Beim WAZ-Stadtcheck hat Wittens Kommunalpolitik mit lediglich 4,1 eine ungewöhnlich schlechte Note erhalten. Schülerinnen und Schüler müssten bei derartiger Bewertung um ihre Versetzung bangen. In Kommentaren fielen harte Worte. Was sagen Mitglieder aus Stadtrat und Kreistag dazu?

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Wir haben CDU-Ratsfrau Claudia Gah gebeten, ihre Sicht der Dinge zu schildern. In ihrem Heimatdorf Herbede ist die ehemalige Vorsitzende der Ortsunion als langjähriges Ratsmitglied eines der bekanntesten Gesichter der Politik. Wir treffen uns vorm Eiscafé Molisana an der Meesmannstraße. Claudia Gah hat kurzerhand den Vorstand der Ortsunion mitgebracht: Neben dem Vorsitzenden Christian Held sind Jutta Kamlage und Sarah Kramer gekommen. Der gemeinsame Auftritt sendet eine Botschaft: Kommunalpolitik ist Teamarbeit. Spätsommerliche Sonne scheint. Doch im übertragenen Sinn ziehen dunkle Wolken auf.

CDU-Chef in Witten-Herbede: Bürgermeister wuppte drei Krisen

Christian Held berichtet von Wahlplakaten, die unmittelbar nach dem Aufhängen abgerissen werden, von bösen Sprüchen, nicht nur im Netz. Dennoch weht im Kommunalwahlkampf ein gesellschaftlicher Wind, der so rau ist wie selten zuvor. Herbedes Christdemokraten verweisen auf den holprigen Start der schwarz-roten Bundesregierung. Kritik hagelt es aber auch für die stadtweite Politik. „Jeder schimpft“, sagt Held, „auf den Bürgermeister.“ Den Amtsinhaber. Parteifreund Lars König, nimmt er in Schutz. Immerhin habe er die Stadt gelassen durch drei Krisen gelotst: Corona, den Hackerangriff auf die städtische IT: „Und dann hatten wir 2021 auch ein bisschen Hochwasser.“

Andererseits haben Herbedes Christdemokraten vor Ort auch politische Erfolgserlebnisse: „Wir gewinnen dadurch sogar Mitglieder“, sagt der Chef der Ortsunion, und er beschreibt die Motivation der Neuen: „Ich möchte auch etwas bewirken“, heißt es. Held weiter: „Kommunalpolitik ist der einzige Ort, wo ich das tun kann.“ Die Mitgliederzahl und, wichtiger noch, die Schar der Aktiven könne sich sehen lassen.

„Perspektive Herbede“: CDU Herbede spricht mit Stadtbaurat und Bürgern über Brückenneubau. Vorn sitzt Vorstandsmitglied Claudia Gah.

„Perspektive Herbede“: CDU Herbede spricht mit Stadtbaurat und Bürgern über Brückenneubau. Vorn sitzt Vorstandsmitglied Claudia Gah.
© WAZ | jürgen overkott

Streicheleinheiten aus Bürgerschaft: Sie tun das, weil Ihnen etwas an dem Ort liegt“

Das sei aber nur dann möglich, wenn die Entscheiderinnen und Entscheider im Dorf gesehen werden. Gah weiß das aus langer Erfahrung. Mag sein, dass die Bürgerrunde „Perspektive Herbede“ mit  Fachleuten Impulse für Dorfleben gibt – persönliche Anliegen indes werden entweder in Zigarettenpausen von Veranstaltungen oder beim Einkaufsplausch vorgebracht. Die CDU punktet dann, wenn sie sich als Kümmerer-Partei präsentiert. Kramer: „Ich hatte letztens ein Gespräch mit einer Bürgerin. Sie sagte mir: Ich finde das toll, was Sie hier machen, dabei kriegen sie nicht mal eine Mark fuffzig dafür. Sie tun das, weil Ihnen etwas an dem Ort liegt.“

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Dennoch sieht Herbedes CDU der Kommunalwahl am 14. September mit gemischten Gefühlen entgegen. Wie sehr, lautet die unausgesprochene Frage, profitiert die AfD von der fast greifbaren Unzufriedenheit der Bürgerschaft mit der bisherigen Politik.  Held: „Das ist die erste Wahl, bei der ich sagen kann, dass ich nichts vorhersagen kann.“

Grüne Witten Bundestagswahlkampf

Andreas Müller von den Grünen schenkt heißen Kaffee ein. Die Szene stammt aus dem Bundestagswahlkampf im Winter 2025. Dieser Tage ist der Kreistagsabgeordnete erneut unterwegs. Er will wieder in den Kreistag.
© WAZ | Augstein

Szenenwechsel. Andreas Müller nimmt sich beim Haustür-Wahlkampf für die Grünen in Wittens Innenstadt Zeit für ein Telefongespräch mit der Redaktion. Er will seinen Sitz im Kreistag in Schwelm verteidigen. Seine Frau Jutta Sauerland kandidiert ebenfalls für die Grünen. Sie peilt ein Mandat für den Stadtrat an.

Wittener Politiker: „Politische Unzufriedenheit ist eine Sache der Wahrnehmung“

Müller nimmt, ähnlich wie Herbedes Christdemokraten, eine verbreitete Unzufriedenheit mit Politik wahr, mit der gescheiterten Ampel-Koalition in Berlin, aber auch mit Ratsbeschlüssen. Oft heiße es, sagt Wittens ehemaliger Verkehrsplaner, es werde in der Stadt nichts gemacht. Sprüche wie diese habe er jüngst im Gespräch an der Pferdebachstraße gehört. Er habe geantwortet: „Die Straße ist doch kürzlich komplett neu gemacht worden.“ Müller hat aus Szenen wie diesen die Erkenntnis gewonnen: „Politische Unzufriedenheit ist eine Sache der Wahrnehmung. Was länger da ist als ein Jahr, wird als selbstverständlich wahrgenommen.“

S-Bahn-Halt Pferdebachstraße: Michael Röls-Leitmann MdL, Andreas Müller, Verena Schäffer MdL, und Christian Walker von den Grünen (von links) begutachten die S-Bahn-Linie 5 Nahverkehr zählt zu ihren Top-Themen.

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© Grüne Witten | Grüne Witten

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Müller und seine Frau klappern dieser Tage sogenannte Fokusgebiete ab. Das sind digital ermittelte Zonen, die für seine Partei als erfolgversprechend gelten: „Das macht ein Algorithmus.“ In Müllers Stimme klingt leichte Skepsis mit, ob der digitale Zauber tatsächlich funktioniert. Umso mehr freut sich der Kommunalpolitiker, wenn er buchstäblich Gesicht zeigen kann. „Manchmal führen wir auch kurze Gespräche. Dann sage ich am Ende immer: Hauptsache, nicht blau wählen.“ Der Satz funktioniert, wie Müller gelernt hat, immer. „Wir hatten gestern ein Haus, wo die Hälfte der Leute da waren. Am Ende haben alle gesagt: Schön, dass sie da waren.“

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