Städtebau in Bern –

Monotone Klötze in Schlammfarben: Warum sehen alle Neubauten gleich aus?

Publiziert heute um 06:00 UhrModerne Wohnüberbauung an der Reichenbachstrasse 118 in Bern, welche von der Organisation Openhouse4cities genutzt wird.

«Wir leben in einer immer stärker normierten Welt. Das gilt auch fürs Bauen», sagt der Architekt Christopher Berger, der mit seinem Büro B die Wohnsiedlung an der Reichenbachstrasse 118 im Tiefenauquartier realisierte.

Foto: Raphael Moser

Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.BotTalkIn Kürze:

  • Bauvorschriften und Umweltauflagen schränken die architektonische Gestaltungsfreiheit ein.
  • Architekturbüros müssen sich bei Wettbewerben an strenge Vorgaben der Auftraggeber halten.
  • Ein Umdenken führt vermehrt zu Renovationen bestehender Gebäude statt Neubauten.

Häuser wie Klötze, die in die Umgebung gepflanzt wurden. Horizontale Fensterbänder; dazu an einer Seite gestapelte Balkone, integriert in die strengen Formen der Gebäude. Alles in einer unauffälligen Farbe, die von einem pastelligen Schlammgrün bis zu einem Fleischkäseton reicht.

So lassen sich derzeit einige Siedlungsneubauten in der Stadt Bern beschreiben, ein paar schon realisiert, andere in Planung. Ob Wifag-Areal, Warmbächli, Tiefenauquartier oder Wankdorfcity 3: Es scheint, als stammten die Bauvorhaben aus dem gleichen Lehrbuch für heutigen Städtebau. Ist dieser etwas austauschbare Look von heutigen Überbauungen einfach «in»? Oder gehen den Architekturbüros die Ideen aus?

Aussenansicht der Wohnbaugenossenschaft Warmbächli in Bern, ein modernes mehrstöckiges Gebäude mit Balkonen.

Block mit Nachhaltigkeitszielen: Hier haust die Genossenschaft Warmbächli.

Foto: Raphael Moser

Uninspirierte Neubauten sind kein neues Phänomen. «Erschreckend arm geworden ist der moderne Städteerbauer an Motiven seiner Kunst», schrieb der österreichische Städteplaner Camillo Sitte 1889. «Die schnurgerade Häuserflucht, der würfelförmige ‹Baublock› ist alles, was er dem Reichtum der Vergangenheit entgegenzusetzen vermag.»

Moderne Wohnanlage mit einem mehrstöckigen Gebäude, umgeben von Bäumen und spielenden Kindern im Vordergrund.

Fenster im Hochformat, pastelliges Schlammgrün: Eines der geplanten Häuser auf dem Wifag-Areal.

Visualisierung: PD

Und heute? Der Berner Architekt Christopher Berger hat mit seinem Büro B die Wohnsiedlung an der Reichenbachstrasse realisiert. Indem man als Architekturbüro an einem Projektwettbewerb teilnehme, befinde man sich automatisch in einem Auftragsverhältnis, sagt Berger. Dort legt eine sogenannte Ausloberschaft ein Programm für einen spezifischen Ort fest.

Ganz frei ist man als Architektin oder als Architekt bei Wettbewerben nie. «Die Auftraggeberschaft formuliert natürlich Absichten und Ziele.» Beispielsweise die Menge an Wohnungen, was einen Einfluss auf die Grösse und damit auf die Gestaltung eines Gebäudes habe.

Was steckt hinter den Eternit-Fassaden beim modernen Bauen?

Auch immer strengere Energieziele hätten Auswirkungen, sagt Berger. Wenn etwa die Stadt Bern einen hohen ökologischen Standard realisieren möchte, beeinflusse dies die Wahl der Materialien, die eine bestimmte Umweltbilanz erfüllen müssten.

Die Folge: Viele Architekturbüros verwenden ähnliche Baustoffe. «Holz weist etwa eine viel bessere Ökobilanz auf als die meisten mineralischen Stoffe, die einen viel massiveren Ausdruck haben.» Beliebt seien insbesondere leichte Stoffe wie Eternit-Wellplatten, wie sie auch bei der Warmbächli-Überbauung zum Einsatz kamen.

Ein modernes Wohngebäude in Bern mit mehreren Balkonen, auf denen Pflanzen stehen. Ein Balkon zeigt ein Banner mit einem Logo.

Leicht und umweltfreundlich: Fassade aus Eternit-Wellplatten bei der Warmbächli-Überbauung.

Foto: Raphael Moser

Berger sieht in der Zunahme solcher Standards ein gesellschaftliches Phänomen. «Wir leben in einer immer stärker normierten Welt. Das gilt auch fürs Bauen.»

Die Ziele, die man seitens Bauherrschaft mit Neubauten verfolge, würden zudem immer anspruchsvoller – man wolle kostengünstiges Wohnen ermöglichen, rezyklierbare Materialien verwenden oder stehe unter Druck, ein Budget einzuhalten. Und auch Investoren schmückten sich gerne mit Umweltlabels, die heute ein Verkaufsargument darstellten.

«Auf der anderen Seite stehen ganz banal gesetzliche Vorschriften, die ebenfalls einschränkend wirken auf die Gestaltungsfreiheit.» So schreibt das Baugesetz etwa baupolizeiliche Masse wie die maximale Höhe oder Länge eines Gebäudes vor.

Würde der «Fleischkäse» noch gebaut?

Es gibt aber auch Fälle von Überbauungen, die wagemutiger ausfielen. Etwa das Holzkonstrukt Werk 11 in der Stadt Biel: Strassenseitig fallen Laubengänge ins Auge, auf der Seite prangen Bullaugenfenster. Kühnere Ideen waren möglich, weil die Architekten zugleich die Bauherren waren.

Dreistöckiges Holzgebäude mit runden Fenstern und überdachtem Balkon, umgeben von Bäumen und parkenden Autos.

Holzbauweise, Lauben und grosse Bullaugen: Bei diesem Bieler Neubau hatten die Architektinnen und Architekten einige Freiheiten.

Foto: Linus Bart

Berger teilt zumindest den Eindruck, «dass es immer wieder Phasen gibt, in denen sich Bauten ähneln». Er stellt aber auch fest, dass im Häuserbau ein Umdenken stattfinde. So vermute er, dass die Überbauung am Burgernziel, auch spöttisch «Fleischkäse» genannt, von der Stadt heute ganz anders angegangen würde. Damals, vor über zehn Jahren, entschied ein Wettbewerb über einen Neubau. «Heute würde man sich eher fragen: Wie können wir mit den Bestandsbauten arbeiten?»

Moderne Überbauung des Tramdepots im Burgernziel mit Geschäften im Erdgeschoss und darüber liegenden Wohnungen.

Spöttisch «Fleischkäse» genannt: Die Überbauung im Burgernziel.

Foto: Adrian Moser

Sich mit bestehenden Gebäuden auseinanderzusetzen, statt Neubauten zu realisieren, ist laut Berger heute viel stärker verbreitet als vor einigen Jahren. Was zumindest von seinem Büro nicht als Hindernis empfunden werde, sondern «als Anregung für einen Entwurf». Insofern beobachtet Berger neben Siedlungsklötzen auch «andere Zugänge, andere Formensprachen», wie er es nennt. «Es wird lebhafter.»

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EinloggenLena Rittmeyer ist Kulturredaktorin. Sie berichtet seit über zehn Jahren über die Berner Theaterszene. Gelegentlich schreibt sie auch über gesellschaftliche Themen und Popmusik.@LaRittmeyer

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