Anstatt zu zahlen, verlassen wohlhabende Expats das Land. Nun ist die Frage, ob die Massnahme überhaupt Geld einbringen wird.
Bassim Haidar nutzte ein jahrhundertealtes Schlupfloch im Vereinigten Königreich, das wohlhabenden Ausländern zugutekam.
Laura Pannack
Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Der folgende Text ist zuerst im «Wall Street Journal» erschienen. Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung. Übersetzt aus dem Englischen von Alain Estermann.
London – Das Vereinigte Königreich versucht, die Superreichen zu besteuern. Der Start ist holprig.
«Ich bin gerade dabei, zu gehen», sagte Bassim Haidar, ein in Nigeria geborener libanesischer Geschäftsmann, der 2010 hierherzog. «Es kommt der Zeitpunkt, an dem man sich nicht mehr willkommen fühlt, und dann ist es Zeit, einfach zu packen und zu gehen.»
Haidar ist eine der geschätzten 74 000 Personen, die ein jahrhundertealtes Steuerschlupfloch nutzten, das im April abgeschafft wurde und den globalen Reichen zugutegekommen war. Der sogenannte Non-Dom-Status erlaubte es Ausländern, die im Vereinigten Königreich lebten, nur auf ihre inländischen Einkünfte Steuern zu zahlen. Im Ausland erzielte Gewinne wurden ignoriert, solange sie nicht ins Vereinigte Königreich gebracht wurden.
Von hohen Staatsschulden und einer maroden Infrastruktur geplagt, hoffte das Vereinigte Königreich, durch die Abschaffung des Non-Dom-Status bis 2030 etwa 45 Milliarden Dollar einzunehmen. Doch anstatt zu zahlen, strömen wohlhabende Expats zum Ausgang – was Fragen aufwirft, ob der Schritt überhaupt Geld einbringen wird.
Streit über die Besteuerung der Reichen
Das britische Experiment hat die schwierige Politik der Besteuerung von Reichen offengelegt. Die Besteuerung von Spitzenverdienern ist auf der Linken zu einem Schlachtruf geworden als Lösung für Einkommensungleichheit und bröckelnde soziale Sicherungsnetze. Befürworter niedriger Steuern sagen, Steuern für Reiche seien kontraproduktiv, da sie Arbeitsplätze gefährden und Grossverdiener vertreiben würden.
In den USA hat Zohran Mamdani, der demokratische Bürgermeisterkandidat von New York City, eine «Millionärssteuer» für New Yorker vorgeschlagen, die mehr als 1 Million Dollar pro Jahr verdienen – was dazu führte, dass wohlhabende Personen lautstark ankündigten, sie würden in Staaten mit niedrigeren Steuern wie Florida oder Texas umziehen.
Eine Herausforderung bei der Besteuerung der Reichen ist deren hohe Mobilität – mit Häusern rund um die Welt, Privatjets und einem Heer von Beratern, die Visa und bürokratische Formalitäten schnell besorgen bzw. erledigen können. Länder wie Dubai, Italien und Monaco haben ihnen den roten Teppich ausgerollt und bieten ihnen Steuerbefreiung oder Strukturen, die dem alten Non-Dom-Status des Vereinigten Königreichs ähneln.
Bassim Haidar plant, das Vereinigte Königreich diesen Sommer zu verlassen.
Laura Pannack
Haidar und andere Vermögende verlassen Grossbritannien
Haidar verdient den Grossteil seines Geldes mit Unternehmen, die er im Ausland gegründet hat. Er schätzt, dass die Steuerreform seine britische Steuerrechnung um das Fünf- bis Siebenfache erhöhen wird. Als Vater von fünf Kindern macht er sich auch Sorgen über die Erbschaftssteuer von 40 Prozent im Vereinigten Königreich, die nun auf sein weltweites Vermögen anfallen würde.
Haidar verkauft seine Immobilien im Vereinigten Königreich und plant, im Sommer auszuwandern. Er wird seine Zeit zwischen Dubai und Griechenland aufteilen.
Nassef Sawiris, ein ägyptischer Milliardär und Mitbesitzer des englischen Fussballteams Aston Villa, ist laut behördlichen Angaben vom Vereinigten Königreich nach Italien umgezogen. Der deutsche Krypto-Milliardär Christian Angermayer zog letztes Jahr von London in die Schweiz. Das Vereinigte Königreich hat zwar eine neue Steuervergünstigung für Auslandseinkommen eingeführt, aber sie ist auf vier Jahre begrenzt und gilt für viele der früheren Inhaber des Non-Dom-Status nicht.
«Die Regierung war vielleicht zu zuversichtlich, dass die internationalen Reichen London so sehr liebten, dass sie nicht gehen würden», sagte Charlie Sosna, Partner in der Private-Wealth-Abteilung der Anwaltskanzlei Mishcon de Reya.
Ein Privileg mit langer Geschichte
Wie die meisten Länder besteuert das Vereinigte Königreich das weltweite Einkommen der Personen, die dort leben. Das ist anders als das auf Staatsbürgerschaft fussende System der USA, nach dem alle Amerikaner der amerikanischen Steuer unterliegen, egal wo sie leben.
Wohlhabende Briten versuchen seit Jahrzehnten, den hohen Steuersätzen des Vereinigten Königreichs zu entkommen. In den siebziger Jahren zogen die Rolling Stones nach Frankreich, um Steuern zu vermeiden, während David Bowie in die Schweiz ging.
Das lukrative Non-Dom-Schlupfloch hatte den gegenteiligen Effekt und zog reiche Ausländer nach London. Das System geht zurück auf 1799, als die erste Einkommenssteuer des Landes eingeführt wurde, um den Krieg gegen Napoleon zu finanzieren.
