzenden Petra Rühle und Björn Peterhoff mit. Dies schließe auch Frauen mit Menstruationsbeschwerden ein.
„Deshalb sehen wir aktuell keinen Bedarf für eine zusätzliche Regelung“, so die Grünen weiter. Der Begriff „Sonderurlaub“ sei zudem irreführend. Wer gesundheitlich beeinträchtigt sei und Schmerzen habe, mache schließlich keinen Urlaub. Ein Argument, das auch Johanna Tiarks bewusst ist: „Es gibt aber keinen richtig passenden Begriff.“ Krankheitstage treffe es auch nicht, wer menstruiere sei ja nicht krank.
SPD-Vorsitzende: Aufklärung zu Menstruation und Arbeit
Von der SPD, die im Stadtrat mit der Partei Volt eine Fraktionsgemeinschaft bildet, gibt es noch kein endgültiges Urteil: „Meine Fraktion konnte das Anliegen aufgrund der Sommerpause noch nicht angemessen diskutieren“, teilt die Vorsitzende Jasmin Meergans mit. Zudem verweist sie darauf, dass eine dreitägige Fehlzeit bei Arbeitsunfähigkeit ohnehin möglich ist.
Sie selbst sehe durchaus, dass sich „zu viele Menstruierende trotz Beschwerden zur Arbeit schleppen“. Auch seien „die Tabuisierung und das gesellschaftliche Stigma des Fehlens am Arbeitsplatz aufgrund der Menstruation enorm ausgeprägt“, so Meergans. Ob eine „solitäre Regelung der Stadt Stuttgart als Arbeitgeberin“ darauf jedoch positiven Einfluss habe? Ihrer Meinung nach müsse zunächst geprüft werden, ob „eine verstärkte Aufklärung zu Menstruationsbeschwerden und Arbeit und den bereits vorhandenen Möglichkeiten“ sinnvoll wäre.
FDP fordert „Kultur des Verständnisses“
Verständnis für die Lage der Frauen kommt auch von den Fraktionen der AfD, der Freien Wähler und der FDP. „Es ist dringend notwendig, eine Kultur der Aufklärung und des Verständnisses dieser regelmäßig auftretenden Situation in das Bewusstsein aller Mitarbeitenden der Stadt zu bringen“, sagt Matthias Oechsner. Der Fraktionsvorsitzende der FDP ist jedoch skeptisch, ob Frauen mit Menstruationsurlaub wirklich geholfen wäre. Eine generelle Gewährung hält er für „nicht zielführend“.
„Das ist ein Thema für die Tarifpartner, nicht für eine einzelne Gemeinde oder Stadt“, teilen Rose von Stein und Axel Brodbeck, die Fraktionsvorsitzenden der Freien Wähler, mit. Wenn eine Person unter Menstruationsbeschwerden leide „und sich krank fühlt bzw. krank ist“, solle sie sich krankschreiben lassen. Dies sei auch heute schon unbürokratisch möglich – was auch die AfD-Fraktion mitteilt. Sie hält den Vorstoß für „reines PR-Gedöns“ der Linken. Man solle eher an betriebliche Gesundheitsförderung denken: „Etwa mit Schulungen zu zyklusgerechter Arbeitsgestaltung oder Erlernen von Copingstrategien“, schlägt der Vorsitzende Michael Mayer vor.
Puls: Menstruationsurlaub macht Arbeitgeber attraktiv
Zustimmung bekommt der Vorstoß der Linken indes von der dreiköpfigen Gemeinderatsgruppe Puls: „Wir halten das für gut und richtig“, bekräftigt die Stadträtin Ina Schumann. Sie sei davon überzeugt, dass die Stadt nur profitiere – und ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigere: „Arbeitnehmerinnen fühlen sich dadurch wahrgenommen, ihre Zufriedenheit steigt.“ Finanziell habe das „keine großen Auswirkungen“, ist sich Schumann sicher.
Die Linke geht in ihrem Antrag sogar noch weiter: „Wir sehen langfristige Einsparpotentiale aufgrund von der Reduzierung langfristiger Fehlzeiten und Krankmeldungen.“
Menstruation und Schmerzen
Umfrage
Frauen leiden in Deutschland im Durchschnitt laut einer aktuellen Umfrage drei Tage im Monat unter Regelschmerzen – das entspricht bei 450 Perioden 1350 Tagen im Leben einer Frau. Sieben von zehn Frauen geben an, dass die Regelschmerzen sie oft körperlich und seelisch schwächen.
Tabuthema
85 Prozent der Frauen in Deutschland zwischen 14 und 50 Jahren haben nach Angaben der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) den Eindruck, dass über den weiblichen Zyklus in der Öffentlichkeit wenig oder gar nicht gesprochen wird. Es werde zudem zu wenig darüber informiert beziehungsweise berichtet, welchen Einfluss Menstruation und Hormone auf den Körper haben.