Um kurz vor 11 Uhr geht die rote Gefängnistür auf und Nico Schween tritt auf den Bürgersteig.
Er winkt, denn vor der JVA in Dortmund stehen Kamerateams und warten auf ihn. „Ich bin frei“, ruft der 36-jährige und strahlt über das ganze Gesicht. Acht Tage lang hat er in einer Viererzelle gesessen. Da tritt man sich ständig auf die Füße erzählt er und sagt immer wieder, wie froh er ist, jetzt raus zu sein.

Freigekauft vom „Freiheitsfonds“

Ein paar Meter weiter steht Leo Ihßen. Er ist der Mann mit dem Koffer. Einem silbernen, schmalen Koffer, gefüllt mit Fünf- und Zehn-Euro-Scheinen. Knapp tausend Euro hat er mitgebracht, um nicht nur Nico sondern auch noch einen weiteren Mann freizukaufen. „Damit verhindern wir zwei Monate Haft“, sagt er.

Er hätte das Geld natürlich überweisen können. Aber so gibt es gute Bilder für die Presse, die reichlich erschienen ist. Und diese Bilder braucht Leo Ihßen. Denn er kommt von der Berliner Initiative „Freiheitsfonds“. Die will, dass Schwarzfahren keine Straftat mehr ist.

„Vor 90 Jahren von den Nazis eingeführt“

„Dieses Gesetz darf kein Jahr älter werden“, ist ein Satz, den der 29-jährige Student immer wieder in die Mikrofone spricht. Am Montag ist der 90. Jahrestag der Einführung der Strafbarkeit für Schwarzfahren. Und Ihßen ärgert es, denn jeder wisse, dass vor allem arme Menschen, Drogenabhängige oder psychische Kranke wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis müssen.

Er fummelt einen Fahrschein aus der Hosentasche und hält ihn hoch. „Wegen 3,60 Euro sitzen hier Menschen im Gefängnis.“

Nicht alle Verkehrsbetriebe stellen Anzeige

Eigentlich natürlich wegen mehr. Jedes Mal wenn jemand schwarz fährt, erschleicht er sich laut Gesetz eine Dienstleistung. Die meisten Verkehrsbetriebe berechnen dafür ein ‚erhöhtes Beförderungsentgelt‘ von 60 Euro. Wer also öfter kein Geld für den Fahrschein hat, hat schnell mehrere hundert Euro auf der Uhr.

Wer dann nicht zahlt, wird von vielen Verkehrsunternehmen angezeigt. Nicht von allen. Die Verkehrsbetriebe in Düsseldorf zeigen nicht mehr an, die DSW21 in Dortmund gibt an, 2023 insgesamt 5.456 Strafanträge gestellt zu haben. Grundsätzlich sind die Verkehrsverbünde nicht für eine Abschaffung der Strafbarkeit – aus Fairness den zahlenden Fahrgästen gegenüber.

Schwarzfahren Straftat nicht Ordnungswidrigkeit

Anders als zum Beispiel Falschparken ist Schwarzfahren eine Straftat und kann mit Geld- oder Freiheitsstrafen geahndet werden. Wer das Geld nicht aufbringen kann bekommt eine Ersatzfreiheitsstrafe. In Dortmund waren das von August 2024 bis August 2025 insgesamt 134 Fälle. Mal müssen die Betroffenen zwei Wochen in Haft, mal vier. Jeder Tag kostet gut 200 Euro. Nicht nur der „Freiheitsfonds“ fordert, das zu ändern.

NRWs Justizminister Benjamin Limbach sagt auf Anfrage des WDR: „Jeder ersparte Tag einer Ersatzfreiheitsstrafe ist ein Gewinn für das Land, die betroffenen Menschen und den Steuerzahler. (…) Die Strafbarkeit beim Fahren ohne Fahrschein gehört abgeschafft – besser heute als morgen.“

Sozialarbeiterinnen unzufrieden mit der Situation

Vor der JVA in Dortmund stehen an diesem Morgen auch Daniela Engelbracht und Miriam Squarra. Sie sind Sozialarbeiterinnen in der JVA und stellen die Anträge zum Freikauf beim „Freiheitsfonds“. Sie sehen die Freiheitsstrafen für das Schwarzfahren kritisch. Häufig kämen die Menschen sowieso aus prekären Verhältnissen, seien psychisch krank, obdachlos oder drogenabhängig.

Und dann müsse man sie wegen der Haftstrafe von allen Leistungen abmelden. „Manchmal melden wir die Gefangenen Montag ab und Donnerstag wieder an, damit das hinterher auch alles wieder klappt“, sagt Daniela Engelbracht.

Insgesamt 100 Menschen kauft die Initiative „Freiheitsfonds“ in ganz Deutschland rund um diesen Jahrestag, den 1.9., den Freedom Day, frei. In Dortmund sind es sieben. Einer von ihnen, Nico Schween, läuft nach dem ganzen Medienrummel beschwingt die Straße runter. Auf dem Weg zur U-Bahn, er will seine Freundin überraschen. Und einen Fahrschein kaufen. Vielleicht gleich eine Tageskarte.