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Beeindruckende Technik: Ein Mitarbeiter des Klärwerks erklärt den Besuchern die einzelnen Schritte des Reinigungsprozesses. © Brandt, Leon
TU Darmstadt stellt Forschungsprojekt beim Tag der offenen in der Münsterer Kläranlage vor.
Münster – Die Idee klingt bestechend einfach: Gebäude klimaneutral heizen, nicht mit Gas oder Öl, sondern mit Wärme, die ohnehin im Abwasser steckt. Täglich fließt durch die Kanalisation warmes Wasser, das sich technisch relativ unkompliziert nutzen lassen soll. Wie groß das Potenzial vor allem in kleineren Gemeinden ist, untersucht aktuell ein Forschungsprojekt der Technischen Universität (TU) Darmstadt in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Münster. Beim Tag der offenen Tür der Kläranlage konnten Bürgerinnen und Bürger am vergangenen Samstag einen Blick hinter die Kulissen werfen.
Europäische Initiative mit Praxisbezug
Das Projekt „Heizen mit Abwärme aus dem Abwasser“ läuft seit Dezember 2024 und ist auf drei Jahre angelegt. Es wird im Rahmen der europäischen Forschungsinitiative Driving Urban Transitions (DUT) gefördert, die deutschen Projektanteile finanziert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Neben Münster sind auch Praxispartner aus Graz, Turin und Cluj-Napoca (Rumänien) beteiligt.
Hans-Joachim Linke und Nadine Schröder von der TU Darmstadt haben ihr Projekt vorgestellt. © Brandt, Leon
„In großen Städten übernehmen oft Energieversorger den Betrieb solcher Systeme. In kleineren Gemeinden fehlen diese Strukturen“, erklärt Nadine Schröder vom Fachgebiet Raum- und Infrastrukturplanung der TU Darmstadt: „Wir wollen herausfinden, ob sich gemeinschaftliche Modelle wie Energiegemeinschaften eignen könnten.“ Um das zu prüfen, installierten Forscher gemeinsam mit der Kläranlage und der Eppertshäuser Firma Kanal Müller bereits im Juli drei Sensoren in der Kanalisation Münsters. Sie messen über Monate Temperatur, Durchfluss und Wärmepotenzial. „Wir wollen wissen, unter welchen Bedingungen sich die Technik rechnet und wo die Grenzen liegen“, berichtet Schröder. Erste aufschlussreiche Ergebnisse sollen im Laufe des nächsten Jahres vorliegen.
Warum Wärme aus Abwasser?
Die Wärmewende gilt deutschlandweit als eine der größten Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität. Rund 80 Prozent des Wärmebedarfs in Deutschland werden nach Angaben des Umweltbundesamts noch mit fossilen Brennstoffen gedeckt. Das neue Wärmeplanungsgesetz (WPG) verpflichtet Kommunen, bis 2028 Pläne für eine klimaneutrale Wärmeversorgung vorzulegen.
Ihre Fahrzeuge und Technik präsentierte die Eppertshäuser Firma Kanal Müller beim Tag der offenen Tür. © Brandt, Leon
Doch nicht überall sind große Fernwärmenetze oder industrielle Abwärmequellen verfügbar. Besonders kleinere Orte müssen auf dezentrale Lösungen setzen. Abwasserwärme bietet hier eine interessante Alternative: In Kanälen fließt Wasser mit Temperaturen zwischen zehn und zwanzig Grad Celsius – genug, um Wärmetauscher und Wärmepumpen zu betreiben. Dass die Technik praxistauglich ist, zeigt die Münsterer Kläranlage bereits seit 2013: Ihre Gebäude werden nach Angaben von Ahmed El Makhtari vollständig CO2-neutral beheizt.
Investitionen in die Zukunft
Bürgermeister Joachim Schledt (parteilos) eröffnet den Tag der offenen Tür mit deutlichen Worten: „Der Umbau der Kläranlage war eine Operation am offenen Herzen – ein Riesenaufwand mit Investitionskosten von 2,2 Millionen Euro, die sinnvoll angelegt sind.“ Die Modernisierung soll nicht nur der Forschung dienen, sondern auch den Betrieb effizienter machen. Pro Jahr will die Gemeinde 91 000 Kilowattstunden Strom und damit rund 30 000 Euro einsparen. „Wir investieren in die Anlage, um langfristig sparen zu können“, fasst Schledt zusammen. 2024 wurden in der Kläranlage 2,3 Millionen Kubikmeter Abwasser gereinigt, „das sind 15 Millionen volle Badewannen“, ergänzt der Bürgermeister mit einem Lachen. Zudem werden jedes Jahr mehr als 67 Lkw-Ladungen Klärschlamm abtransportiert und verbrannt.
Forschung zum Anfassen
Wie greifbar Wissenschaft sein kann, zeigt der Tag der offenen Tür eindrucksvoll. Eine dreistellige Zahl an Besucherinnen und Besucher nutzt die Gelegenheit, die Kläranlage zu besichtigen und mit den Projektbeteiligten ins Gespräch zu kommen. Von Kindern bis Senioren sind alle Altersgruppen vertreten. Unter grauem Himmel und leichter Brise führen Mitarbeiter der Anlage kleine Gruppen durch die verschiedenen Stationen der Abwasserreinigung. Becken für Becken erklären sie anschaulich, wie aus dem, was im Kanal verschwindet, sauberes Wasser – und potenziell wertvolle Wärme – wird.
„Abwasser ist kein angenehmes Thema, aber ein essenzielles“, betont einer der Verantwortlichen im Gespräch mit einem Besucher. Recht hat er: Während die Forschung noch Daten sammelt, zeigt Münster schon, dass klimafreundliche Wärmeversorgung nicht nur Vision, sondern machbare Realität sein kann. (Ellie Brandt)