DOMRADIO.DE: Sie waren damals als Generalsekretär für den Weltjugendtag verantwortlich. Welche Aufgaben hatten Sie da?
Dr. Heiner Koch (Erzbischof von Berlin, damals Generalsekretär des Weltjugendtags 2005): Zunächst einmal ist in den drei Jahren vor dem Weltjugendtag viel vorzubereiten: von der Bewerbung, der Ansprache, über den Papst, bis hin zum Tag selbst. Mit vielen Freiwilligen, die drei Jahre lang bangen, hoffen, Ideen sammeln oder das Weltjugendtagskreuz auf die Weltreise bringen. Die Herausforderung ist auch, die Tage selbst mit höchster Wachheit zu gestalten.
Ich glaube, ich habe in diesen Tagen insgesamt fünf Stunden geschlafen. Mit der Ungewissheit, nicht zu wissen, was nicht vorhersehbar war. Zu schauen, dass es inhaltlich gut geht, dass es mit dem Heiligen Vater gut geht. Auch danach gab es viel zu besprechen: Interviews, Rechnungen zahlen, das Ganze aufarbeiten und an den Nachfolger weitergeben. Es war ein herzzerreißender, aber auch ein Herz mitnehmender Auftrag, den ich hatte.
DOMRADIO.DE: Papst Benedikt XVI. war damals frisch im Amt. Erinnern Sie sich noch an die Begegnungen mit ihm? Wie haben Sie die erlebt?
Erzbischof Koch: Zunächst einmal hatten wir alles darauf vorbereitet, dass Papst Johannes Paul II. nach Köln kommt. Er wurde zwar immer schwächer und das Programm wurde immer wieder verändert, aber dann starb er.
Wir waren froh, dass Papst Benedikt kam. Streng genommen hätte der nachfolgende Papst nämlich entscheiden können, dass er unter Umständen nicht nach Köln kommt und es absagt. Wir haben ihn dann öfter interviewt und gefragt, wie er sich das vorstellt.
Denn es gab eine ganze Reihe von Punkten, bei denen die Verantwortlichen in Rom und wir in Deutschland mit Kardinal Meisner, Kardinal Lehmann, dem BDKJ und der katholischen Jugend unterschiedlicher Meinungen waren. Wir hatten unsere eigenen Vorstellungen.
Einer der Höhepunkte der Vorbereitung war, dass wir nach Rom geladen wurden. Kardinal Meisner und ich sind hingefahren und dann saßen uns die ganzen römischen Verantwortlichen und der Heilige Vater gegenüber. Der sagte dann immer, dass wir vortragen sollen, warum wir das so machen wollen. Das habe ich dann gemacht und dann hat die Gegenseite, wenn ich so sagen darf, ihre Argumente vorgetragen.
Papst Benedikt XVI. nach Aussage von Erzbischof Koch
„Ach wissen Sie, vertrauen wir doch den Kölnern.“
Der Heilige Vater Benedikt hat dann immer gesagt: „Ach wissen Sie, vertrauen wir doch den Kölnern.“ Wir haben in allen Punkten Recht bekommen. Das fing bei der Wallfahrt an. Ob das im Boot ging, ob es auf dem Rhein möglich ist, ob das mit den Begegnungen mit der Synagogengemeinde ging und dergleichen mehr. An allen Punkten hat er uns das Vertrauen ausgesprochen. Was ist das für eine Erfahrung von Kirche, die wir damals gemacht haben.
DOMRADIO.DE: Welche Erinnerungen haben Sie sonst an den Weltjugendtag? Was hat Sie besonders beeindruckt?
Erzbischof Koch: Es ist unendlich viel. Zunächst einmal, dass es gelungen ist, so viele Jugendliche aus der ganzen Welt hierher zu bekommen – auch aus Ländern, wo gar keine Einreisemöglichkeit bestand. Dass es uns gelang, viele Jugendliche aus der ganzen Welt, die finanziell am Rande stehen, nach Köln zu bekommen. Und es ist friedlich verlaufen.
Was mich sehr bewegt hat, ist, dass die Botschaft und die Art und Weise, diesen Weltjugendtag als Dreikönigswallfahrt zu gestalten, geglückt sind. Und dass die Botschaft, die vermittelt wurde, auch für die Jugendlichen aktuell war. Das war für uns ganz wichtig.
