Von einem Déjà-vu möchte man nicht sprechen. Aber diese Ausstellung schließt doch in mancherlei Hinsicht an die fulminante, so einfach wie treffend „Raumwunder“ überschriebene Schau an. 2024 hatte das Frankfurter Dommuseum die Entdeckung des Kircheninterieurs als Thema der Malerei seit Mitte des 18. Jahrhunderts beleuchtet. Und jetzt zeigt Gerald Domenigs „Dom“ betitelte Intervention im Kreuzgang von Sankt Bartholomäus nichts als Bilder von teils weltberühmten Gotteshäusern. Oder aber, wie im Fall des bezaubernd schlichten „Kapellele“ in seiner Kärntner Heimat, gänzlich unbekannte Kirchlein.

Sein Werkzeug ist die Kamera

Vor allem die Aufnahmen prominenterer Bauwerke wie der Kathedrale Unserer Lieben Frau in Antwerpen, der Oude Kerk in Amsterdam oder eben des Frankfurter Doms scheinen auf den ersten Blick die „Raumwunder“-Ausstellung zeitgenössisch fortzuschreiben. Aber Domenig ist kein Architekturfotograf, auch wenn es unzählige Bilder gibt mit Häusern darauf in seinem Werk. Er ist schließlich auch kein Tierfotograf, wiewohl der 1953 geborene Künstler – „hier, schauen Sie“ – für „Dom“ auch eine Schwarz-Weiß-Aufnahme mit einer Katze ausgewählt hatte: „Aber man sieht sie leider nicht.“ Und er interessiert sich auch nicht mehr als andere für Autos, Fahrräder oder den Wiener Stephansdom, auch wenn man sich vor Autos, Fahrrädern und Kirchen in seinem Werk kaum retten kann.

Domenig ist ein Künstler, und sein Werkzeug ist die Kamera. „Es war nie mein Thema, den Dom zu fotografieren“, stellt Domenig denn auch gleich zu Beginn des Rundgangs durch seine Ausstellung klar. Eher ist es ihm auf seinen Wegen durch die Stadt halt so passiert. „Es sind die Delikatessen, die mich interessieren, nicht der Dom.“ Malerische Strukturen etwa, wie sie sich auf neu verputzten Flächen oder gar im Bild erst zeigen, im Ausschnitt womöglich und beim Handabzug im eigenen Labor; gleichsam vorgefundene Graphismen, wie sie der Schatten eines Fallrohrs oder eines Baums, einer Laterne einen Augenblick bloß auf Fassaden zeichnen. Oder das Licht, dessen Weg ins Bild man sich beim besten Willen nicht erklären kann.

Alles könnte auch anders sein

Details also, die allemal geeignet scheinen, die Wahrnehmung infrage zu stellen. Um Abbildung geht es Domenigs Kunst denn auch zuletzt. „Fotografieren“, sagt der seit seinem Studium an der Städelschule in Frankfurt lebende Künstler vielmehr entschieden, „Fotografieren ist Verfremden.“ Weshalb „Dom“, wie noch beinahe jede seiner Ausstellungen in den vergangenen Jahren, gleich ob im Frankfurter Museum für Moderne Kunst, im Kölner Museum Ludwig oder in der Wiener Secession, mehr als alles andere eine Ausstellung zum Thema Fotografie vorstellt. Es geht um Licht und Schatten, Hell und Dunkel, Raum und Fläche. Und was die Kamera, der Film, die Perspektive mit der Wirklichkeit macht – oder dem, was wir im Allgemeinen dafür halten. Was all das wiederum mit dem Betrachter macht. Mittlerweile ist im Verlag Walther und Franz König ein fotophilosophischer Essay Domenigs mit den Fotografien der Ausstellung erschienen, „GD DOM“ heißt der Band.

„Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein“, hat sich Domenig gleichsam als Wahlspruch seines eigenen Schaffens von Ludwig Wittgensteins „Tractatus“ ausgeborgt. „Alles, was wir überhaupt beschreiben können, könnte auch anders sein. Es gibt keine Ordnung der Dinge a priori.“ Auch wenn der Mensch das eigentlich ganz gerne hätte, um sich der Welt und um sich seiner selbst vor allem Mal um Mal zu vergewissern. Im besten Fall, ist man geneigt hinzuzufügen, ist es die Kunst, die so etwas wie Ordnung –Autos, Fahrräder, Kirchen – überhaupt erst schafft. Mag sein, mit der Wirklichkeit hat das bei Licht besehen nichts zu tun. Gerald Domenig aber glaubt man sofort.

Gerald Domenig: Dom, Frankfurter Dommuseum, Domplatz 14, bis 26. Oktober. Geöffnet dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr, am Wochenende von 11 bis 17 Uhr. Am 18. September und am 1. Oktober gibt es um 19 Uhr eine Diashow.