Gewalt in der Region Stuttgart: Schüsse-Banden: Mitglied verkauft Pistole an Polizisten Nicht nur mit uniformierten Einsatzkräften – auch mit verdeckten Ermittlern ist die Polizei gegen die Schüsse-Banden im Einsatz. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Ein neuer Prozess um Gewalt-Cliquen in der Region zeigt: In der schießwütigen Szene haben längst verdeckte Ermittler Fuß gefasst – mit Erfolg.

Er kann weder lesen noch schreiben. Eine Schule hat er nie besucht, einen Beruf nie erlernt. Der Mann wirkt wie ein gemütlicher Bär, muskulös, mit Stiernacken – einen, den man als Beschützer gut gebrauchen kann. Sein Name ist bereits in anderen Verfahren um die schießwütigen Gruppierungen in der Region Stuttgart öfter aufgetaucht. Nun sitzt er zusammen mit einem mutmaßlichen Führungsmitglied der Zuffenhausen-Göppingen-Clique auf der Anklagebank der 18. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts. Es geht um Gewalt, Erpressung, räuberischen Diebstahl, Drogen – und ein bemerkenswertes Waffengeschäft.

Man kann nicht sagen, dass die Flucht des irakischen Kurden 2015 nach Deutschland sein Leben zum Besseren gewendet hätte. Der heute 31-Jährige erzählt, dass er als 20-Jähriger in einer Asylunterkunft im Landkreis Göppingen gelandet war, dass sein Vater im Irak ums Leben gekommen, die Mutter in der Heimat schwer erkrankt sei. Dass sein Drogenkonsum verhindert habe, eine schulische Ausbildung nachträglich zu absolvieren. 2018 sei er erstmals in Untersuchungshaft gekommen. Der Mann mit dem Tattoo eines kurdischen Guerillakämpfers am Oberarm ist abgelehnter Asylbewerber, er lebt mit einer Duldung.

Eine Art Asyl dürfte er dagegen eher in einer Gruppierung gefunden haben, die aus dem Kern der einstigen und seit 2013 verbotenen kurdischen Red-Legion-Bande gewachsen ist – diese Vorgeschichte der sogenannten Zuffenhausen/Göppingen-Gruppe weist auch die verfeindete Esslingen/Plochingen/Ludwigsburg-Clique auf. Da gab es auch, laut Anklage, verfälschte Pässe und Führerscheine. Damit konnte er auch ohne Fahrschule und Fahrprüfung mit dem Auto unterwegs sein – und von Göppingen aus zu einem Kaufinteressenten einer Schusswaffe auf einen Parkplatz in Stuttgart-Wangen fahren.

Das Waffengeschäft ist einer der Anklagepunkte, mit denen sich die 18. Strafkammer unter der Vorsitzenden Richterin Kathrin Lauchstädt in den nächsten Wochen beschäftigen wird. Der 31-Jährige soll im Mai 2024 auf dem Parkplatz in Wangen eine Walther-Kurzwaffe des Kalibers 9mm verkauft haben – für 2200 Euro. Zweimal soll er in Donzdorf im Kreis Göppingen noch passende Patronen geliefert haben. Was er nicht wusste: Bei den vermeintlichen Kunden handelte es sich um verdeckte Ermittler. Er stand längst im Visier der Sondereinheit Fokus des Landeskriminalamts, das sich speziell um die gewaltbereiten multiethnischen Gruppierungen kümmert, die sich mindestens seit Sommer 2022 bewaffnete Auseinandersetzungen liefern.

Die Polizei hat offenbar Zugang zur Szene

Das Beispiel zeigt, dass die Kriminalisten nicht nur eine Liste von mehr als 500 Namen von relevanten Mitgliedern und Sympathisanten führen, sondern offenbar auch Zugang zur Szene der Straßenkrieger mit Rapper-Attitüden haben. Der Name des 31-Jährigen ist gleichwohl auch aus anderen Gerichtsprozessen öffentlich geworden – er fällt beispielsweise im Zusammenhang mit einer Spur an einer Patronenhülse, die nach einer Schießerei am 17. März 2023 vor dem Stammlokal der Zuffenhausen-Gruppe sichergestellt wurde. Ein Bandenchef sitzt seither im Rollstuhl.

Im Landgericht hat ein neuer Prozess gegen Mitglieder der Schüsse-Banden begonnen. Foto: dpa

Dabei wird Gewalt nicht nur gegen verfeindete, sondern auch gegen eigene Gruppenmitglieder ausgeübt. Angeklagt ist ebenso ein 25-jähriger irakischer Kurde aus Geislingen, den Polizei und Staatsanwaltschaft für eine führende Person der Göppinger Gruppierung halten. Er soll nicht nur einen schwunghaften Handel mit einem Kokaingemisch betrieben, illegal eine Schusswaffe besessen und verfälschte Ausweisdokumente verwendet haben. Der Mann mit dem Spitznamen Locke soll auch bei einem eigenen Bandenmitglied eine interne Strafzahlung von 5000 Euro erpresst haben.

Opfer sagt Zeugenauftritt mit Ärzteattest ab

„Er drohte ihm eine Kugel in den Kopf zu schießen“, so die Staatsanwältin. Dabei hätte hierfür kein Rechtsgrund zugrunde gelegen. Der Hintergrund ist unklar. Ein Polizeibeamter als Zeuge kann nur vermuten, dass es sich um eine Strafzahlung wegen Schulden um Drogen oder wegen Gebühren innerhalb der Gruppierung gehandelt haben könnte. Das Opfer soll im Februar 2024 von dem 25-Jährigen und dem 31-Jährigen am Bahnhof Göppingen in die Mangel genommen worden sein. Dabei wurden ihm 200 Euro aus der Jacke geraubt.

Das Opfer jedenfalls hätte deshalb nie die Polizei alarmiert. Die Sache flog erst auf, als das Handy des Geschädigten bei anderen Ermittlungen beschlagnahmt wurde. Und die Polizei umfangreiche Schilderungen des Betroffenen zu dem Vorfall in einem Whatsapp-Chat mit seiner Lebensgefährtin entdeckte. Die Sprache ist eindeutig, das Opfer droht selbst mit bewaffneter Gewalt. „Ich habe für die Gruppe genug gemacht, genug geleistet“, sagt er selbstbewusst in der von den Ermittlern gesicherten Audiodatei. Sein Auftritt als Zeuge lässt freilich auf sich warten. Richterin Lauchstädt verliest ein ärztliches Attest über eine womöglich übertragungsfähige Infektion. Von einer „Aktivität außer Haus wird dringend abgeraten“.