Vier Tage nach der Eröffnung des neuen Berliner Autobahnabschnitts fordert ein renommierter Verkehrsexperte, die Strecke wieder dichtzumachen – und erhält dafür Unterstützung aus der Opposition. Hintergrund sind wiederholte Staus, die am Freitag sogar zu einer Kurzzeitsperrung der A100 führten.
„Die Schließung des 16. Bauabschnitts bis zur vollständigen Wiedereröffnung der Elsenbrücke muss ins Denkbare rücken und von der zuständigen Autobahn GmbH erwogen werden“, sagte Andreas Knie, Verkehrsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin, mit Blick auf die andauernde Sanierung der Brücke an der Anschlussstelle in Treptow. „Davor die Augen zu verschließen, hilft nicht weiter“, sagte Knie dem Tagesspiegel am Sonntag.
„Ich befürchte, das ist nur der Anfang“ Staus am zweiten Tag in Folge auf neuem A100-Abschnitt
Die schon jetzt angespannte Verkehrssituation auf dem erst am Mittwoch eröffneten Bauabschnitt werde sich nach dem Ende der Sommerferien definitiv verschärfen. „Es wird zu heftigen Stauungen und dementsprechend auch Sperrungen kommen“, prognostizierte Knie.
Die Autobahn saugt den Verkehr förmlich an und es wird ein Problem geschaffen, das es vorher nicht gab.
Andreas Knie, Verkehrsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin
Die Eröffnung des Bauabschnitts vor der Wiedereröffnung der Elsenbrücke sei „der verkehrspolitische Skandal schlechthin“. Dadurch werde „eine bis dahin gut funktionierende Situation künstlich verschärft“, sagte Knie. „Die Autobahn saugt den Verkehr förmlich an und es wird ein Problem geschaffen, das es vorher nicht gab.“
Grüne unterstützen Forderung einer Schließung
Antje Kapek, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion und Kritikerin des 16. Bauabschnitts, unterstützte Knies Forderung am Sonntag. Sie und andere hätten seit Monaten darauf hingewiesen, dass die Eröffnung des 16. Bauabschnitts vor der Wiederinbetriebnahme der Elsenbrücke zu einem Verkehrschaos führen würde, erklärte Kapek. Ein Antrag auf eine Leistungsfähigkeitsanalyse mit anschließendem Verkehrskonzept sei abgelehnt worden, sagte die Kreuzbergerin dem Tagesspiegel am Sonntag.
Dass der 16. Bauabschnitt schon am zweiten Tag nach seiner Eröffnung wegen Überlastung gesperrt werden musste, beweise „sehr ausdrücklich, weshalb Autobahnausbau in der modernen Stadt keinen Sinn macht und in anderen internationalen Metropolen Autobahnen abgerissen oder rückgebaut werden“, sagte Kapek.
Hier verlaufen der 16. und 17. Bauabschnitt der A100.
© Tagesspiegel/Rita Boettcher
Am Freitag war der für 720 Millionen Euro gebaute Bauabschnitt kurzzeitig gesperrt worden. Ursache dafür war ein mehrere Kilometer langer Stau, der in den Tunnel zwischen den Anschlussstellen Sonnenallee und Grenzallee anzuwachsen drohte. Im Tunnel dürfe es zu keinem Verkehrsstillstand kommen, hieß es von der Verkehrsinformationszentrale. Laut Polizei war der Stau durch hohes Verkehrsaufkommen und ein defektes Fahrzeug auf der Standspur verursacht worden.
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Der Stau hatte sich aufgebaut, weil eine Ampelanlage an der Ausfahrt am Treptower Park dazu dienen soll, dass nicht zu viele Autos gleichzeitig in Alt-Treptow einfahren und dort ein Verkehrschaos entsteht.
Auch am Samstag staute sich der Verkehr auf dem neuen A100-Abschnitt. Insider befürchten, dass sich die Situation nach dem Ende der Sommerferien deutlich verschärft.
Nahm die Autobahn GmbH die Probleme bewusst in Kauf?
Die Autobahn GmbH des Bundes, die für Bau und Betrieb des Bauabschnitts verantwortlich ist, äußerte sich bislang nicht auf die Anfragen des Tagesspiegels. Weder die Frage danach, ob die von Knie geforderte Sperrung erwogen wird, noch welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, um die Situation kurzfristig zu verbessern, wurden beantwortet.
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Ebenfalls am Sonntag machten Spekulationen die Runde, denen zufolge die Bundesbehörde die Probleme bei einer Autobahneröffnung vor Abschluss der Bauarbeiten an der Elsenbrücke bewusst in Kauf nahm. Diese habe aus Sorge vor Vandalismus auf die Eröffnung bestanden und die vorher auch verwaltungsintern bestehenden Sorgen beiseite gewischt, hieß es hinter vorgehaltener Hand. Für den Sommerferien-Rückreiseverkehr am Sonntagabend wurde erneut mit Staus gerechnet.