Burkhard Jung (SPD) dreht am Thermostat im Büro des Oberbürgermeisters im Neuen Rathaus, bevor er sich an seinen runden Konferenztisch setzt. Sein Jackett hat er sich bei über 30 Grad schon abgestreift. »Die Schule fängt wieder an und wir haben so ein Wetter«, sagt er bedauernd. Heiß war die Sommerpause im Rathaus: Die Sparpläne verunsicherten viele. Mit dem kreuzer spricht Jung darüber, was der Sparhaushalt bedeutet, wie er auf die vergrößerte Macht der CDU im Stadtrat blickt und warum er Kürzungspotenzial auch im Sozialen sieht.​

Kürzungen bei Kultur und Sozialem, beim Klimaschutz sind Investitionen aufgeschoben: Wird Leipzig, wenn dieser Doppelhaushalt steht, noch das Gleiche sein?

Die aktuellen Kürzungsvorschläge sind beherrschbar und verantwortbar. Wir haben bei Vereinen und Verbänden, im Bereich Kultur, Soziales und Jugend nicht gekürzt, sondern wir haben sogar eine kleine Steigerung vorgenommen. Wir hatten einen Streitpunkt, das war die Schulsozialarbeit. Dort hatten wir zunächst mit einer Kürzung der zweiten Sozialarbeiterstellen an Schulen geplant – schweren Herzens. Wir nehmen diesen Vorschlag jetzt zurück, das bedeutet aber für Verwaltung und Stadtrat in den nächsten Wochen, dass wir neues Sparpotenzial finden müssen. Wir werden viel Disziplin brauchen. Insgesamt schädigen wir mit den aktuellen Sparmaßnahmen nicht die Stadtentwicklung oder das soziale Gefüge in der Stadt.

Wenn Sie mit den freien Trägern aus der Kultur sprechen, sehen die das genauso?

Es gibt schon großes Verständnis für die Situation. In der Hochkultur wird es eher eng, aber dennoch sind wir in der Kultur und auch in der Freien Szene im Verhältnis zu vielen Städten in Deutschland sehr auskömmlich aufgestellt. Die spannende Frage wird sein, wie geht die Haushaltskonsolidierung, die uns noch zwei, drei Jahre begleiten wird, weiter, wenn die wirtschaftliche Entwicklung nicht anspringt? Das wird dann nicht nur für die Kultur schwierig.

Sie haben bereits angekündigt, dass Sie auch nach der Genehmigung des Haushalts eine Haushaltssperre verhängen werden. Was bedeutet das?

Der Finanzbürgermeister hat die gesetzliche Pflicht, eine Sperre zu verhängen, wenn der Ausgleich im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung nicht absehbar ist. Und wir wissen heute schon, dass das so kommen wird. Wenn die Genehmigung kommt, sind wir aufgrund von Steuereinbrüchen und Ausgabensteigerung im Sozialbereich weiter in einer Schieflage. Dem Kämmerer bleibt gar nichts anderes übrig, als eine Haushaltssperre zu verhängen. Dazu ist er gesetzlich verpflichtet. In der Sperre wird dann jede einzelne Maßnahme einzeln freigegeben und muss begründet werden.

Wer trifft am Ende diese Entscheidung?

Zunächst der Finanzbürgermeister, und im Zweifel ich.

Seit der letzten Stadtratswahl brauchen Sie immer öfter die CDU für Kompromisse. Die kokettiert damit. Sitzungspausen verbringen Sie häufig mit Fraktionschef Michael Weickert bei einer Zigarette. Schmerzt es Sie, vermehrt konservative Politik in Leipzig mittragen zu müssen?

Es geht immer darum, einen Ausgleich zu erzielen. In meinen gesamten zwanzig Jahren als OBM habe ich immer mit wechselnden Mehrheiten und Kompromissen agiert. Das gehört zur Demokratie dazu.

Aber es war einfacher, als Rot-Grün-Rot eine Mehrheit hatte.

Ja, in der Tat: In der Verkehrspolitik sieht man das, in der Förderpolitik, in der Subsidiaritätsdiskussion. Im neuen Stadtrat sitzen mehr Fraktionen als früher, Mehrheiten zu organisieren, wird schwieriger. Aber das ist die Aufgabe.

Es ist teilweise das Zurückdrehen Ihrer eigenen Politik: Die Prager Straße soll vierspurig bleiben.

Ich habe tatsächlich die Sorge, dass uns die Mehrheiten nicht mehr so klar die Verkehrswende angehen lassen, wie ich mir das wünsche. Die Prager Straße hätte ich anders ausgebaut. Die Nagelprobe wird jetzt werden, wie wir die Wärmewende zur Freiflächengestaltung in den Quartieren nutzen. Ich persönlich habe da klare Vorstellungen: Wir können nicht neue Leitungen verlegen und ganze Viertel aufbaggern – um dann hinterher einfach alles wieder zuzuschütten und es sieht schlechter aus als vorher. Ich möchte die Wärmewende, die wir zur Erreichung unserer Klimaziele brauchen, zwingend mit einem Stadtumbau verbinden, der unsere Stadt lebenswerter macht.

