AUDIO: Hans Stimmann – so erinnert sich sein Kollege Colin de Lage an den Stadtplaner (6 Min)
Stand: 03.09.2025 11:12 Uhr
Er prägte das Gesicht Berlins nach dem Mauerfall: Nun ist der Architekt und Stadtplaner Hans Stimmann im Alter von 84 Jahren gestorben. Sein ehemaliger Kollege Colin de Lage spricht im Interview über das Wirken des gebürtigen Lübeckers in seiner Heimatstadt.
Der Architekt Hans Stimmann ist vor allem als „Architekt Berlins“ bekannt geworden. Er war von 1991 bis 2006 – mit Unterbrechung – Senatsbaudirektor und prägte die Stadtplanung in der heutigen Hauptstadt wesentlich – aber nicht nur. Geboren in Lübeck, begann er seine Laufbahn als Maurer, studierte anschließend Architektur an der Staatlichen Ingenieurschule der Fachhochschule Lübeck sowie Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin, wo er 1977 promoviert wurde. Bevor er 1991 vom damaligen Berliner Senator für Bau- und Wohnungswesen Wolfgang Nagel zurück in die neue Bundeshauptstadt berufen wurde, war er ab 1986 Bausenator in seiner Heimatstadt Lübeck. Colin de Lage war damals Geschäftsführer der Wohnbaugesellschaft und der Stadtentwicklungsgesellschaft von Lübeck und erinnert sich im Interview mit NDR Kultur an Hans Stimmann.
Wo sieht man heute in Lübeck Architektur von Hans Stimmann?
Colin de Lage: Hans Stimmann kam in diese Stadt, nachdem er in Berlin tätig war, und bevor er wieder nach Berlin zurückging. Auch die Hansestadt Lübeck ist im Krieg zerstört worden – zu etwa 30 Prozent, das heißt, es gab einerseits noch ein prägendes Stadtbild, andererseits aber auch viele Baulücken und damit viele Möglichkeiten, am Rande der Stadt, die Stadt neu zu entwickeln. Genau das war Stimmanns Thema: Er wollte die kriegsbedingten Baulücken identifizieren, finden und mit moderner Architektur möglichst schnell schließen. Dabei wollte er am Rande der Stadt Entwicklungsmöglichkeiten schaffen, die nicht durch das historische Bauwerk der Hansestadt Lübeck geprägt waren: ein Hotel direkt an der Trave in der Nähe des Holstentors, ein Parkhaus auf der anderen Seite des Holstentors, eine Brücke über einen alten Hafenteil, einen Binnenhafen mit einem davor liegenden Parkhaus. Und all das wollte er in Verbindung bringen mit einer lebendigen Innenstadt, die sich weiterentwickeln sollte.
Stimmanns Wunsch nach modernen Bauten in der Altstadt – ich stelle mir vor, dass das sicher herausfordernd gewesen war angesichts der vielen denkmalgeschützten Bauwerke. Wie haben die Lübeckerinnen und Lübecker seine Arbeit aufgenommen?
Colin de Lage: Das war durchaus etwas zwiespältig, vor allem weil Hans Stimmann kein Mensch der einfachen und billigen Kompromisse gewesen ist. Er wollte sein Ziel baulich umgesetzt haben, diese Stadt lebendig zu erhalten und dabei das Historische durchaus an der Stelle zu lassen, wo wir es wiedergefunden haben. Also ja, Hans Stimmann ist schon auf Widernisse gestoßen, die er umgehen musste – und teilweise haben wir das zusammen gemacht. Dann gab es Podiumsgespräche, und da saß der politische Hans Stimmann und ich, der Umsetzer Colin de Lage. Das war nicht immer einfach. Für ihn war eine Diskussion so etwas wie ein Wetteifern auf einem Sportfeld: Zwei Mannschaften treten gegeneinander an, und das kann mal nach Regeln des Rugby passieren oder auch des Feldhockeys.
