Immer mehr Einheimische steigen gar nicht mehr ein. Aber für die Touristen gehört wenigstens ein Foto zum Pflichtprogramm. Die langen Schlangen an den Straßenbahnhaltestellen schrecken sie an der berühmten Linie 28E durch die Altstadt genauso wenig ab wie vor den drei „Elevadores“. So heißen die 140 Jahre alten Standseilbahnen, die in der portugiesischen Hauptstadt die steilen Anhöhen hinauf- und hinunterruckeln.

Doch am Mittwochabend war der gelbe Wagen zum Restauradores-Platz im Zentrum der Innenstadt heruntergerast, entgleist und kurz vor einem Schnellrestaurant gegen eine Häuserwand geprallt. Die zweite Bahn hatte sich von unten noch gar nicht in Richtung des Miradouro de São Pedro de Alcântara in Bewegung gesetzt, eines der beliebtesten Aussichtspunkte der Stadt.

Am Abhang der Calçada da Glória, kurz vor der Avenida da Liberdade, kam es zum verheerendsten Unglück im Lissabonner Nahverkehr: 15 Menschen kamen ums Leben, und 23 wurden verletzt, fünf davon schwer. Der Fahrer kam ums Leben. Die Obduktion der Toten sollte am Donnerstagmorgen abgeschlossen sein, ihre Identifikation aber noch mehr Zeit in Anspruch nehmen. Unter den Verletzten sind nach Presseberichten ein drei Jahre alter Junge, zwei Spanier und eine Südkoreanerin. Portugal rief Staatstrauer aus. „Das ist ein tragischer Tag für die Stadt. Lissabon trauert“, sagte Bürgermeister Carlos Moedas am Unfallort, wo auch Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa den Opfern und den Angehörigen sein Mitgefühl aussprach. 

Nicht der erste Unfall

Bis dahin schienen die Graffitisprayer die gefährlichsten Feinde der historischen Bahnen zu sein. Ihnen hatten es das makellose Gelb der alten Wagen und die Wände der Häuserschluchten besonders angetan. Ein Zugseil des zweitältesten „Elevador“ der Stadt ist jetzt offenbar gerissen. Der Wagen mit mehr als 40 Menschen an Bord konnte nicht mehr halten. „Wir sahen, wie die Straßenbahn ungebremst auf uns zukam, wir hatten gerade noch Zeit zu fliehen“, berichten Anwohner dem Sender SIC.

Rettungskräfte sichern in Portugals Hauptstadt die Unglücksstelle ab.Rettungskräfte sichern in Portugals Hauptstadt die Unglücksstelle ab.AP

In der Kurve sei das Fahrzeug dann mit großer Wucht gegen ein Gebäude gestoßen. Auf Videoaufnahmen war zu sehen, wie Rauch aufstieg und Passagiere schreiend aus der zweiten, unbeschädigten Bahn flohen; einige stiegen aus den Fenstern. Die Ermittlungen wurden in der Nacht zum Donnerstag aufgenommen und dauern an. Der Einsatz einer Mordkommission der Kriminalpolizei deutet darauf hin, dass Fahrlässigkeit oder Vorsatz nicht ausgeschlossen werden. Ein kriminelles Motiv wurde laut Medienberichten jedoch nicht vermutet.

Die städtische Nahverkehrsgesellschaft Carris betonte in einer ersten Erklärung gegenüber portugiesischen Medien, dass man sich an alle Wartungsprotokolle gehalten habe. 2022 sei die allgemeine Wartung vorgenommen worden, 2024 die letzte Zwischenreparatur – zusätzlich zu den monatlichen und wöchentlichen Wartungsprogrammen sowie den täglichen Inspektionen, die „gewissenhaft eingehalten wurden“. Mit der Wartung sei ein externes Unternehmen beauftragt gewesen, was am Mittwoch kritisiert wurde.

Am Abend des Unglücks: Mitglieder der Kriminalpolizei arbeiten an der Stelle, an der die Standseilbahn entgleist ist.Am Abend des Unglücks: Mitglieder der Kriminalpolizei arbeiten an der Stelle, an der die Standseilbahn entgleist ist.dpa

Denn es war nicht der erste Unfall. 2018 war ein Wagen entgleist, ohne dass Menschen zu Schaden kamen. Damals war von mangelhafter Wartung und verschlissenen Rädern die Rede. Laut der Zeitung „Público“ gab es mehrmals Beschwerden über die Arbeit der Wartungsfirma. Alle Standseilbahnen stellten bis zur Klärung der Unfallursache den Betrieb ein. 

Standseilbahnen sind Nationaldenkmal

Der Elevador da Glória, der die Unterstadt der Baixa mit dem Bairro Alto verbindet, ist eine der insgesamt drei historischen Lissabonner Standseilbahnen. Sie wurde im April 1895 in Betrieb genommen und vor 20 Jahren zu einem Nationaldenkmal erklärt. Eine portugiesische Rockband benannte in den Achtzigerjahren nach ihr ein eigenes Album. Anfangs betrieb ein Wassergegengewichtsmechanismus die Bahn, dann ein Dampfantrieb, und seit 1915 kam Strom zum Einsatz.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Fahrgastkabinen mit Kerzen beleuchtet. Von 1913 bis 1926 fand auf der nur 265 Meter langen Strecke das Radrennen „Subida a la Glória“ statt. Es wurde später wiederbelebt. Unter den Fahrgästen der Hauptstadt war die nur drei Minuten dauernde Verbindung mit jährlich mehr als drei Millionen Menschen die beliebteste der drei Strecken. 2024 kam nach 15 Jahren Bauzeit die Standseilbahn nach Graça dazu.

In den vergangenen Jahren kamen mehr als fünf Millionen Touristen nach Lissabon. Nach einem Rekordjahr mit 29 Millionen Urlaubern erwartete man in dem Land mit gut zehn Millionen Einwohnern 2025 mehr als 30 Millionen Gäste aus dem Ausland.