René Wilke 100 Tage im Amt
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Der Abräumer
Fr 29.08.25 | 19:12 Uhr | Von Hanno Christ
dpa/Hannes P Albert
Audio: Antenne Brandenburg | 29.08.2025 | Nico Hecht | Bild: dpa/Hannes P Albert
Nach dem abrupten Abgang von Brandenburgs Innenministerin sprang der Frankfurter Oberbürgermeister in die Bresche. Innerhalb von 100 Tagen hatte René Wilke einige bemerkenswerte Auftritte. Wie hat er sich geschlagen? Von Hanno Christ
„Der Innenminister fehlt noch“, ruft der Fotograf. Als das Gruppenfoto ansteht, ist René Wilke der Letzte, der dazu kommt. Er drängelt sich aber nicht in die Mitte, er reiht sich eher am Rand ein. Dass er hier Dienstherr ist, merkt man ihm nicht an. Wilke drängt sich bei der feierlichen Ernennung von Anwärterinnen und Anwärtern auf eine Verwaltungslaufbahn in Potsdam nicht auf, zeigt sich bescheiden, ruhig, aber stets gut gelaunt und zuversichtlich.
Seine Rede vor den jungen Menschen hält er frei, gerade so, als hätte er das schon x-fach getan. Dabei hat er gerade mal 100 Tage als Innenminister hinter sich. Eine Zeit, von der der 41-Jährige sagt, sie sei „anspruchsvoll“ gewesen. „Ich habe noch keinen Tag erlebt, wo einfach alles gut war, sondern es ist immer Bewegung drin.“
In vielerlei Hinsicht macht Wilke genau dort weiter, wo er als Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder aufgehört hatte. Auch nach seinem Karrieresprung agiert er zugewandt. Als Politiker, der offenkundig gerne und auf Augenhöhe mit den Menschen spricht. Dabei ist Wilke deutlich, aber fast nie laut.
Wilke bringt AfD in die Defensive
Von einem Auftritt im Landtag Mitte Juli einmal abgesehen. Damals ging es um die Veröffentlichung einer Belegsammlung, die der Verfassungsschutz zusammengetragen hat. Sie ist die Grundlage für die Einstufung der AfD Brandenburg als erwiesen rechtsextremistisch durch das Innenministerium. Die AfD hatte sich im Plenum vorgenommen, die Argumentation auseinanderzunehmen und die anderen Fraktionen einmal mehr wie an einem Ring durch die Manege zu ziehen. Doch sie hatte die Rechnung ohne den neuen Innenminister gemacht.
Wilke zeigte sich bestens vorbereitet, ging argumentativ in die Offensive. Die AfD solle einfach mal zuhören und seinem Plan folgen. Am Ende der Debatte war es die AfD, der die Argumente ausgegangen zu sein schienen. Ein eher seltener Moment, seit die AfD im Landtag vertreten ist, für den Wilke viel Applaus bekam. Auch deshalb machte Wilkes Auftritt Schlagzeilen: Die Regierung, nicht die AfD, setzte den Ton.
Auch in den Wochen darauf zeigte sich Wilke im Umgang mit der AfD selbstsicher, ganz anders als seine Vorgängerin. Katrin Lange hatte sich lange Zeit gar nicht zur AfD äußern wollen und war im Mai scheppernd über ihren Umgang mit der Rechtsaußen-Partei gestürzt. Doch vom aufgewirbelten Staub dieser Zeit ist heute nichts mehr geblieben, muss auch Jan Redmann einräumen, Fraktionschef von der oppositionellen CDU. „Wilke hat es geschafft, die Ereignisse, die zu Katrin Langes Rücktritt geführt haben, in Vergessenheit geraten zu lassen.“
Die CDU bescheinigt Wilke einen guten Start, vermisst aber noch klare Zielvorgaben. „Er geht mit viel Optimismus an die Sache heran“, so Redmann, „und er strahlt das auch aus. Am Ende geht es nicht um die schönen Worte, sondern es zählen die Taten und daran werden wir ihn messen.“
Lob kommt bislang auch aus der SPD. Deren Fraktionsvorsitzender im Landtag, Björn Lüttmann, meint, Wilke habe die ersten 100 Tage „sehr, sehr gut“ gemacht. „Ich finde, dass Herr Wilke gezeigt hat, dass er bereit ist, sich sehr schnell in die Themen einzuarbeiten, sich auch sehr fleißig präsentiert, dass er wirklich etwas voranbringen will.“ Er habe bewiesen, dass er entscheidungsfreudig sei und vorangeht, so Lüttmann.
Womöglich der gefährlichste Mann für die AfD in Brandenburg
Verglichen mit dem Stil seiner Vorgängerin ist Wilkes Kurs eine 180-Grad-Wende. Er geht in die Offensive, erklärt seine Argumente versiert und ausführlich. Als die lange umstrittene Belegsammlung zur AfD-Hochstufung im August veröffentlicht wurde, nahm sich Wilke viel Zeit, um Inhalte zu erklären. Verbunden mit der Aufforderung an die AfD, sich künftig zu mäßigen. Gleichzeitig unterstreicht er dabei immer wieder, dass er zwar die Partei, nicht jedoch ihre Wähler als rechtsextrem einschätzt.
In der Kombination von Angriffslust, Eloquenz und Sachverstand ist Wilke der womöglich gefährlichste Mann für die AfD in Brandenburg. Einer, der vielleicht sogar Wahlen gewinnen kann.