Im Stadtrat waren Sie vermehrt persönlichen Angriffen ausgesetzt. Sowohl CDU als auch Grüne werfen Ihnen Führungsversagen vor. Spüren Sie noch den notwendigen Rückhalt?

Nein, ich habe durchaus Autorität im Stadtrat. Aber es ist schwieriger geworden, das Miteinander auszugleichen. Wissen Sie, persönliche Angriffe hat es immer gegeben. Das ist auch manchmal das Pfeifen im Walde. Wenn Sie innerhalb von drei Jahren einen fiskalischen Einbruch erleben, wenn Bund und Land die Kommunen allein lassen bei der Finanzierung, dann ist das kein Führungsversagen des Oberbürgermeisters Jung in seiner Stadt. Dann sind wir in einer grundsätzlichen Strukturdebatte. Hier muss ich meine Autorität als Präsident der deutschen Städte sehr wohl auch in Berlin einbringen.

Ist der Städtetag ein Zufluchtsort, weil Sie sich dort anderen Aufgaben als der Verwaltung widmen können?

Der Städtetag ist mitnichten ein Zufluchtsort – er ist der Ort, an dem ich für Leipzig sehr viel bewegen kann. Wenn ich in Berlin dafür sorgen kann, dass wir Kommunen anders finanzieren, dann hilft das Leipzig direkt. Gleiches gilt für das Sondervermögen, Klimaanpassung oder Asyl. Das ergänzt sich wunderbar und es ist kein Zufall, dass man dieses Amt nur ausüben kann, wenn man Oberbürgermeister ist.

In den Parteien wird Ihre Nachfolge bereits diskutiert. Wer soll es aus der SPD machen?

Fragen Sie die SPD.

Aber sind Sie Teil von diesen Gesprächen?

Ich interessiere mich schon dafür, ja.

Spricht man mit Menschen aus der SPD, kritisieren viele, dass Sie neben sich keinen Nachfolger akzeptierten. Spüren Sie eine Verantwortung, jemanden aufzubauen, der sich gegen einen CDU-Kandidaten behaupten kann?

Zu gegebener Zeit werden wir miteinander den entsprechenden Kandidaten oder die Kandidatin präsentieren.

Nach den Landtagswahlen kritisierten Sie, die demokratischen Parteien ließen sich in der Migrationsdebatte von rechts treiben. Ihre Parteikollegin Bärbel Bas fordert nun Sanktionen beim Bürgergeld, Sie selbst kritisieren einen überbordenden sozialen Teppich. Warum lassen Sie sich jetzt treiben?

Das ist kein Treibenlassen von rechts. Ich bin wirklich in großer Sorge, dass wir dieses Land vor die Wand fahren, wenn wir nicht ehrlich darüber sprechen, was wir finanzieren können. Zum Beispiel bei der Schulassistenz: Ich gönne jedem einzelnen Kind mit einer Behinderung Begleitung und Unterstützung. Wenn dann aber fünf Begleitungen in einem Klassenzimmer für fünf Kinder zuständig sind, läuft etwas schief. Warum kann man das nicht poolen?

Sie sind ausgebildeter Lehrer, aber können Sie das im Detail wirklich einschätzen?

Ich glaube, ich kann das einschätzen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Kind ist nicht in der Lage, die Kappe seines Füllfederhalters zu öffnen. Setze ich jetzt jemanden daneben, der das tut? Oder bitte ich den Mitschüler zu helfen? Da hat sich eine Praxis entwickelt, bei der das System kollabiert.

Dass die Kommunen unterfinanziert sind, ist klar. Warum vermitteln Sie den Eindruck, nach unten zu treten?

Ich will es mir nicht leicht machen und sagen, jetzt müssen Bund und Land helfen. Die stehen selbst mit dem Rücken zur Wand. Die Bundesregierung ist momentan mit einem 75-Milliarden-Defizit kaum mehr in der Lage, etwas draufzulegen. Das Land stiehlt sich aus der Verantwortung und kommunalisiert die Schulden. Aber im Prinzip ist auch Dresden am Rand der Leistungsfähigkeit. Klar kann ich sagen, wir brauchen mehr Punkte an der Umsatzsteuer, wir brauchen eine andere Sozialausgabenfinanzierung. Aber ich möchte mich nicht aus der Verantwortung stehlen. Wir sind zu bürokratisch, wir sind zu ausdifferenziert in der Gesetzgebung, so dass wir teilweise Stillstand haben. Und wir haben Standards entwickelt, die oftmals in keinem Verhältnis mehr zum wirklich Notwendigen stehen.