Besondere Erinnerungen sind erstens die Fahrt mit dem Heiligen Vater auf dem Rhein. Zigtausende bis Hunderttausende standen im Wasser, als wir da entlangfuhren. Was mich bewegt hat, war der Besuch der Synagoge. Es war das erste Mal, dass ein Papst nördlich der Alpen eine Synagoge besuchte. Was war das für eine Vorbereitung und für eine Spannung zwischen diesen Glaubensgemeinschaften, die doch so eng verbunden sind? Bis heute hält die Freundschaft zu ihnen an.
Erzbischof Koch
„Die Stimmung in Köln, die Begeisterung, die Gastfreundschaft: Darauf haben wir gebaut und das hat sich voll erfüllt.“
Was mich auch sehr bewegt hat, war die liturgische Nacht vom Samstag auf den Sonntag, wo das Weltjugendtagskreuz hineinkam. Jüdische Musik, christliche Musik, Künstler, die da mit 800.000 Jugendlichen eine Nacht der Betrachtung gestaltet haben.
Zu wissen, dass das alles insgesamt – den Schlussgottesdienst und diese Nacht – 250 Millionen Menschen auf der ganzen Welt im Fernsehen live sahen, das hat mich wirklich begeistert. Die Stimmung in Köln, die Begeisterung, die Gastfreundschaft: Darauf haben wir gebaut und das hat sich voll erfüllt.
DOMRADIO.DE: Ganz selten sieht man noch den Pilger-Rucksack. Wissen Sie noch, was da alles drin war?
Erzbischof Koch: Ja, das Nötigste war drin: Getränkeflaschen, Stadtführer, Texte, Programme, einiges zum Knabbern und andere Naturalien. Aber das wurde stark geteilt und Neues kam hinzu. Noch heute begegne ich diesem Rucksack und bin wirklich von Herzen froh.
DOMRADIO.DE: Was ist denn jetzt 20 Jahre später vom Weltjugendtag geblieben?
Erzbischof Koch: Erstens ist die Erinnerung bei denen, die teilgenommen haben, ganz lebendig, insbesondere bei den vielen Jugendlichen. Wir haben hier drei Jahre lang mit Jugendlichen aus der ganzen Welt diese Tage vorbereitet. Zweitens ist es die innere Botschaft, die geblieben ist.
Erzbischof Koch
„Die Spannungen sind viel größer – innerkirchlich wie außerkirchlich.“
Ich habe in meinem Wappen und meinem Bischofsstab die Dreikönigsgeschichte, die Anbetung, dargestellt. Das habe ich übernommen. Drittens die Tatsache, dass wir eine missionarische Kirche sind und dass wir heute in einer ganz anderen Zeit leben. Die Spannungen sind viel größer – innerkirchlich wie außerkirchlich.
Wir stehen vor neuen Herausforderungen. Aber die Drei Könige haben damals vieles geschafft und wir schaffen das auch. Das berühmte Zitat ist sicherlich auch für uns prägend gewesen. In einer schwierigen Situation hat mir dieser Weltjugendtag oftmals sehr viel Kraft gegeben.
DOMRADIO.DE: Heute Abend steht die große Festmesse an. Wie haben Sie sich denn darauf vorbereitet? Worüber werden Sie sprechen?
Erzbischof Koch: Ich werde heute über die Hoffnung sprechen, denn das ist sicherlich eine Situation, die sich verändert hat. Es war damals so ein Stück weit eine Hoffnungswallfahrt und wir erlebten die Zion-Wallfahrt, die Weltfahrt der Völker, live mit.
Aber es ist so viel in der Gesellschaft passiert: Kriege in der Ukraine und Israel, in der Kirche, die Spannungen, die Frage des Missbrauchs, die Frage der Auseinandersetzungen des synodalen Wegs, das persönliche Leid. So viel ist geschehen.
Ich will mit den Menschen nochmal auf die Drei Könige schauen und sagen: Das waren Hoffnungsgestalten für uns heute. Das hängt nicht davon ab, dass Millionen da sind, sondern das hängt von den Herzen der Einzelnen ab, und es hängt vom Gott ab. Und der ist auf jeden Fall da.
Das Interview führte Annika Weiler.