„Deine Mama hat Schlitzaugen, deine Mama hat Schlitzaugen!“ Diesen Satz rufen zwei blonde Mädchen ihrer Mitschülerin auf der ansonsten leeren Straße hinterher. Wie umgehen mit solcher Häme? Es ist nicht der einzige Vorfall dieser Art, den die Ich-Erzählerin Aki – japanische Mutter, deutscher Vater – in ihrer Kindheit erlebt. Und die Münchner Autorin Yuko Kuhn, die in „Onigiri“ diese Szene aufgeschrieben hat, kennt solche Ausgrenzungsversuche vermutlich ebenso gut wie ihre Romanfigur.
Yuko Kuhn schreibt in „Onigiri“ über das Leben von Aki und insbesondere ihrer Mutter, die zwischen den Welten nie richtig ihren Platz findet – auch deren Depressionen und zunehmende Demenz gehören zum Bild einer dysfunktionalen Familie. Mit einer Lesung von Yuko Kuhn, moderiert von Doris Dörrie (nur noch Stream-Tickets), beginnt am 16. September die Herbstsaison im Literaturhaus.
Nicht nur dort startet man weltläufig in den Herbst. Das Amerikahaus richtet am selben Abend den Blick auf eine Grande Dame der US-amerikanischen Literatur: Die Krimiautorin Sara Paretsky stellt ihren neuen Krimi „Wunder Punkt“ vor, in dem die Privatdetektivin V. I. Warshawski in Kansas nach einer vermissten Studentin sucht. Unpolitisch sind sicherlich weder das Buch noch der Abend, mit dem das Krimifestival in den Herbst geht – und das 25-jährige Bestehen der Krimibuchhandlung Glatteis gebührend gefeiert wird.
Auch im Literaturhaus hat man die US-amerikanische Literatur im Blick: Bestsellerautor Ocean Vuong stellt am 17. September seinen Roman „Der Kaiser der Freude“ vor; auch hier gibt es nur noch Stream-Tickets. Die in New York lebende Schweizer Schriftstellerin Dorothee Elmiger, mit „Die Holländerinnen“ für den Bayerischen wie den Deutschen Buchpreis nominiert, wird am 19. September zu Gast sein, und drei Tage später der britische Satiriker Jonathan Coe, in dessen Roman „Der Beweis meiner Unschuld“ es unter anderem um rechtsextreme Umtriebe geht.
Bayerischer Buchpreis 2025
:Shortlist mit sechs Autorinnen
Die Shortlist für den Bayerischen Buchpreis steht fest: Sechs Autorinnen machen in diesem Jahr den Wettbewerb in den Kategorien Belletristik und Sachbuch unter sich aus.
Und was ist mit Deutschland? „Wot se Fack, Deutschland?“ fragt der Kabarettist und Autor Vince Ebert in einem neuen Buch. Bei einem „Skeptischen Salon“ im Café Luitpold spricht er am 17. September mit dem Philosophen Nikil Mukerji über eine aus den Fugen geratene Welt und fürchtet, so die Ankündigung, dass „unsere Gefühle den Verstand verloren haben“: Rationalität, Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit stünden auf dem Spiel – das lässt einigen Diskussionsstoff ahnen. Wer einen vermeintlich weniger kontroversen Salon vorzieht, kann die Monacensia ansteuern: Dort findet einen Tag später einmal wieder ein Poetik-Salon statt; Dagmar Leupold und Norbert Niemann diskutieren mit den Gästen Katrin Lange und Frieder von Ammon über Lesen und Schreiben.
Vor allem jedoch scheinen die großen Konfliktthemen unserer Zeit in den Programmen der zweiten Septemberhälfte auf, insbesondere das Thema Antisemitismus. „Keine Schonzeit für Juden“, konstatiert etwa der Titel des neuen Buches von Rafael Seligmann, der am 17. des Monats im Jüdischen Gemeindezentrum mit Moderator Christian Ude die Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus bewusst subjektiv beleuchten will.
Wie Judenhass einst in den Massenmord des Holocaust mündete, wird am Beispiel der Münchner Autorin Elisabeth Braun deutlich: Ein Abend am 16. September in der Monacensia widmet sich dem Schicksal und Erbe der zeitweiligen Besitzerin des Hildebrandhauses. Einen Tag später ist dort das Prelistening eines Hörspiels von Dana von Suffrin zu erleben: In „Nie wieder gut“ umkreist sie den Fall des jüdischen Staatskommissars Philipp Auerbach, der in München wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg Opfer einer Kampagne wurde.
Die nicht minder konfliktreiche Gegenwart wird die israelische Schriftstellerin Ayelet Gundar-Goshen am 18. September im Literaturhaus anhand ihres Romans „Ungebetene Freunde“ thematisieren. Welche Schlüsse hingegen ein ukrainischer Jude zieht, der in den Neunzigerjahren mit seiner Familie in Deutschland einwanderte, ist am 29. September im Restaurant „Nash“ im Stadtmuseum zu erfahren, wo Mihail Groys sein Buch „Meine deutsche Geschichte“ vorstellt. Welche Erfahrungen dieser Autor wohl in seiner Kindheit gemacht hat?