Der AfD-Landesvorsitzende René Springer will von Wilkes Ratschlägen nichts wissen und wünscht sich bereits die ehemalige Innenministerin Lange zurück. Wilke könne der „nicht das Wasser reichen“ und habe keinen politischen Willen, Probleme zu lösen. Lange habe die politische Auseinandersetzung mit der AfD gesucht, kein Verbotsverfahren. Wilke hingegen verfolge und stigmatisiere die AfD „auf perfide Art und Weise“, so Springer. Wilke stünde „ganz klar in der Tradition von Mielke“, behauptet der AfD-Politiker. Solche – objektiv falschen – Vergleiche mit der DDR-Staatssicherheit dürften hingegen dem Verfassungsschutz neues Futter liefern.
Wilke für striktere Abschiebungen – und Augenmaß
Wilke hat Akzente gesetzt, ein klares Profil zeichnet sich in den ersten Tagen noch nicht ab. So fundamental anders sein Politikstil ist, bei der Umsetzung von Maßnahmen dürfte er den Weg seiner Vorgängerin weitergehen. Aufbau der Polizei und eine bessere Ausstattung, konsequentere Abschiebungen von Menschen ohne Bleiberecht und Ausländern, die hier straffällig geworden sind.
Bemerkenswert aber: Wilke hatte sich in den vergangenen Wochen öffentlich für die Rückholung einer bereits abgeschobenen jesidischen Familie eingesetzt. Letztlich bestätigte das Potsdamer Verwaltungsgericht die Abschiebung, doch Wilke ließ durchblicken, dass für ihn Menschlichkeit auch in Abschiebeverfahren eine Rolle spielt.
So machte er gleich in seiner ersten Innenausschusssitzung klar, was seine moralischen Leitlinien sind. „Ich würde mich als Mensch nicht anständig damit fühlen zu sagen, mir ist Leid und Elend in dieser Welt egal“, betonte er. „Zugleich braucht es eben ein System, das dafür sorgt, dass Überforderung verhindert wird, dass auch Missbrauch verhindert wird, das Ausnutzen von Hilfsbereitschaft verhindert wird.“
Trotz parlamentarischer Sommerpause waren die ersten 100 Tage im Amt für Wilke alles andere als ruhig. So zeigte er Flagge bei der Unterstützung der Spremberger Bürgermeisterin in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus. Wilke konnte bei einem Treffen in der Lausitz zwar zunächst nicht mehr versprechen als zusätzliche Videoüberwachung. Aber er stellte sich mit seinem Besuch demonstrativ an die Seite der Rathauschefin, nachdem die von einer bedrückenden Bedrohungslage in der Stadt berichtet hatte.
Polizei, Verfassungstreue-Check und Ausreisezentrum
Wilke muss liefern, vielleicht wie kein Zweiter in der Landesregierung. Das Innenressort steht unter besonderer Beobachtung, auch aus den Regierungsreihen. Der Verfassungsschutz fällt ebenso in Wilkes Bereich wie die Evaluierung des Verfassungstreuechecks, der ein Dorn im Auge des Koalitionspartners BSW ist und ihn am liebsten abgeschafft sehen möchte.
Ein BSW-Abgeordneter verklagte unlängst sogar die Landesregierung, wegen – aus seiner Sicht – dürftigen Antworten aus dem Innenministerium. Außerdem kritisiert das BSW Wilke auch deutlich für die Idee, bei Einbürgerungen künftig das Bekenntnis zum Existenzrecht des Staates Israel zur Bedingung zu machen. Diese Forderung sei „erstmal nicht so schön“, so BSW-Fraktionschef Niels-Olaf Lüders, darüber müsse man reden. Ansonsten attestiert er Wilke eine gute Zusammenarbeit und dass er sich „ordentlich geschlagen“ habe.
Wilkes Ministerium muss sich um ein auskömmliches Verhältnis zu den Kommunen kümmern, in einem Flächenland wie Brandenburg fundamental, um den Laden im Griff zu haben. Wohl auch dafür hat er sich einen zweiten Staatssekretär im Innenministerium gegönnt, entgegen der Kritik aus der Opposition, dass er damit Geld aus dem Fenster rauswerfe. Sein Haus hat der Neue damit jedenfalls besonders breit aufgestellt.
Möglicher Kandidat für Amt des Ministerpräsidenten?
Offen bleibt, ob Wilke auch den Weg in die SPD suchen wird. Der ehemalige Linkenpolitiker wurde zwar von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ins Amt gerufen, bislang aber segelt er weiterhin unter der Flagge eines Parteilosen. Im Interview mit rbb|24 sagt Wilke zur Frage eines Parteieintritts: „Ich bin entspannt. Wenn es sich richtig und gut gefühlt, dann passiert’s. Ich sehe keinen Grund, es zu müssen.“
Für den Moment verschafft ihm das den Anschein einer pragmatischen Überparteilichkeit. In Zeiten starker Polarisierung ist Parteilosigkeit womöglich ein Rezept, um Brücken zu schlagen. Zugleich ist es aber auch eine Hürde bei der künftigen Karriereplanung. Schon jetzt wird über Wilke hinter den Kulissen als möglicher Kandidat für die Nachfolge von Ministerpräsident Woidke getuschelt. Ohne den Schritt in die SPD dürfte der Griff nach einem der höchsten Ämter des Landes schwierig sein.
CDU-Landeschef Redmann will nach nur 100 Tagen im Amt keine solchen Prognosen über Wilke wagen. „Seine Parteizugehörigkeit wird er danach orientieren, wie es seinen Ambitionen nützt“, meint er. Und fügt hinzu: „Ich kenne René Wilke schon ziemlich lange und eines hat er sicher nicht zu wenig – und das sind Ambitionen.“
Sendung: Antenne Brandenburg, 29.08.2025, 17:00 Uhr