Und die Jazz-Puristen, die Brönner wegen seiner Mainstream-Tauglichkeit seit jeher überkritisch beäugen, mögen ihm den Gastsänger Giovanni Zarrella großzügig verzeihen. Was macht eigentlich Till Brönner? Das haben sich die Fans des Trompeters seit der Platte „On Vacation“ (2021) mehr als vier Jahre gefragt. Vielleicht hätten sie sein Kochbuch „Ciao Roma“ (2024) als Hinweis verstehen sollen, wohin die Reise geht. Nach Italien, ins Land, wo nicht nur die Zitronen blühen, sondern auch die Canzoni.
Canzoni haben Europa geprägt
Die Lieder mit Schmelz haben in den 60er, 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in ganz Europa Generationen musikalisch sozialisiert. Alan Sorrenti, Drupi, Lucio Dalla, Adriano Celentano, Fabrizio De André, Umberto Tozzi und viele andere haben von leichter Hand dutzendweise Evergreens komponiert. Zu der Zeit traten Milva, Alice und Toto Cutugno als Stammgäste in den deutschen Samstagabendshows auf. Der Sound aus Italien war so stilbildend, dass „Tu sei l’unica donna per me“ kurzum umgetextet wurde in „Alles was ich brauche bist Du“.
Bekannte Hits in Deutschland
Bei den genannten Künstlern hat sich Brönner nicht bedient. „Das Album enthält viele bekannte Hits, zumindest aus deutscher Perspektive. Aber es gibt eben auch Überraschungen. Nichts ist langweiliger als ein Album, bei dem man vom ersten Ton an weiß, wie es klingt“, sagt der 54-Jährige über „Italia“. Die Mischung stimmt in der Tat. „Viva la Felicità“, den Titelsong der Zeichentrickserie „Herr Rossi sucht das Glück“, singt Brönner auf Italienisch. Paolo Contes Klassiker „Via con me“ hat der Jazzmusiker mit seinem Produzenten Nicola Conte ein kräftiges Latin-Jazz-Arrangement mit Bossa-Nova-Rhythmen verpasst. Und wer könnte das Stück besser singen als Mario Biondi, der italienische Barry White?
Das Cover des Albums „Italia“ von Till Brönner. Foto: LabelKonzert am 6. April in Bielefeld
Dem in Rom und Bari eingespielten Album – so viel Italianità muss sein – hört man den Aufwand an. Das Repertoire deckt 20 Jahre italienische Musik ab. „La Donna Invisibile“ von Ennio Morricone klingt nach 60er, während die Titelnummer des Films „Il Trucido e lo Sbirro“ den Sound der 70er abbildet. Und „Cosa vuoi“ hätte dem Herb Alpert der 80er gut zu Gesicht gestanden. Die im besten Sinne unvermeidlichen „Parole Parole“ und „Quando Quando Quando“ komplettieren mit „In Alto Mare“, „Amarsi un po‘“ und „L’appuntamento“ eine fulminante Platte. Till Brönner sagt über „Italia“: „Manche Alben entstehen aus einem Gefühl. Dieses hier aus purer Liebe.“ Das darf man ihm glauben und live erleben. Am 6. April spielt er die Platte in der Bielefelder Oetkerhalle.