Nur Einkommen, das im Vereinigten Königreich verdient wurde, unterlag der Steuer, wodurch Investitionen in den Kolonien des Imperiums steuerfrei blieben. Die Ausnahme wurde im Laufe der Zeit eingeschränkt, so dass sie weitgehend Ausländern zugutekam, die nicht dauerhaft im Vereinigten Königreich leben wollten.
In den 1970er Jahren kamen Öl- und Schifffahrtsmagnaten nach London und kauften Villen, Hotels und Kaufhäuser. Darauf folgte in den 1990er Jahren eine Welle russischer Oligarchen, was der Hauptstadt den Spitznamen «Londongrad» einbrachte. In den letzten Jahren sind chinesische und indische Staatsangehörige zu einer grösseren Kraft geworden.
Das Vereinigte Königreich war sich immer bewusst, dass einige reiche Einwohner wegen der Steueränderungen wegziehen würden, und berücksichtigte das bei seinen Prognosen. Die unabhängige Haushaltsaufsichtsbehörde, das Office for Budget Responsibility, schätzte, dass von einer grossen Gruppe von Inhabern des Non-Dom-Status etwa 12 Prozent wegziehen würden. Aber diesen Monat warnte sie davor, dass die Abwanderung höher sein könnte, und sagte, «die wachsende Abhängigkeit des Vereinigten Königreichs von dieser kleinen und mobilen Gruppe von Steuerzahlern stellt daher ein fiskalisches Risiko dar».
Jurisdiktionen wie Dubai haben für die globalen Reichen den roten Teppich ausgerollt.
Rachel Mendelson
Experten warnen vor fiskalischem Risiko
Aktionsgruppen, die sich für niedrigere Steuern einsetzen, zeichnen ein düstereres Bild. Ein Bericht des Centre for Economics and Business Research, in Auftrag gegeben von der Kampagne Land of Opportunity, prognostizierte, dass ein höherer Anteil von Inhabern des Non-Dom-Status wegziehen würde, und deutete an, dass die Regierung Geld verlieren könnte, wenn die Abwanderungsrate 25 Prozent übersteige.
Wissenschaftliche Studien zu den Steuersystemen im Vereinigten Königreich, in der Schweiz und in den USA zeigen eine Spaltung unter den Reichen. Die Superreichen und Älteren ziehen eher um, wenn ihre Steuern oder Erbschaftssteuern erhöht werden. Familien mit schulpflichtigen Kindern oder Menschen in einem Angestelltenverhältnis, wie etwa Anwälte, ziehen seltener weg.
Andy Summers, ausserordentlicher Professor für Recht an der London School of Economics, untersuchte eine frühere Reform des britischen Non-Dom-Programms im Jahr 2017 und stellte fest, dass etwa 5 Prozent der Betroffenen weggingen. Diejenigen, die blieben, zahlten 50 Prozent mehr Steuern in Grossbritannien.
«Es ist nicht das erste Mal, dass Vermögensberater den Untergang prophezeien», sagte er. «Aber diesmal ist der Aufschrei viel lauter.» Summers glaubt, dass die Abschaffung des Non-Dom-Status, der seit Jahrzehnten als unfair kritisiert wird, Geld einbringen wird. «Es ist schwer, ein faires Argument dafür zu finden, dass eine Gruppe von Menschen, die im Vereinigten Königreich lebt, niedrigere Steuersätze zahlen sollte als andere», sagte er.
Unternehmen, die sich auf die Reichen spezialisiert haben, sind von den Abwanderungen betroffen. Laut dem Immobilienunternehmen Knight Frank sind die Verkäufe von Londoner Wohnimmobilien im Wert von mehr als 10 Millionen Dollar im ersten Quartal um 37 Prozent zurückgegangen. Die Preise befänden sich auf einem Zehnjahrestief und Verhandlungen, die früher nur wenige Tage gedauert hätten, zögen sich jetzt über Wochen hin, sagte Stuart Bailey, Leiter des Bereichs Super-Prime-Verkäufe in London bei Knight Frank.
«Es steht ausser Frage, dass die Leute London verlassen», sagte er. «Aber es ist definitiv nicht der Weltuntergang.» Viele wohlhabende Expats argumentieren, dass ihr Beitrag zum Vereinigten Königreich über Steuern hinausgeht.
Eine kanadische Investorin gibt auf
Die Kanadierin Ann Kaplan Mulholland zog 2022 ins Vereinigte Königreich, nachdem sie ihr Unternehmen für Kredite im Bereich Medizin verkauft hatte und ihr jüngstes Kind an ein College gekommen war. Sie kaufte ein heruntergekommenes Schloss aus dem 13. Jahrhundert und gab 15 Millionen Pfund (umgerechnet 20 Millionen Dollar) für Renovierungsarbeiten und den Bau von Restaurants und einem Hochzeitsgeschäft auf dem Gelände aus.
Mulholland stellte etwa hundert Mitarbeiter ein, schloss sich ihrer lokalen Kirche an und begann, ihre Lebensmittel beim Einzelhändler Marks & Spencer einzukaufen. Aber jetzt ist auch sie daran, wegzuziehen. Sie und ihr Mann, ein plastischer Chirurg, beantragten den Umzug nach Italien, das für Expats eine Pauschale von etwa 230 000 Dollar pro Jahr erhebt anstelle einer Steuer auf ihr Auslandseinkommen.
«Es ist sehr schwierig, zu gehen, weil wir uns eingelebt haben», sagte sie. «Ich wäre die glücklichste Person überhaupt, wenn all dies rückgängig gemacht würde.»