Reden wir über das Wetter. Über den Sommer, der, so wie es aussieht, mal wieder vor der Zeit schon geht. Über das „Herz, nun so alt und noch immer nicht klug“, wie es bei Friedrich Rückert heißt, das doch unverdrossen hofft: „Was dir der blühende Frühling nicht trug, / Werde der Herbst dir noch tragen!“ Aber ach, wir werden sentimental. Dabei werden die Tage merklich kürzer, die Nächte kühler, bereiten Storch, Schwalbe, Kuckuck sich dieser Tage auf die Reise in den Süden vor und duftet die Natur nun statt nach Rosen und Lavendel längst nach Laub und überreifem Obst, wie es sich am Ende des Sommers nun einmal gehört.
Allein, für den Kunstfreund ist der Herbst die schönste Jahreszeit. Immerhin gilt es wie stets beim traditionellen Saisonstart der Frankfurter Galerien zahlreiche Entdeckungen zu machen. Treten nicht nur neue Räume, neue Künstler mit aktuellen Werken auf den Plan. Die „Frankfurt Art Experience“, wie die Veranstaltung am ersten Septemberwochenende mittlerweile heißt, ist Galerien, freien Räumen und nicht zuletzt dem kunstaffinen Publikum noch stets ein Fest. Zwar mag man sich darüber streiten, ob es sinnvoll ist, wenn sich quasi-institutionelle Räume wie die DZ-Bank-Kunststiftung oder die Deutsche Börse in Eschborn am Saisonstart beteiligen.
Die schönste Jahreszeit für Kunst
Die erstmals mit Pop-up-Spaces teilnehmenden Galerien aus dem Umland, aus Berlin oder Paris bereichern den Saisonstart in jedem Fall. Und das keineswegs nur, weil etwa Mountains aus Berlin mit Martina Kügler eine Frankfurter Künstlerin im Programm haben. Oder weil die Friedberger Galerie Hoffmann gemeinsam mit Éric Mouchet sich mit Ella Bergmann-Michel, Ilse Bing, Walter Dexel und Robert Michel und mithin den Künstlern der Schmelz in Eppstein-Vockenhausen einem weit über die Region hinausweisenden Kapitel der jüngeren Kunstgeschichte widmet. Auch die in Nürnberg und dem südkoreanischen Daegu ansässige Bode Galerie stellt sich mit ihrem Pop-up erstmals im Kaiserkaree vor und zeigt zur Premiere Tuschearbeiten von Woo Jong Taek.
Trotz eines nicht ganz einfachen Jahres für den Kunsthandel aber haben auch die Frankfurter Galerien in diesem Jahr Grund zu feiern. Ob bei Barbara von Stechow, die ihre Galerie vor 30 Jahren eröffnet hat, bei Christel Wagner, die ihren 20. Geburtstag feiert, oder bei der Galerie Rundgänger, die die Frankfurter Szene seit zehn Jahren mit Künstlern wie Anna Nero, Andrea Grützner oder Arno Beck bereichert: Die Jubiläumsausstellungen mag man jetzt, eine Woche vor den freitäglichen Vernissagen, allemal ein Versprechen nennen. Und manch einer hat es auch schon eingelöst. Ernst Hübner etwa, der ob seiner Neuentdeckungen aus Ghana seit Monaten schon auf den Saisonstart hin fiebert – und die Ausstellung mit figurativen Arbeiten von Kwesi Botchway, Cornelius Annor oder den Abstraktionen Kelvin Haizels schon am vergangenen Freitag eröffnet hat.
Isabelle Borges Woven Fields, 2025Eric Tschernow/Galerie Strelow
Die in Frankfurt traditionell stark vertretene Malerei ist es denn auch, die bei diesem 31. Saisonstart die ersten bleibenden Akzente setzt und die zu entdecken auf einem der Rundgänge oder auf eigene Faust sich allemal lohnt. Etwa in der Westend Galerie, wo sich mit Sandi Renko ein Klassiker der italienischen Op-art vorstellt. Oder bei Grässlin, wo Secundino Hernández mit einer Reihe gewaltiger Formate anknüpft an eine Tradition, die von Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ über den Abstrakten Expressionismus bis in die Gegenwart führt. Mag sein, monochrome Bilder muss vermutlich jeder einmal malen, der auf dem Feld der Abstraktion noch etwas gelten will.
Hommage an Anita Beckers
Hernández’ Serie schwarzer Bilder aber darf man allemal ein Statement nennen. Und für die Ausstellung bei Anita Beckers gilt das allemal. „Much Love Anita“ grüßte die im Juli völlig überraschend gestorbene Galeristin am Ende ihrer Mails und Briefe gern den Adressaten. Und wenn nun Nina Mößle, die die Galerie auf Wunsch der Familie weiterführen wird, die Schau zum Saisonstart gerade so betitelt, dann mag man das nicht nur als Verbeugung vor Beckers’ Lebenswerk verstehen. Vielmehr spiegelt die Ausstellung mit Arbeiten von einigen Dutzend Künstlern auch das Kunst wie Künstlern und nicht zuletzt dem Publikum gleichermaßen neugierig und offen begegnende Wesen dieser Frau.
Bei Peter Sillem: Péter Nádas, 20.01.2024, 13:13. Archival Pigment PrintGalerie Peter Sillem/Nadas
Unbedingt einen Besuch wert sind unterdessen die zahlreichen freien Räume, die sich in diesem Jahr an der Art Experience beteiligen. Die Ausstellungshalle in Sachsenhausen etwa, wo Raimer Jochims mit Sabine Funke und Michael Kolod zwei seiner ehemaligen Schüler eingeladen hat, im Vorfeld seines 90. Geburtstags die „Wege von Farbe“ zu erkunden. Oder der H8H Space, wo sich die in Berlin und Bochum ansässigen Provinz Editionen mit Werken von Kai Althoff, Shannon Bool, Gert und Uwe Tobias, Kalin Lindena und Thomas Kilpper oder eigens zum Saisonstart aufgelegten Editionen von Jochem Hendricks, Anselm Baumann und Sandra Kranich vorstellt.
Nicht ganz so prominent wie sonst vertreten zeigt sich derweil die Fotokunst, was wenigstens auch damit zu tun hat, dass etwa Wilma Tolksdorf ihre neuen Räume erst im Herbst eröffnet und daher beim Saisonstart fehlt. Doch ob Andrea Grützner bei Rundgänger oder in der Galerie Bernhard Knaus, wo Ralf Peters keinerlei Berührungsängste mit Künstlicher Intelligenz erkennen lässt – sehen lassen können sich die fotokünstlerischen Positionen allemal. Péter Nádas freilich setzt bei Peter Sillem naturgemäß ganz andere Akzente. Immerhin hatte er die Fotografie mit dem Aufkommen der digitalen Bilder für viele Jahre aufgegeben.
Und sucht selbst jetzt, wo der weltberühmte Schriftsteller seine Motive vor allem im eigenen Garten findet, nach dem Wesen des fotografischen Bildes. „Wenn es Gott gibt“, so der mittlerweile 82 Jahre alte Künstler, „dann kannst du ihn möglicherweise in der kleinsten Menge Licht und einem aufs Äußerste reduzierten Kompositionsprinzip finden.“ Mag sein, von einem Gottesbeweis mag man darob dennoch nicht gleich sprechen. Nádas aber arbeitet daran.
Frankfurt Art Experience, Saisonstart der Frankfurter Galerien, 5. bis 7. September. Die Ausstellungen sind Freitag von 18 Uhr an, Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Weitere Informationen auch zu den verschiedenen Rundgängen im Internet unter frankfurtexperience.art.