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Marcin Wierzchowski hat einen Film über die neun Opfer des Hanauer Anschlags vom 19.2.2020 gedreht - „Das deutsche Volk“Marcin Wierzchowski steht vor dem Gedenk-Graffito für die Opfer des Hanau-Anschlags unter der Friedensbrücke. Er hat einen Film über die neun Opfer vom 19.2.2020 gedreht. Er trägt den Titel „Das deutsche Volk“ © Enrico Sauda/Enrico Sauda

Frankfurter Filmemacher bringt nächste Woche neuen Streifen heraus

Frankfurt. Der Frankfurter Filmemacher Marcin Wierzchowski ist schwer beschäftigt. Sein Film „Das Deutsche Volk“ kommt nächste Woche bundesweit in die Kinos. Aber der Mann, Jahrgang 1984, gibt Interviews, trifft sich mit Journalisten, ist viel unterwegs für seinen Film, der unter anderem am Samstag, 6. September, um 17 Uhr im „Mal seh’n“-Kino an der Adlerflychtstraße gezeigt wird – und Wierzchowski ist dabei.

„Der erste Termin, bei dem der Regisseurmit von der Partie ist, ist am Sonntag, 31. August, in Hanau. Zum ersten Mal außerhalb der Festivals“, sagt Wierzchowski, der im Frühjahr beim Lichter-Filmfest in den ehemaligen E-Kinos für „Das Deutsche Volk“ gleich zwei Preise erhielt – den regionalen Langfilmpreis und den Jurypreis der Evangelischen Filmarbeit.

Es geht um den 19. Februar und die Morde von Hanau: Die Familien erzählen von ihrem Leid, ihrer Wut und ihrer Ohnmacht gegenüber einem System, das jegliche Verantwortung scheut und eine Mitschuld ablehnt. Er begleitet die Angehörigen und Überlebenden in ihren Hanauer Wohnungen, an Grabstätten und in politische Ausschüsse. Er dokumentiert ihre Forderungen nach einer kritischen Aufarbeitung des Anschlags und hält ihre Bestrebungen um eine lebendige Erinnerungskultur fest. In ihrem Kampf gegen politische Beschwichtigungsversuche beweisen sie Resilienz und Stärke.

Zu den Betroffenen hat Wierzchowski noch Kontakt, „sie werden auch bei der Kinotour dabei sein“. Und er macht auf eins aufmerksam: „Alles, was wir an Fehlern und Versäumnissen wissen, haben Angehörige, Journalisten und die Initiative ,19. Februar‘ herausgefunden.“ Es habe keine Pressekonferenz nach dem Anschlag gegeben. Die Leichen seien von den Behörden beschlagnahmt worden. Eine Woche lang sei nicht gesagt worden, wo sie sich befinden.

„Das Deutsche Volk“ habe er gedreht, „zum einen wegen meiner eigenen Biografie. Ich bin Pole und kenne die deutsch-polnische Geschichte und diese Frage hat mich immer schon bewegt“, sagt er. Auch die NSU-Morde spielten eine Rolle, dann der Mord an Walter Lübcke und der Anschlag in Halle. „Das war zu einer Zeit, in der die AfD relativ stark wurde – und es sind Themen, für die ich mich schon lange interessierte. Und dann gibt es diese Katastrophe so nah dran“, sagt er. „Mir war sofort klar, dass ich das dokumentieren muss.“ Also verbrachte er sehr viel Zeit in Hanau, „das erste Jahr war ich fast täglich da und das war alles sehr intensiv“.

Entstanden sei ein „emotionaler Film“, findet Wierzchowski. „Ich wollte nichts bewerten, sondern zeigen, wie es ist. Natürlich treffe ich im Schnitt eine Auswahl, aber ich habe versucht, das aufeinandertreffen zweier Welten zu zeigen: Menschen ohne akademischen Abschluss, die ihr Kind verloren haben aus rassistischen Gründen, treffen auf Berufspolitiker. Was geschieht in solchen Momenten“, das wollte er wissen.

Er ist mit der Kamera aber nicht überall dabei – „wir sehen keine extreme Trauer, selten weinende Menschen und wir können auch nur ahnen, was zuhause passiert“. Wenn er merkte, das würde zu viel, hielt er sich zurück. „Es gibt auch Momente, in denen die Wut herauskommt. Und die müssen auch gezeigt werden“, sagt Wierchowski, der „Das deutsche Volk“, der auch im Fernsehen laufen wird, in schwarz-weiß gedreht hat. „Weil es eine Konzentration schafft, der Hintergrund verschwindet und du kannst dich auf die Figuren fokussieren. So haben wir ihn universell gemacht.“

Auch den Titel habe er mit Bedacht gewählt. „Der Täter hat sich die Frage gestellt, wen er als dem deutschen Volk zugehörig empfindet und wen nicht. Den bringt er dann um. Und ich stelle mir die Frage im Film: „Wer ist eigentlich das deutsche Volk? Wer gehört dazu?“ Die beantwortet er nicht. „Ist es überhaupt erstrebenswert? Ich fühle mich als Pole“, sagt Wierzchowski, der seit vier Jahrzehnten in Deutschland ist. „Aber wer entscheidet das überhaupt – ich, die anderen?“ Zurzeit ist er wieder im Schnittraum und arbeitet an einem Film über den Brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro.