Der Feuerüberfall dauerte nur wenige Sekunden – die Aufarbeitung vor Gericht jedoch gut zehn Monate. Wer hat wo und mit welcher Absicht im März 2023 auf einen feindlichen Bandenchef vor dessen Stammkneipe in Zuffenhausen geschossen? Durfte ein Tatverdächtiger in der Haft überhaupt abgehört werden? Am Montag hat die 14. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts das Urteil gegen drei heute 22-Jährige gefällt – nach mehreren außergewöhnlichen Anläufen.

Der Älteste ist bereits wegen illegalen Waffenbesitzes vorbestraft – das Mitglied der multiethnischen Esslingen/Plochingen/Ludwigsburg-Gruppe soll am 17. März 2023 in der Burgunderstraße drei Schüsse auf ein zur Tatzeit 32-jähriges Führungsmitglied der gegnerischen Zuffenhausen/Göppingen-Clique abgegeben haben. Das Opfer überlebte knapp, ist seither querschnittsgelähmt. Der Hauptbeschuldigte, ein zur Tatzeit 20-jähriger Deutscher aus Plochingen, wurde dafür von der Kammer unter der Vorsitzenden Richterin Verena Alexander unter anderem wegen versuchten Mordes zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Schüsse – nicht in Tötungsabsicht?

Auch ein zur Tatzeit 19-Jähriger aus Ludwigsburg soll geschossen haben – nach Ansicht des Gerichts aber nicht nachweislich in Tötungsabsicht. Wegen einer anderen Verurteilung verhängten die Richter eine Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten. Der Haftbefehl für diese Tat wurde aufgehoben. Der Anklagevertreter, der bei der Staatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität zuständige Abteilungsleiter Peter Holzwarth, hatte diese Einschätzung für eher lebensfremd gehalten – er hatte acht Jahre Haft für den jungen Deutschen türkischer Herkunft gefordert. Und für den Hauptbeschuldigten neun Jahre.

Richterin Alexander konnte allerdings keinen gemeinsamen Tatplan „mit der erforderlichen Überzeugung“ feststellen. Es könne sich auch um eine spontane, nicht abgesprochene Tat gehandelt haben. Man müsse zugunsten des zweiten Angeklagten außerdem annehmen, dass dieser erst schoss, als aus der gegnerischen Gruppe zurückgeschossen wurde. Unstrittig ist lediglich die Einschätzung zum Dritten im Bunde – dem zur Tatzeit 19-jährigen Ludwigsburger mit türkischem Pass war ursprünglich Strafvereitelung vorgeworfen worden, weil er die Waffe des Plochingers entsorgt haben soll. Anklage wie auch Verteidigung plädierten am Ende jedoch für Freispruch. Das Gericht hatte hierzu am Montag keine andere Einschätzung.

Schöffe torpediert das Gerichtsverfahren

Damit beendet die 14. Jugendkammer ein spektakuläres Verfahren, das seit seinem Start Ende Oktober 2024 auch prozessual bemerkenswert abgelaufen ist. Da gab es einen ehrenamtlichen Schöffen, der am fünften Verhandlungstag im November 2024 die Verhandlung torpedierte. Indem er sich während einer Zeugenbefragung leichtfertig mit seinem Handy beschäftigte – eine Missachtung der richterlichen Pflicht. Ein Befangenheitsantrag machte einen Neustart im Januar 2025 notwendig – mit zwei neuen und zwei Ergänzungsschöffen. Richterin Alexander sah sich außerdem mit Beweisanträgen der Verteidigung konfrontiert, die eine Abhöraktion im Gefängnis gegen einen der Beschuldigten als Beweismittel für rechtswidrig hält.

Der Hauptangeklagte wurde zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Mitangeklagten kamen glimpflicher davon. (Archivbild) Foto: Lichtgut

Und selbst die Plädoyers gerieten zu einer Hängepartie. Bereits Mitte Juli hatte der Staatsanwalt seine Vorstellungen zum Strafmaß dargelegt, hatten die Verteidiger des zweiten schießenden Beschuldigten Freispruch beantragt. Doch dann war schon wieder Schluss mit den Schlussvorträgen. Als die Vorsitzende Richterin Alexander Ende Juli den Hinweis erteilte, dass für die Kammer auch eine Alleintäterschaft des ältesten Angeklagten denkbar sei – musste noch einmal ein Zeuge ran, ein Häftling aus Freiburg. Und dann gingen die Plädoyers noch einmal von vorne los. Bis zum Montag.

Seit Sommer 2022 beschäftigen bewaffnete Auseinandersetzungen in der Region Polizei und Justiz. Die Cliquen, im Kern hervorgegangen aus der kurdisch geprägten verbotenen Straßengang Red Legion, setzten hemmungslos Schusswaffen ein – und noch mehr: Etwa beim Handgranaten-Attentat auf dem Friedhof in Altbach (Kreis Esslingen) im Juni 2023. Das Landeskriminalamt führt eine Liste mit mehr als 500 Namen – Führungsleute und Mitläufer der Gruppierung Zuffenhausen/Fasanenhof/Göppingen und den Gegnern aus dem Bereich Esslingen/Plochingen/Ludwigsburg.

Ein Wiedersehen vor Gericht gilt als wahrscheinlich

Der Angriff der Esslinger am 17. März 2023 im Norden Stuttgarts könnte dabei auch der Auslöser für den Handgranatenwurf in Altbach gewesen sein. Ein mutmaßliches Führungsmitglied der Zuffenhausen-Clique, ein zur Tatzeit 32-Jähriger aus der einstigen kurdischen Red-Legion-Szene, war in der Burgunderstraße auf dem Weg zum Stammlokal seiner Kumpane – als um 21.08 Uhr Schüsse krachten.

Während die mutmaßliche Tatwaffe nie gefunden wurde, konnte eine andere Schusswaffe bei dem Jüngsten des Trios in Ludwigsburg sichergestellt werden. Im Keller hinter einer Waschmaschine. Dieser Deutsche kurdischer Herkunft soll mit dieser Waffe aber allenfalls in die Luft geschossen haben, nicht auf das Opfer, so die Kammer. Der erst vor kurzem 22 Jahre alt gewordene Beschuldigte ist beim Stuttgarter Landgericht indes kein Unbekannter. Er wurde im Fall Altbach als einer der Angreifer auf den Handgranaten-Attentäter zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Allerdings ist dieses Urteil inzwischen vom Bundesgerichtshof (BGH) kassiert worden. Das Verfahren muss erneut in Stuttgart aufgerollt werden. Dass auch die Schüsse von Zuffenhausen den BGH beschäftigen werden, gilt unter Prozessbeobachtern als äußerst wahrscheinlich.