Leipzig. Wer in seiner Arztpraxis anruft, hört immer öfter das Besetztzeichen − oder es geht niemand dran. Ein Thema ist das schon länger, doch die Situation hat sich zugespitzt. „Die telefonische Erreichbarkeit ist ein wunder Punkt“, räumt Dr. Christian Brust vom MVZ Polikum in der Südvorstadt ein, „das ist auch bei uns manchmal durchaus schwierig.“ Umgekehrt landet sogar der Mediziner selbst manchmal in Warteschleifen oder bei KI-Assistenten, wenn er sich mit einem Kollegen beraten will.

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Es gehe ganz und gar nicht darum, dass die Praxen ihre telefonische Erreichbarkeit zurückfahren oder Gespräche vermeiden wollten, betont Dr. Torben Ostendorf, Chef des Sächsischen Hausärzteverbands mit Praxis in Paunsdorf. „Das System ist einfach am Anschlag.“ Der Grund: Personalmangel. „Medizinische Fachangestellte gibt es quasi nicht“, erklärt Ostendorf. „Dann müssen wir entscheiden: Ist die Patientenversorgung wichtiger oder das Telefon?“ Denn: Medizinische Fachangestellte (MFAs) schreiben EKGs, nehmen Blut ab, empfangen Patienten. Eine weitere Facette des Problems beschreibt Patricia Ley: Die Ersteinschätzung am Telefon durch eine MFA wird nicht im Honorierungskatalog abgedeckt, sagt die Vizepräsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe. Kurz gesagt: Es gibt dafür kein Geld von der Krankenkasse.

Link zu Doctolib

Vor allem für ältere Patienten ist es ein Problem, wenn sie telefonisch nicht weiterkommen, denn mit digitaler Kommunikation kennen sie sich oft nicht aus. Dabei sei es ohnehin schon schwierig, einen Arzt zu finden, erklärt Sandra Hähnel von der Landesseniorenvertretung Sachsen. Sie fordert von den Praxen, wenigstens einen Anrufbeantworter vorzuhalten.

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Am MVZ Polikum sind neben dem Telefonkontakt Anfragen per E-Mail möglich. Und von der Website führt ein Link direkt zum Online-Buchungsportal Doctolib. „Dort ist die Ausfallquote bei Neupatienten allerdings signifikant“, sagt Christian Brust, „es wird schnell gebucht, aber auch schnell wieder abgesagt.“

Analoge Flexibilität

Aktuell wird am MVZ Polikum überlegt, ob aufgrund eines akuten Personalengpasses das Telefon vorerst nur noch zu bestimmten Zeiten besetzt wird. Ein solches Mindestmaß will Christian Brust aber weiter gewährleisten. Für telefonische Krankschreibungen zum Beispiel. Und die Dringlichkeit lasse sich am Telefon auch besser einschätzen, mancher angefragte Sprechstundentermin sogar als unnötig erkennen. Zudem könnten die Mitarbeiterinnen Zeitfenster für ganz kurze Visiten vergeben, wenn sie merken, dass sich etwas schnell klären lässt − selbst, wenn eigentlich gar kein Platz mehr im Terminbuch ist. Analoge Flexibilität. Man müsse sehen, was die Künstliche Intelligenz künftig an Möglichkeiten biete, erklärt Hausarzt Brust.

In Paunsdorf beginnt die Zukunft

In Paunsdorf hat diese Zukunft offenbar schon begonnen. In der Praxis von Torben Ostendorf ließ das Team vor knapp zwei Jahren einen KI-gestützten digitalen Sprachassistenten installieren, weil bis zu 400 Anrufe pro Tag eingingen. Ständig klingelten drei bis vier Telefone parallel.

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Jetzt identifiziert sich der Patient mit Name und Geburtsdatum, kann dann Sprechstundentermine vereinbaren oder detaillierte Rezeptwünsche aufgeben − bis hin zur nötigen Packungsgröße. Ob digital oder analog − so ein Gespräch kann vier oder mehr Minuten dauern. Dem Sprachassistenten macht das nichts aus, und er ist sogar außerhalb der Öffnungszeiten erreichbar.

Wo man kein Personal braucht, setzen wir auf digitale Lösungen.

Dr. Torben Ostendorf

Chef des Sächsischen Hausärzteverbands mit Praxis in Paunsdorf

Weniger Lärm durch KI

Eine freundliche KI-Frauenstimme fragt Schritt für Schritt alle nötigen Informationen ab, transkribiert anschließend die Daten und stellt sie den Mitarbeitenden zur Verfügung. Das spart enorm Zeit. Man kann den Sprachassistenten aber auch unterbrechen − zum Beispiel mit dem Schlagwort „Notfall“ − und wird dann an eine Mitarbeiterin durchgestellt oder an die 112 verwiesen. Nach einer Rezeptanforderung bekommt der Patient eine SMS aufs Handy oder einen automatisierten Anruf aufs Festnetz, kann in die Apotheke gehen, seine Krankenkassenkarte einlesen lassen und die Arznei entgegennehmen. Mit einer neuen Software können Ostendorfs Patienten demnächst über eine App ihren Medikationsplan aufrufen und Rezepte beantragen.

„Wo man kein Personal braucht, setzen wir auf digitale Lösungen“, erläutert der Paunsdorfer Mediziner, „wir haben damit gute Erfahrungen gemacht und können unsere Personalressourcen für andere Aufgaben nutzen. Das ist eine massive Entlastung.“ Nebenbei ist auch das ständige Geklingel weg − das komme Patienten wie Mitarbeitenden zugute. Die gesamte Arbeitsorganisation habe sich mit der Einführung des Sprachassistenten verbessert.

LVZ