Kathlen Eggerling fragt: „Hallo TikTok, hörst du uns?“ Sie ist Verhandlungsführerin bei der Gewerkschaft Verdi und schickt die Worte am Mittwoch gen blauen Himmel vor der Deutschlandzentrale des Tech-Konzerns in Berlin-Friedrichshain.
Es ist der dritte Streiktag der rund 150 Content-Moderator:innen, die ihren Job in der „Trust and Safety“-Abteilung verlieren sollen, damit künftig vor allem Künstliche Intelligenz (KI) ihre Arbeit übernimmt. Die Kräfte schützen die Video-Plattform vor Hass, Gewalt und Fake-News.
Rund 50 Streikende sind gekommen. Sie rufen: „TikTok, time is up!“ und wollen so die Geschäftsführung zu Verhandlungen über ihre Kündigungsfrist und Abfindungshöhe bewegen.
Seit dem letzten Streiktag Ende Juli vor dem Arbeitsgericht in Berlin-Mitte habe sich nichts getan, erklärt Eggerling. Die Geschäftsführung versuche weiterhin, eine Einigungsstelle mit dem Betriebsrat vor dem Arbeitsgericht zu erwirken. Eine Einigungsstelle dient dazu, Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat betriebsintern zu schlichten.
Damit würde TikTok keine faire Lösung anstreben, sondern den beschleunigten Weg zur Kündigung der betroffenen Mitarbeiter:innen. „Die haben Geld wie Heu. Man will aber möglichst billig davonkommen“, sagt Eggerling. Der Umsatz von TikTok stieg 2024 laut eines Berichts von „Business of Apps“ auf 23 Milliarden US-Dollar, ein Anstieg von über 42 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Es gab Linseneintopf zum dritten Streiktag.
© Alix Faßmann
Die haben Geld wie Heu.
Kathlen Eggerling, Verdi-Verhandlungsführerin, über die Finanzkraft von TikTok.
Ende September soll über die Einigungsstelle entschieden werden. Im schlechtesten Fall bedeutet das: Kündigungen könnten schon im November ausgesprochen werden, oft mit nur den gesetzlichen Mindestfristen von vier Wochen bis wenigen Monaten. Der beste Fall aus Sicht der Gewerkschaft: TikTok rudert zurück, verhandelt ernsthaft über einen angemessenen Sozialplan und eine Abfindung von drei Jahresgehältern.
Rückendeckung aus London
Auch am dritten Streiktag erzählen Mitarbeiter von ihrem Frust, der KI Humor beigebracht zu haben, der nun profitabel genutzt werde. Sie seien von schlaflosen Nächten und Zukunftsängsten geplagt. Entscheidend sei, dass der Widerstand zäh und die Solidarität unter ihnen hoch bleibe. Der erste Streik bei einer Sozialen Plattform in Deutschland werde weltweit genau beobachtet.
Rückendeckung kommt mittlerweile sogar aus London: Dort sind ebenfalls rund 300 Stellen bei TikTok von Streichungen betroffen, ebenfalls unter Verweis auf den Einsatz von KI. „Ja, wir haben mit den Kollegen aus London Kontakt. Die wollen morgen in den Streik treten“, erzählt ein Mitarbeiter, der für die zukünftige Jobsuche lieber anonym bleiben möchte.
Die Deutschlandzentrale von TikTok liegt direkt an der Spree in Friedrichshain.
© Alix Faßmann
Es formiert sich also eine wachsende europäische Solidarität unter TikTok-Beschäftigten gegen die Rationalisierungspläne des chinesischen Mutterkonzerns ByteDance. Auch Unterstützung aus der Berliner Politik kommt seitens SPD, den Grünen und den Linken zum dritten Streiktag. „Wir wollen das Thema ins Abgeordnetenhaus holen“, kündigt Sven Meyer (SPD) an.
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Ihm schwebt der Europaausschuss im Abgeordnetenhaus als politisches Instrument vor. Der könne auch Anträge zu Fragen der Medienkontrolle bei der EU-Kommission einreichen. Konkret scheinen die Pläne aber noch nicht zu sein.