Von der Frankfurter Buchmesse haben die meisten schon gehört, und auch die Lit.Cologne ist Buchliebhabern ein Begriff. Doch nicht nur Köln, Frankfurt oder Leipzig haben in Sachen Literatur etwas zu bieten – auch Nettetal. Denn die kleine Stadt am Niederrhein, die eigentlich für ihren Spargel bekannt ist, ist eine Art Literatur-Hotspot in der Provinz. Dort werden in diesem Jahr gleich zwei Literaturfestivals veranstaltet.
Die Nettetaler Literaturtage sind seit 1995 eine Institution. Einem Zusammenschluss aus der Stadtbücherei und dem lokalen Buchhandel ist es vor allem zu verdanken, dass alle zwei Jahre ein zweiwöchiges Festival stattfinden kann – und das schon seit 30 Jahren. Donna Leon war bereits zu Besuch in Nettetal, als sie noch kaum einer kannte, und auch Elke Heidenreich und Joachim Gauck haben dort schon gelesen. Zunächst fanden die Lesungen in der Stadtbücherei statt, später über das ganze Stadtgebiet verteilt. Mit den Jahren wurden die Veranstaltungsorte immer ausgefallener. So kam es auch schon vor, dass Autoren ihre Bücher in einem Pferdestall vorstellten.
Planmäßig finden die nächsten Nettetaler Literaturtage eigentlich im Herbst 2026 statt. Der runde Geburtstag des Festivals soll trotzdem noch in diesem Jahr gefeiert werden, mit einem Programm von September bis November. Den Auftakt macht am 17. September ein Vortrag des Kulturredakteurs der Rheinischen Post Philipp Holstein. Er widmet sich der gottesfürchtigen Seite des Sängers Herbert Grönemeyer. Veranstaltungsort ist passenderweise die Alte Kirche in Lobberich.
Am 28. September tritt mit Marcus Jeroch dann jemand auf, der die Literaturtage von Anfang an begleitet hat. Der Sprachjongleur, wie er sich nennt, eröffnete schon die erste Ausgabe vor 30 Jahren. Er präsentiert in der Alten Fabrik in Kaldenkirchen Sprache und Artistik. Doch auch klassische Lesungen finden Platz im Programm. Noemi Harnickell hat ein unterhaltsames Gruselbuch über Gifte in der Pflanzenwelt geschrieben. Daraus liest sie am 30. Oktober, einen Tag vor Halloween, in der Stadtbücherei vor.
Vor zwei Jahren hat sich ein zweites Literaturfestival in Nettetal etabliert, das nun in den Zwischenjahren der Literaturtage stattfindet. Der Elif-Verlag lädt unter dem Titel „Weltliteratur im Ghetto“ hochrangige Autorinnen und Autoren, Lyriker und Musikerinnen ein. Das „Lesefest“ will vor allem eines erreichen: Menschen für Literatur begeistern, die sonst keine Berührungspunkte damit haben. Es liegt also nah, dass die Lesung mit Rasha Khayatin und Ricarda Messner am 6. September in einem Imbiss stattfinden wird. Außerdem wird es eine Lesung in einem Kunstatelier und eine in der städtischen Gesamtschule geben. „Literatur soll überall präsent sein“, sagt Verleger und Veranstalter Dincer Gücyeter unserer Redaktion.
Er meint damit auch, dass Literatur nicht nur in den Städten, sondern auch im ländlichen Raum stattfinden soll. „In der Provinz gehen viele Kulturräume verloren“, so Gücyeter. Der Verleger will dagegenhalten und Literatur in Nettetal zugänglich machen. Er ist überzeugt: „Die Kraft der Provinz wird unterschätzt.“ Um Raum für Literatur zu schaffen, öffnet der Elif-Verlag selbst seine Tore. Am 7. September lesen die Lyrikerinnen Julia Grinberg und Lina Atfah im Garten des Verlags in Lobberich, dazu gibt es türkische Spezialitäten.
Die meisten Autorinnen und Autoren bei „Weltliteratur im Ghetto“ treten als Duo auf. Laut Veranstalter werden sie nicht nur aus ihren Büchern vorlesen, sondern im Gespräch auch Einblicke in den Literaturbetrieb geben. Für die Eröffnungsfeier ist ein buntes Programm angekündigt, hier werden sogar vier Menschen auf der Bühne stehen. Der Schriftsteller Marcel Beyer wird die Eröffnungsrede halten, Anja Utler bietet eine Lyrik-Performance, und Ozan Zakariya Keskinkilic wird sein erstes Buch vorstellen: ein Gedichtband, der im Elif-Verlag erschienen ist. Für die musikalische Begleitung des Abends wird Ceren Bozkurt mit ihrem Instrument, der Saz, sorgen.
Für einen Termin haben sich der Verein Nettetaler Literaturtage und der Elif-Verlag zusammengetan, denn es kommt hoher Besuch. Am Sonntag, 7. September, liest die Schriftstellerin Anne Weber in der Stadtbücherei. Für ihren Roman „Annette, ein Heldinnenepos“ bekam sie 2020 den Deutschen Buchpreis. Nun stellt sie ihr Buch „Bannmeilen“ vor, das 2024 erschienen ist.