Am Späti in Karlshorst

„Ich hatte immer den Drang, in eine Großstadt zurückzuwollen“

Grafik:Eine Person zeigt auf eine Lottoreklame.(Quelle:rbb)Bild: rbb

Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: eine Ur-Berlinerin, die sich nach einigen Jahren in der Kleinstadt nach dem Großstadtleben gesehnt hat.

rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die „Am Späti“ entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.

Wer: Rentnerin und Ostberlinerin
Alter: 68
Uhrzeit: 12:53 Uhr
Gekauft: nichts, nur ein Paket abgegeben
Woher: vom Arzt
Wohin: einkaufen
Späti: eher ein Lottoladen, auf der einen Seite die ewige Baustelle Treskowallee, auf der anderen eine ruhige Familienwohngegend, viel Paketkundschaft

Ich wohne seit 2016 in Karlshorst. Vorher habe ich in Potsdam gewohnt, habe dann aber begonnen in Berlin zu arbeiten und da war mir meine Zeit zu schade, immer so weit zu fahren jeden Tag. Ich bin in Schöneweide aufgewachsen. Ich bin Ostberlinerin. Meine Eltern und meine Schwester haben auch später noch länger in Karlshorst gewohnt. Meine Schwester ist dann umgezogen. Und dann habe ich gesagt: Okay, dann nehme ich ihre Wohnung.

Sie schaut freundlich und wirkt gespannt auf das Gespräch, plaudert drauf los.

Ich kenne Karlshorst schon richtig lange, schon aus DDR Zeiten. Da wohnten meine Großeltern hier. Es war eigentlich immer so ein bisschen eine gemütliche Ecke, eine sehr nette Wohngegend. Damals wohnten auch noch viele Russen hier. Seitdem hat sich natürlich einiges verändert. Die Russen sind gegangen, es sind aber offensichtlich noch einige geblieben, denn ab und zu hört man die Sprache noch hier in der Ecke.

Sehr schön finde ich, dass man schnell in der Natur ist – in der Wuhlheide kann man schöne Spaziergänge machen, Köpenick ist nicht weit. Was ich richtig toll finde, ist die Anbindung: S-Bahn, Straßenbahnen, Busse, auch die U-Bahn ist nicht weit. Der Tierpark ist auch in der Nähe. Ich finde es klasse, dass ich mobil bin, ohne das Auto zu brauchen.

Man hat alles, was man zum Leben braucht: Ärzte, Apotheken, Einkaufsmöglichkeiten.Wir fahren auch ins Stadtzentrum – Alex, Ku’damm. Seit ich letztes Jahr in Rente gegangen bin, habe ich mir vorgenommen, Berlin besser kennenzulernen. Man bleibt oft in seiner Ecke und kennt viele schöne Bezirke gar nicht. Irgendwann habe ich eine tolle rbb-Sendung gesehen, in der es um Ecken von Berlin geht, die man gar nicht so kennt.

Mittlerweile stehen wir uns nicht mehr gegenüber, sondern nebeneinander und gucken beide in Richtung Wohngegend.

Die Wohnung, die wir haben, ist noch erschwinglich von der Miete her. Es ist aber auch von der Bewohnerstruktur her sehr angenehm. Es sind junge Familien mit Kindern, die hergezogen sind. Sehr nett, sehr angenehm. Und eben ältere Leute. Also sowas wie ein bürgerliches Klientel. Besser kann etwa sja trotzdem immer werden. Es wird unheimlich viel gebaut, zum Beispiel der Karlsgarten, wo viele Mehrfamilienhäuser gebaut wurden. Und die Infrastruktur zieht nicht nach.

Wir brauchen Kindergärten, wir brauchen Schulen und ich glaube auch Einkaufsmöglichkeiten. Wenn man Richtung Rummelsburger geht, da ist ein riesengroßes Neubaugebiet entstanden. Und da ist nichts weiter außer einer Schule.

Ich habe in der Veranstaltungsbranche gearbeitet, zuletzt in der Uber Arena. Ich gehe momentan noch ein Mal die Woche arbeiten und genieße ansonsten einfach erst mal so die Zeit. Und das finde ich ganz schön. Ich habe Enkelkinder, die ich dann besuche.

Ich habe jahrelang in der Nähe von Cottbus in der Kleinstadt Forst gewohnt. Ich habe mich aber immer als Berlinerin gefühlt. Durch mein Studium und die Familiengründung bin ich dort erstmal nicht mehr weggekommen. Aber ich hatte immer den Drang, in eine Großstadt wieder zurückzuziehen. Mit damals 35.000 Einwohnern wurde mir das zu eng in Forst. Ich kannte irgendwann zu viele Menschen.

Eine Großstadt ist etwas anderes. Man hat natürlich viel mehr Möglichkeiten, was die Freizeit betrifft, und auch so – es ist irgendwie so kleinkariert gewesen in Forst. Das war nicht so meins. Ich möchte was erleben und ich möchte auch dieses Großstadt-Feeling haben. Und auf der anderen Seite bin ich ja ruckzuck im Grünen und habe die Ruhe.

Und das Gegenteil von kleinkariert ist für Sie?

Na, ein bisschen weltoffener. Also sich nicht über jeden Pups aufregen. Ich mag auch diese Anonymität, die manch anderer nicht mag. In meinem Wohnhaus haben wir eine tolle Hausgemeinschaft, machen auch bald ein Fest. Man kann hier halt einfach sein, wie man ist. Mein Mann ist aus einem 200-Seelen-Dorf nach Berlin gezogen. Der hatte das andere Extrem – und der genießt sein Leben hier auch.

Das Gespräch führte Anna Bordel, rbb|24

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