Es klingt aber so, als hätten Sie trotz aller Schwierigkeiten doch gern mit ihm zusammengearbeitet.
Colin de Lage: Genau das ist der Fall – auch in meiner Dresdner Zeit. Dort habe ich an der Stadtentwicklung gearbeitet, direkt am Hauptbahnhof Prager Straße, und habe einen großen Wettbewerb ausgelobt. Ich bat Hans Stimmann als Juror dazu zukommen, um die Sache etwas bunter zu gestalten – und so wurde es auch! Bei den Architektengesprächen und den Rundgängen um die einzelnen Vorschläge wurde heiß diskutiert. Der damalige Dresdner Bausenator beschrieb ein Modell und sagte, das sei die Zukunft. Darauf antwortete Hans Stimmann: „Jawohl, da haben Sie recht.“ Und ich dachte: Na endlich kommt ein Kompromiss zustande, doch dann setzte Stimmann fort und sagte: „Da haben Sie recht richtig falsch gelegen“ und dann brach die Diskussion wieder in sich zusammen. Das war Hans Stimmann.
Nun bringt es das Amt des Stadtplaners mit sich, dass man es nie allen recht machen kann. Waren denn manche vielleicht auch erleichtert, als er nach dem Fall der Mauer wieder nach Berlin gegangen ist?
Colin de Lage: Das glaube ich schon. Manche haben gesagt, er solle sich besser wieder den großen Taten widmen und uns hier in Lübeck in Ruhe lassen. Denn Lübeck hat 220.000 Einwohner und da ist das Thema Stadtentwicklung natürlich anders einzuordnen als in der Millionenstadt Berlin.
Wie hat er sich in Berlin durchgesetzt? Er hat ja mal gesagt, ich bin ein mächtiger Mann, was sicher nicht ganz falsch gewesen ist. Es wollten sich aber viele Architekten nach dem Mauerfall in Berlin verewigen und Stars wie Rem Koolhaas oder Daniel Libeskind, die fanden, Stimmann würde die Kreativität der Architekten zu sehr einengen. Wie beurteilen Sie ihn mit Blick auf Berlin?
Colin de Lage: Hans Stimmann hat in Berlin Regeln geschaffen, beispielsweise die Draufhöhe oder der Wunsch, die Grundstücke nicht groß parzelliert zu veräußern, Investoren in die Hand zu geben, sondern klein parzelliert. Auch sagte er, wer innerhalb von Regeln keine vernünftige Architektur machen kann, der kann das auf Feldern, wo es keine Regeln gibt, erst recht nicht.
Abgesehen von den Bauten am Pariser Platz oder den Einkaufsblöcken an der Friedrichstraße: Was denken Sie, wie wird das Wirken Hans Stimmanns in einigen Jahren oder Jahrzehnten bewertet werden? Ist er der große Erneuerer oder der Initiator gesichtsloser Klötze?
Colin de Lage: Ich glaube, er ist eher als erhaltender Stadtentwickler zu sehen. Er gibt der Stadt durchaus Raum für Entwicklung, aber er gibt dieser Entwicklung auch ganz bestimmte Grenzen. An der Stadtentwicklung Lübeck kann man das erkennen: Da sind die Parzellengröße, die Grundstückstiefe, die Häuser, die in einer bestimmten Form giebelständig zur Straße stehen. Das war alles auch einengend, aber das ging vom 17. Jahrhundert direkt in die heutige Zeit. Nicht umsonst wird Lübeck heimgesucht von Millionen Touristen, die diese Stadt lieben. Das hängt mit Sicherheit auch mit diesen prägenden Erscheinungen im Straßenbild und in den Gebäuden zusammen. Berlin wird dadurch, dass man bestimmte Ordnungen eingeführt hat, ebenfalls ein sehr durables Stadtbild abgeben, anders als solch explodierende Städte wie Dubai beispielsweise.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.
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