Der zweite Roman des Zürcher Studenten Nelio Biedermann wurde schon vor Erscheinen in über zwanzig Sprachen verkauft. Ist die Saga einer ungarischen Adelsfamilie den Rummel wert?

«Was ihn aus unbestimmten Gründen melancholisch stimmte»: Nelio Biedermann am Zürichsee. «Was ihn aus unbestimmten Gründen melancholisch stimmte»: Nelio Biedermann am Zürichsee.

Ruben Hollinger

Rote Rosen soll es für ihn regnen. So hat es der Rowohlt-Verlag geplant, der seit Monaten für den zweiten Roman des 22-jährigen Zürcher Germanistikstudenten Nelio Biedermann wirbt: Preise und schwindelerregende Verkaufszahlen verspricht man sich. Schon vor Erscheinen seien die Rechte in über zwanzig Sprachen verkauft worden, meldet man mit stolzgeschwellter Brust. Und Daniel Kehlmann, dessen Bestseller ebenfalls bei Rowohlt erscheinen, lässt man schon im Voraus jubilieren: «Ein wirklich grosser Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.»

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Nun ist «Lázár» da. Und alle namhaften Medien berichten Gewehr bei Fuss. Der Roman erzählt den langen Fall der titelgebenden ungarischen Adelsfamilie in den Wirren des 20. Jahrhunderts. Eine Geschichte, die der seiner eigenen Familie nicht unähnlich sei, lässt der Autor ausrichten, um die verkaufsfördernde Kraft der Autofiktion wissend. Seine Familie stamme aus dem ungarischen Adel, und seine Grosseltern seien in den 1950er Jahren in die Schweiz geflüchtet, eine Begebenheit, mit der Biedermann auch seinen Roman beschliesst.

Nach der Lektüre von «Lázár» muss man zweierlei festhalten: Der Mann kann schreiben, Stilistik und Vokabular sind bemerkenswert. Aber er vergeudet sein Talent. An ein Buch, das sich des mehrheitlich dunklen 20. Jahrhunderts als Poster bedient, um darauf einen Kitsch-Porno zu schreiben.

Man kann sich fragen, was schlimmer ist: das 20. Jahrhundert als blosse Schauerkulisse zu nehmen, um die eigenen Figuren auf diesem Vulkan ihre Tänze ins Verderben aufführen zu lassen? Sie werden angesichts der familiären Abgründe, der bösen Nazis und vergewaltigenden Kommunisten wahnsinnig, depressiv, alkoholkrank, liebestoll – und was der Versehrtheiten mehr sind.

Oder sind es die unerträglichen Sexszenen, von denen das Buch schier birst? Es ist, als dächten die Mitglieder der Familie Lázár immer nur an das Eine. Natürlich wird der Hauslehrer ebenfalls zum Zielobjekt: «Auch Ilona konnte sich ihm nicht entziehen. Ein einziger Blick auf ihn hatte gereicht, um ihre Knochen vibrieren zu lassen.»

Und wenn Nelio Biedermann die ausserehelichen Eskapaden des Barons Sándor beschreibt, dessen Ehefrau Mária am Tod ihres Seitensprungs leidet (und sich später das Leben nehmen wird), diesem Verhältnis, aus dem Lajos stammt, der vermeintliche gemeinsame Sohn des hochwohlgeborenen Ehepaars, dann klingt das so: «Denn Márias Körper war zu einem Symbol, zur Tempelruine einer längst erloschenen Religion geworden, während Frau Virágs Körper Stätte eines blühenden Glaubens war, dem Sándor regelmässig huldigte, indem er in ihren feuchten Schoss stiess, mit seiner Zunge den Schmutz von ihren Fusssohlen leckte, seine Nase in ihre Achselhöhlen grub und ihren Hintern auf seinem Gesicht platzierte.»

Mag sein, dass es Leser gibt, die sich an so etwas delektieren, gute Literatur ist es nicht. Man hat den Eindruck, der Autor habe zu viele klischierte Bilder im Kopf und zu wenig echtes Leben. Aber wenn Biedermann seine vorhandenen Fähigkeiten – das sieht Kehlmann durchaus richtig – in weniger Gespreiztes investiert, wird ihm ein gutes Buch gelingen. Es darf dann bloss nicht solche Sätze enthalten: «Über der Stadt graste schon den ganzen Tag eine Herde weisser Schäfchenwolken, was ihn aus unbestimmten Gründen melancholisch stimmte.»

Nelio Biedermann: Lázár. Rowohlt Berlin 2025. 336 Seiten.

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