Fünf Minuten waren im Olympiastadion vorüber, als die Fans von Hertha BSC ein Lied anstimmten, das wenig Gutes verhieß. „Wir woll’n euch kämpfen seh’n“, schallte es aus der Ostkurve – passend vom Spielstand, der sich gerade vom 0:0 in ein 1:0 für die Gäste von der SV Elversberg verwandelt hatte.
Es war der Auftakt zu einem Auftritt des Grauens, den die Fußballer des Berliner Zweitligisten am Freitagabend vor 39.680 Zuschauern ablieferten. Das 0:2 (0:1) spiegelt die Größenunterschiede zwischen dem Hauptstadtklub und dem vermeintlichen Dorfverein nur unzureichend wider. Tatsächlich war Hertha den Saarländern hoffnungslos unterlegen.
Hertha BSC – SV Elversberg 0:2 (0:1)
Hertha BSC: Ernst – Gechter, Leistner, Dardai (46. Eichhorn) – Eitschberger (78. Berner), Jensen (79. Hoffmann), Cuisance, Zeefuik – Thorsteinsson (46. Grönning), Krattenmacher (68. Winkler) – Reese.
Elversberg: Kristof – Gyamerah (71. Mickelson), Pinckert, Rohr, Günther (63. Keidel) – Conde (71. Sickinger), Poreba – Petkow (83. Schmahl), Conté, Zimmerschied (83. Ceka) – Ebnoutalib.
Schiedsrichter: Haslberger (Freising).
Zuschauer: 39.680.
Tore: 0:1 Ebnoutalib (5.), 0:2 Ebnoutalib (59.).
Gelb-Rot: Gechter (77.).
Benjamin Weber, der Sportdirektor der Berliner, klagte, „dass wir insgesamt eine komplett schwache Leistung gezeigt haben, dass wir es nicht geschafft haben, Energie auf den Platz zu bekommen, dass wir fehlerhaft gewesen sind und dass wir nach der guten Leistung vor einer Woche alles haben vermissen lassen“.
Nach vier Spielen ist Hertha in der Zweiten Liga weiterhin ohne Sieg; seit 392 Pflichtspielminuten wartet das Team von Trainer Stefan Leitl, der am Freitag seinen 48. Geburtstag feierte, auf einen Torerfolg. Dass Innenverteidiger Linus Gechter am Freitag eine Viertelstunde vor Schluss nach einem eher harmlosen Foul mit Gelb-Rot vom Platz musste, passte zur aktuellen Situation.
Verletzungen und Ausfälle plagen das Team
„Mir fehlen ehrlicherweise die Worte, um vor allem die erste Halbzeit zu erklären“, sagte Torhüter Tjark Ernst. Von den eigenen Ansprüchen ist die Mannschaft derzeit weit entfernt. Statt oben um den Aufstieg mitzuspielen, wird Hertha die Länderspielpause auf dem vorletzten Tabellenplatz verbringen.
Die Voraussetzungen für Trainer Leitl sind alles andere als einfach. Zu den neun Verletzten bei Hertha gesellte sich kurzfristig auch noch Mittelstürmer Dawid Kownacki, der wegen muskulärer Probleme vorsichtshalber geschont wurde. Viele Variationsmöglichkeiten bei seiner Aufstellung hatte Trainer Stefan Leitl daher nicht mehr. Abgesehen von Marton Dardai, der Niklas Kolbe ersetzte, lief die gleiche Elf auf wie in der Vorwoche beim 0:0 gegen Darmstadt.
„Es wird nichts mehr passieren“ Hertha BSC kann nicht auf die Personalmisere reagieren
Warum Dardai zuvor seinen Platz in der Stammelf verloren hatte, demonstrierte er nach nur vier Minuten auf erschreckend beeindruckende Weise: Beim Versuch eines Befreiungsschlages schoss er einen Elversberger an. Der Ball landete bei Younes Ebnoutalib, der Dardai noch einmal locker-flockig überlupfte und die Elversberger mit einem Schuss ins kurze Eck mit 1:0 in Führung brachte.
Erstmals nach 368 Pflichtspielminuten war Tjark Ernst wieder einmal bezwungen – wobei Herthas Torhüter, zuletzt eine verlässliche Stütze für sein Team, auch keine gute Figur abgab. Aber welcher Berliner tat das an diesem Abend schon? Keiner.
„Jeder, der auf dem Platz stand, hat individuelle Fehler gemacht“, sagte Ernst. „Zu viele individuelle Fehler.“
Für die erste Halbzeit gibt es keinerlei Erklärung.
Herthas Trainer Stefan Leitl
Rechtsverteidiger Deyovaisio Zeefuik warf einen Einwurf ins Seitenaus, später ließ er den Ball unter seinem Fuß durchrutschen. Dardai spielte unbedrängt einen Pass ins Nichts. So stürzte Hertha von einer Verlegenheit in die nächste, kam kaum einmal in die Zweikämpfe und ließ im Spiel nach vorn jede Idee vermissen.
Anders als die Elversberger, die vor der Saison einige ihrer wichtigsten Spieler verloren haben, aber weiterhin einen feinen Fußball spielten. Das Spiel erinnerte vor allem vor der Pause an das Märchen vom Hasen und dem Igel. Hertha war der Hase, der blind durch die Gegend lief und immer zu spät kam. „Für die erste Halbzeit gibt es keinerlei Erklärung“, sagte Leitl.
Zur Pause stellte Trainer Leitl sein System um
Allein vor dem Tor ließen die Gäste, abgesehen von einem Pfostenschuss des Linksverteidigers Lasse Günther, die letzte Entschlossenheit vermissen – zum Glück für die Berliner, die so bis zur Pause zumindest in Schlagweite blieben.
In der Pause reagierte Leitl genauso einschneidend, wie er das beim letzten Aufeinandertreffen beider Mannschaften im Frühjahr und ebenfalls zur Pause getan hatte. Damals stellte er von Vierer- auf Dreierkette um. Diesmal war es umgekehrt. Sebastian Grönning und der erst 16 Jahre alte Kennet Eichhorn kamen ins Team, Fabian Reese rückte, wie von vielen Fans gefordert, aus dem Sturmzentrum auf die linke Außenbahn.
Beinahe hätte sich die Umstellung nach nur wenigen Sekunden ausgezahlt: Reese flankte von links, Grönnig erwischte den Ball mit dem Kopf, verfehlte das Tor aber knapp. Insgesamt wirkte Hertha nun deutlich energetischer, aber auch fast ein bisschen manisch.
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Der frische Eifer konnte jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Mannschaft in ihrer aktuellen Verfassung Leichtigkeit und Selbstvertrauen fehlen – und auch ein kühler Kopf. Nach knapp einer Stunde ließ sich Hertha nach einem Ballverlust im Mittelfeld von einem Konter übertölpeln. Ebnoutalib machte mit seinem zweiten Tor zum 2:0 für die Gäste bereits früh alles klar. Im Olympiastadion war es mit einem Mal ganz still.
Erst nach Spielende wurde es noch einmal richtig laut. Als die Mannschaft auf ihrer Stadiontour über die Tartanbahn schlich, schlugen ihr auch und gerade aus der Ostkurve wütende Pfiffe entgegen. „Berechtigterweise“, sagte Tjark Ernst.