In ihrem Brief an die Hussiten, datiert vom 23. März 1430, macht Jeanne d’Arc aus ihrem Herzen keine Mördergrube: „Sollte ich nicht erfahren, dass Ihr Euch gebessert habt, würde ich von den Engländern ablassen und gegen Euch ziehen, damit ich mit dem Schwert – wenn ich es nicht anderes kann – Euren falschen und bösen Aberglauben auslösche und Euch entweder um Eure Häresie oder Euer Leben erleichtere.“

Das ist nicht unbedingt eine Botschaft, die das Gemeinsame vor das Trennende stellt und nach der friedlichen Vereinigung Europas strebt. Dennoch beginnt der Werbefilm, den die Erste Group als Hauptsponsor des Europäischen Forums Alpbach zu dessen Eröffnung produziert hat, mit der Jungfrau von Orléans, hoch zu Ross und im Harnisch, in der berühmten Schlacht vor den Toren der Stadt, ein Jahr vor dem Hussitenbrief.

Das heißt: Eigentlich ist es eine Version Jeannes, die eine künstliche Intelligenz auf Zuruf der Innovationseinheit der Bankengruppe ersonnen hat. Genauer gesagt: vier bis fünf verschiedene KI-Werkzeuge, die für einen niedrigen fünfstelligen Eurobetrag orchestriert wurden, um den Film zu animieren. Wobei es der vereinigten Rechenleistung entgangen sein dürfte, dass die Jungfrau von Orléans abseits ihrer historischen Bedeutung für das französische Königreich im Hundertjährigen Krieg vor allem aufgrund ihres Bubikopfs zu einer zeitlosen Popikone wurde. Sogar Milla Jovovich ließ sich 1999 ihre blonde Mähne für diese Rolle zu einem Reindlschnitt reduzieren. Im Film der Erste Group flattert hingegen ein sich auflösender Pferdeschwanz auf Jeannes Haupt.

Ein Dutzend Szenen, welche nach Ansicht der Erste Group über die Jahrhunderte verteilt für den Mut und die Solidarität stehen sollen, die Europa zu dem gemacht haben, was es ist: Das ist der Zweck dieses Films. „Dieser Kontinent wurde nicht auf Selbstzweifeln erbaut. Glaub an dich, Europa!“, lautet die Devise.

Druck aus Budapest

Das traf in Bild und Wort die Stimmung beim Forum Alpbach. „Gänsehaut“, kommentierte ein Teilnehmer das Filmchen. Gegen Ende des Kongresses kam der Spot jedoch auf unerwünschte Weise in die Schlagzeilen. Jene Szene aus der Gegenwart, welche die Budapester Pride-Demonstration für die Rechte sexueller Minderheiten und gegen die nationalautoritäre ungarische Regierung illustrierte (deren KI-generierte Komparsen im Bildhintergrund jedoch eher wie entstellte Mutanten eines Horrorfilms aussahen), wurde auf Ansuchen der ungarischen Tochterbank gelöscht und durch Szenen des Aufstands gegen die Rote Armee im Jahr 1956 ersetzt.

Die Folge war Unmut im Internet. Von einem echten Shitstorm kann man eher nicht sprechen, bei knapp mehr als 1500 Aufrufen auf YouTube. „Auf Wunsch der Erste Bank Ungarn haben wir einen Teil des Films angepasst und ein Ereignis gewählt, das für alle Menschen in Ungarn dieselbe Bedeutung trägt und sich in die Dimension der anderen im Film gezeigten Ereignisse einreiht. Für Ungarn ist das die Revolution von 1956“, teilte ein Sprecher der Bank der „Presse“ mit.

„Ein fiktiver Zugang zu Geschichte“

Bemerkenswert ist jedenfalls die Wahl der Episoden, die man seitens der Erste Group als wegweisend für Europas Identität hält. Auf die fanatische Gotteskriegerin Jeanne d’Arc folgt Kleisthenes, der 508 vor Christus einige wichtige Reformen für die athenische Demokratie durchgesetzt hat, was man sich allerdings erst ergoogeln muss, denn die KI liefert nur einen bärtigen Herren in Toga vor antiker Säulenkulisse. Es folgt Marie Curie im Jahr 1906, die zwar ihres Geburtsnamens, Skłodowska, beraubt ist, dafür aber forsch mehreren Herren im Gehrock erklärt, dies sei „meine Arbeit“ (1906 ist sie ihrem verunglückten Mann, Pierre, auf dessen Professorenstuhl nachgefolgt, drei Jahre zuvor hat sie mit ihm den Nobelpreis erhalten; ihre Arbeit dürfte da schon bekannt gewesen sein).

1968 wirft eine fiktionale Prager Oma einen Ziegelstein aus ihrem Wohnungsfenster, 1989 hämmert eine dauergewellte Ostberlinerin an der Mauer herum, und abgeschlossen wird all dies von einem Ludwig van Beethoven, der entnervt auf seinem Klavier herumdrischt, ehe ihm das Motiv seiner Neunten Symphonie einschießt. Dass der KI-generierte Beethoven aussieht wie Mitte zwanzig, der echte Ludwig zum Zeitpunkt der Komposition 54 Jahre alt war und drei Jahre später tot sein sollte, ist da auch schon egal.

„Ein fiktiver Zugang zur Geschichte, neu vorgestellt von KI“, heißt es im Abspann. Ob historische Sachkenntnis in Zeiten des politischen Missbrauchs von Geschichte nicht besser wäre?